Neue Bewährungsprobe für die Fußgängerzonen in der Region

12.6.2019, 05:32 Uhr
Die Nürnberger Innenstadt soll nicht nur Shopping-Quartiere schaffen, sondern echte Aufenthaltsqualität bieten.

© Stefan Hippel Die Nürnberger Innenstadt soll nicht nur Shopping-Quartiere schaffen, sondern echte Aufenthaltsqualität bieten.

Nürnberg, der Platzhirsch

Am 17. Oktober 1972 um 8.30 Uhr war es so weit in der Nürnberger Innenstadt. Polizeibeamte und Mitarbeiter des Baureferats marschierten auf und sperrten König-, Kaiser- und Karolinenstraße. Die Verkehrsaufsicht steuerte mit Lastwagen voller Verkehrsschilder durch die Straßen, montierte Richtungspfeile, entfernte Einbahnstraßenschilder und stellte Sperrböcke auf.

Doch die Nürnberger waren es gewohnt, mit ihrem Auto direkt vor die Geschäfte fahren zu können. Selbst der Hauptmarkt wurde in den 1960ern sonntags noch als Parkplatz genutzt und war gerammelt voll mit Fahrzeugen – natürlich von Touristen und nicht von Einkäufern, denn zu diesen Zeiten waren selbst verkaufsoffene Samstage noch eine Besonderheit. Die Einzelhändler fürchteten also massive Umsatzeinbrüche und drohten mit Klagen. In einem Flugblatt bezeichnete die "Interessengruppe Breite Gasse" die Fußgängerzone gar als "Mord".

Dass statt einem Mord eine Belebung erfolgt ist, bekräftigt der heutige Baureferent Daniel Ulrich. "Wir haben hier eine extrem große Zentralität und Anziehungskraft bis weit in die Region. In der Altstadt verbindet sich das Shopping-Erlebnis mit den touristischen Aspekten im mittelalterlichen Stadtbild", sagt er.

Ulrich betont, wie wichtig es gerade in Konkurrenz mit dem Online-Handel sei, Einkaufsmöglichkeiten und Tourismus nicht zu entkoppeln, nicht nur Shopping-Quartiere zu schaffen, sondern echte Aufenthaltsqualität. "Sonst hat man ein Problem. Das sieht man in Bayreuth und Ansbach, wo große Einkaufszentren außerhalb der Innenstadt entstanden sind. Im Zentrum ist dafür nun wenig los", meint Ulrich.

Heute sei die Nürnberger Altstadt das unangefochtene Zentrum. Vor der Fußgängerzone war das noch anders: "Eigentlich war rund um den Aufseßplatz und die Wölckernstraße in der Südstadt das Einkaufsherz von Nürnberg", erzählt Ulrich. Nicht umsonst plante man zu Beginn einen Fußgänger-Boulevard vom Aufseßplatz bis zum Hauptmarkt. "Die Trennung durch die Bahngleise ist natürlich zu groß, und es gibt bisher nur kleine Fußgängerzonen-Versatzstücke in der Südstadt. Als Anhängsel der Fußgängerzone in der Altstadt wird die Südstadt aber ohnehin nie funktionieren. Sie würde aber eine eigene Fußgängerzone vertragen", glaubt Ulrich. Dort würden dann weniger die Auswärtigen einkaufen, sondern vor allem die Nürnberger selbst.

Doch zu einer Fußgängerzone in der Südstadt ist es noch ein weiter Weg. "Die Argumente sind dieselben wie vor 50 Jahren. Die Einzelhändler fürchten um ihr Geschäft, wenn man nicht mehr mit dem Auto direkt vor die Tür fahren kann", verdeutlicht Ulrich. Anders als große Ketten seien Einzelhändler häufig gefühls- und weniger zahlengetrieben und verpassten dadurch viele wichtige Entwicklungen, meint der Baureferent.
Auch die Fußgängerzone in der Altstadt könnte noch expandieren, etwa am Weinmarkt oder in der Inneren und Äußeren Laufer Gasse. "Dazu bräuchte man dort aber eine Straßenbahn. Das wird wohl noch eine ganze Weile dauern", meint Ulrich.


Fürth, die Wiederauferstandene

Während die Fußgängerzone in Nürnberg immer brummte, war das in Fürth völlig anders. Hier hat man gesehen, wie Fehl- und verschlafene Entwicklungen ein Stadtzentrum fast aussterben lassen. Alles begann damit, dass 1975 ein Teil der Schwabacher Straße zur Fußgängerzone wurde. Nach der Eröffnung des großen Innenstadt-Einkaufszentrums "City-Center" im Jahr 1985 boomte die Innenstadt zunächst. "Die Händler erzählen, dass man damals keinen Quadratzentimeter mehr Platz hatte im Zentrum, so viel war da los. Die Innenstadt war hip und attraktiv", sagt die Fürther Innenstadtbeauftragte Karin Hackbarth-Herrmann. Doch dann begann die Abwärtsspirale.

In der Fußgängerzone machten sich Ein-Euro-Läden breit, andere Geschäfte standen ganz leer. Und auch das City-Center verkam mehr und mehr, attraktive Mieter zogen aus. "Einkaufszentren musste man schon früher alle zehn Jahre auf den neuesten Stand bringen, mittlerweile sogar alle fünf bis sieben Jahre. Weil das City-Center aber 351 Eigentümern als Eigentümergemeinschaft gehörte, ist da nie etwas passiert", verdeutlicht Hackbarth-Herrmann. Außerdem sei das City-Center schlecht sichtbar gewesen mit seinen 13 unscheinbaren Eingängen, dazu den verschachtelten Seitengängen im Inneren.

Das soll bei dem nun geplanten Einkaufszentrum "Flair", das der Fürther Investor P&P Anfang 2021 anstelle des City-Centers eröffnen soll, anders werden. Zwei markante Eingänge sollen ins Innere führen. Dafür wurde gerade ein Haus in der Schwabacher Straße abgerissen. Außerdem wird die Verkaufsfläche von 26.000 auf 18.000 Quadratmeter verkleinert, das zweite Untergeschoss wird nicht mehr für Läden, sondern womöglich für Komfortparken genutzt.

Ein Blick aus der Vogelperspektive auf den Schwabacher Regionalmarkt am Königsplatz, der bis 1977 noch vielbefahren und mit Autos zugeparkt war.

Ein Blick aus der Vogelperspektive auf den Schwabacher Regionalmarkt am Königsplatz, der bis 1977 noch vielbefahren und mit Autos zugeparkt war. © Christine Schön, NN

Die Marktstraße in Neumarkt, die zum Teil befahren werden darf.

Die Marktstraße in Neumarkt, die zum Teil befahren werden darf. © André De Geare

Zudem wurde aus einer von Leerständen umgebenen Straße mit der Neuen Mitte 2015 eine attraktive neue Einkaufsmeile geschaffen. "Seitdem ist in der Innenstadt deutlich mehr los", betont Hackbarth-Herrmann. Fürth investiert viel, um die Kurve zu kriegen. An die Neue Mitte schließt sich seit wenigen Wochen der neue Fürther Markt mit Feinkostangeboten an.Das erhöht die Aufenthaltsqualität in der Stadt deutlich“, meint die Innenstadtbeauftragte.
Und es geht weiter: Die Straße beim Ludwig-Erhard-Zentrum wird neu gepflastert, mit mobilem Grün versehen und endgültig zum Fußgängerbereich umgewandelt.


Schwabach, der Frühstarter

Schwabachs damaliger Oberbürgermeister Hartwig Reimann kann sich noch gut an diese Bürgerversammlung Ende 1975 erinnern. "Da gab es heftige Widerstände. Es waren mehr als 800 Leute da, die Stimmung war total kontra Fußgängerzone und Tiefgarage. Am Tag vorher lief außerdem ein Krimi mit einem Mord in der Tiefgarage – das hat auch nicht gerade geholfen", erzählt der Ex-OB.
Trotz aller Gegenwehr brachte er seine Pläne mit knapper Mehrheit durch den Stadtrat: Ende 1977 wurde die Schwabacher Fußgängerzone fertiggestellt und eingeweiht.

"Heute hat die Innenstadt eine entspannte Atmosphäre in gepflegter Umgebung. Eine ganz andere Gemütlichkeit, Wärme und Heimatausstrahlung als zuvor. Der Königsplatz ist zu einem echten Mittelpunkt der Stadt geworden. Wenn ich heute sagen würde, dass die Autos wieder zurück in die Stadt müssen, würde man mich erschlagen", glaubt Reimann.

Trotzdem hat auch Schwabach wie viele Städte ähnlicher Größe derzeit Probleme. Weniger Einkaufswillige als früher schlendern durch die Innenstadt, einige Läden stehen leer. Die Nähe zu Nürnberg erschwert die Situation zusätzlich. "Der Online-Handel geht nicht spurlos an uns vorbei, aber noch ist die Situation gut", meint Schwabachs Wirtschaftsreferent Sascha Spahic. In der westlichen Altstadt soll mit einem Lebensmittelvollversorger nun ein neuer starker Pol geschaffen werden, der Martin-Luther-Platz an der Stadtkirche soll umgestaltet werden. "Die Tendenz geht in Richtung eines Brunnens, an dem Kinder auch mit Wasser spielen können", sagt Spahic.


Neumarkt, der Sonderfall

Neumarkt ist der große Sonderfall in der Region. Hier hat man sich gegen eine größere Fußgängerzone entschieden, obwohl man Ende der 1980er und Anfang der 1990er im Zuge der Altstadtsanierung lange darüber diskutiert hat. In der Diskussion waren alle Extreme: die komplette Sperrung der Marktstraße für Fahrzeuge auf der einen und die Beibehaltung des Status Quo auf der anderen Seite – sowie viele Varianten dazwischen.
Das Ergebnis war denn auch ein Kompromiss: Die deutlich kleinere Klostergasse und der Bereich rund ums Rathaus wurden zur Fußgängerzone, an der Marktstraße hingegen gibt es weiter jede Menge Parkplätze, an die sich breite Fußgängerbereiche anschließen. Um den Verkehr zu begrenzen, müssen Autofahrer aber jeweils bei der Hälfte der Marktstraße umdrehen, nur Busse dürfen die komplette Straße durchfahren.

"Viele fahren aber trotzdem einfach durch. Da bräuchte man versenkbare Poller, die für durchfahrende Busse abgesenkt werden können", meint Helmut Lahner, langjähriger CSU-Stadtrat und zeitweise Fraktionsvorsitzender. Er wünscht sich deutlich weniger Verkehr in der Marktstraße, außerdem eine deutlich intensivere Marktnutzung, wie sie Fürth nun gelungen ist.
Der Fußgängerzonenbeschluss war ursprünglich nur ein Versuch, den man nach zehn bis 15 Jahren evaluieren und verbessern wollte. Passiert ist allerdings nichts. Zuletzt verliefen die Ergebnisse eines Städtebauwettbewerbs im Sande. Jetzt erarbeitet immerhin das Tiefbauamt Verbesserungspläne, die in diesem Jahr dem Stadtrat präsentiert werden sollen.
Nicht mehr vorstellen mag man sich dagegen, was bis zur Umgestaltung Alltag war. Der Verkehr der beiden Bundesstraßen 8 und 299 rollte ununterbrochen durch die gute Stube der Stadt, dazwischen suchten Einkaufswillige Parkplätze und sorgten für Chaos in der Blechlawine.

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