"Auge um Auge" vor dem Neumarkter Schöffengericht

18.2.2020, 09:08 Uhr

Eine Anzeige wegen Belästigung war von der Staatsanwaltschaft noch eingestellt worden. Doch am 20. Dezember 2018 kam es zum Eklat.

In einer Rauchpause auf dem Betriebshof der Einrichtung hatte sich der Ältere den ungeliebten Verehrer seiner Angetrauten zur Brust genommen, und ihm angedroht, ihm die Nase zu brechen, sollte er es nochmal wagen, seiner Frau nachzustellen.

Dieser nahm das sehr ernst und wandte sich an den Sozialdienst der Einrichtung. Bei der nächsten Begegnung am selben Tag auf einem Gang sagte er dem aufgebrachten Ehemann, dass er dessen Drohung gemeldet hatte. Das zeitigte aber nicht den gewünschten Effekt.

Wutentbrannt stürmte der Ältere los, packte den Widersacher am Kopf und versuchte ihm die Daumen in die Augen zu drücken. "Ich stech’ dir die Augen aus, dann kannst du meine Frau nicht mehr anschaun", schrie er.

Dem Angegriffenen gelang es, eine Hand weg zu ziehen, doch dann fiel er über ein Bein des Wüterichs, schlug mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf und verlor beinahe die Besinnung. Der tobende Ehemann stürzte sich erneut auf ihn und bearbeitete weiter die Augen mit seinen Daumen, ohne allerdings bleibende Verletzungen anzurichten. Zwei Betreuern gelang es schließlich, ihn von seinem um Hilfe schreienden Opfer weg zu ziehen.

Der Vorwurf von Staatsanwalt Robin Pyka lautete auf vorsätzliche Körperverletzung und versuchte schwere Körperverletzung. Den Tatablauf räumte der Angeklagte ein. Er unternahm sogar einen etwas unwilligen und letztlich erfolglosen Versuch, sich zu entschuldigen.

Sein Verteidiger Georg Karl betonte jedoch, dass es nicht die Absicht seines Mandanten gewesen sei, seinem ehemaligen Freund, das Augenlicht zu nehmen. Das sei nur in der Wut so dahin gesagt gewesen.

Der Geschädigte, der unter psychischen Problemen leidet, schilderte den Tatablauf sehr detailgenau, obwohl schon mehr als ein Jahr seitdem vergangen ist. Beim linken Auge hat er vor allem Nachts Beeinträchtigungen. Schwerer wögen aber die seelischen Belastungen. Er habe Angst vor dem Älteren, und es nicht geschafft, an dem Haus vorbei zu laufen, in dem dieser wohnt.

Der Rat des Arbeitgebers, einen Umweg bergauf und begab zu nehmen, sei angesichts einer körperlichen Einschränkung auch nicht das Gelbe vom Ei. Erhebliche Schlafstörungen seien die Folge der Attacke. Sechs Wochen habe er deswegen schon im Bezirkskrankenhaus verbringen müssen. Die Leitung der Einrichtung habe ihm schließlich die Kündigung nahe gelegt, und das habe er dann auch im Mai letzten Jahres getan.

Für den Staatsanwalt war die Sache auch wegen des Geständnisses klar. Der Angreifer sei entsprechend der Anklage schuldig zu sprechen. Doch gebe es Milderungsgründe, um nicht das für versuchte schwere Körperverletzung vorgesehene Strafmaß von mindestens drei Jahren Gefängnis (Bewährung dann ausgeschlossen) ausschöpfen zu müssen.

Ein Gutachten habe ergeben, dass der Angeklagte impulsiv und jähzornig sei. Er habe nicht geplant gehandelt, sondern aus dem Moment heraus. Aber eben in diesem Moment habe er tatsächlich die Absicht gehabt, seinem Gegner das Augenlicht zu nehmen. Allerdings dürfe man seine psychische Einschränkung nicht außer Acht lassen.

Pyka forderte ein Jahr und drei Monate Haft, die zur Bewährung ausgesetzt werden könnten. Als Auflage riet er zu einem Anti-Aggressionstraining. Er sei der Überzeugung, dass sein Mandant nicht mit der finalen Absicht vorgegangen sei, dem jungen Mann die Sehkraft zu nehmen. Zu dem Angriff sei es erst gekommen, als er erfahren habe, dass sich dieser an den Sozialdienst der Einrichtung gewandt hatte. Sechs Monate seien in Anbetracht der besonderen Lebenslagen der Beteiligten ausreichend.

Richter Rainer Würth und die beiden Schöffen teilten die Meinung des Staatsanwalts, dass der Angeklagte wissentlich und willentlich auf die Augen los gegangen sei. Zur Tatzeit habe er den spontanen und emotionalen Vorsatz gehabt, "ihm die Augen auszustechen".

Als mildernde Umstände sah Würth neben der mentalen Erkrankung auch, dass der Mann bislang noch nicht mit dem Gesetz in Konflikt geraten war. Das Schöffengericht verurteilte ihn zu zehn Monaten Haft auf drei Jahre Bewährung. Denn man könne davon ausgehen, dass sich Ähnliches nicht wiederhole, weil Opfer und Täter inzwischen nicht mehr zusammen arbeiten und sich auch sonst aus dem Wege gehen könnten.

Auf Auflagen verzichtete Würth, riet dem Angeklagten aber, sich umgehend Hilfe zu holen, wenn er glaube, seine Aggressionen nicht mehr im Griff zu haben.