Bauern-Demo gegen Kuh-Keulung: Als der Rinderwahnsinn Neumarkt im Griff hatte

3.1.2021, 16:48 Uhr
Bauern-Demo gegen  Kuh-Keulung: Als der Rinderwahnsinn Neumarkt im Griff hatte

© Foto: Wolfgang Fellner

BSE: Das steht für Bovine spongiforme Enzephalopathie. Es handelt sich um eine schleichende Krankheit, bei der mutierte Prionen das Gehirn des Rindes zersetzen.  Ihren Ursprung hatte die Seuche in England. Dort waren in den 80er Jahren Schafe, die an der Krankheit Scrapie verendet waren, nicht verbrannt, sondern zu Futtermittel verarbeitet worden. Das man Rindern gab, bei denen sich BSE entwickelte.

Als in England die Zusammenhänge nach langem Leugnen doch bekannt wurden, exportierten die Händler das Futtermittel und damit die Seuche auf den Kontinent – auch nach Deutschland. Besonders tragisch: Bei Menschen, die mit BSE verseuchtes Rindfleisch essen, kann ebenfalls eine tödliche Hirnerkrankung ausgelöst werden.

Alarmstimmung im Landkreis Neumarkt

Es herrschte also Alarmstimmung im Land. In Bayern hatte es erst einen BSE-Fall gegeben, als kurz vor Weihnachten 2000 im Neumarkter Landratsamt alle Alarmglocken schrillten.

 

Ein Rind aus einem Familienbetrieb war nach dem Schlachten auf BSE getestet worden. Der Schnelltest war positiv. Zur Erinnerung: Weil die Übertragungswege nicht bekannt waren, musste damals der gesamte Bestand getötet und verbrannt werden.

Journalisten aus ganz Deutschland stürmten den  Stall

Journalisten aus ganz Deutschland waren vor Ort. 

Journalisten aus ganz Deutschland waren vor Ort.  © Foto: Wolfgang Fellner

Es waren zwei kräftezehrende Wochen für die Mitarbeiter des Landratsamts. Medienvertreter aus der ganzen Republik reisten an, um vor Ort zu drehen und Informationen einzuholen. Es gab Polizeischutz für den betroffenen Landwirt, Journalisten hätten sonst seinen Stall gestürmt. Dabei war immer noch offen: War das Tier BSE-positiv oder nicht?

Als das Ergebnis schließlich eintraf, war der Landwirt, dessen Familie seit Jahrhunderten die Hofstelle bewirtschaftet hatte, am Boden zerstört. In einer bewegenden Pressekonferenz erklärte er, dass er selbst nicht wisse, wie die Seuche in seine Herde gekommen sei. Er habe seine Futtermittel auf seinen Feldern geerntet, nur in Übergangsphasen zugekauft. Die Kühe seien mit Getreideschrot, Mais- und Grassilage, Mais- und Grascobs sowie Mineralfutter und seit einiger Zeit mit Sojaschrot versorgt worden.

Die fünfjährige Kuh, die BSE-positiv getestet worden war, stammte von seinem Hof, ebenso wie ihre Mutter und die Großmutter. Keines der Tiere, auch die jetzt geschlachtete Kuh, hätten äußere Anzeichen von BSE gezeigt.

Keine Hinweise auf Tiermehl

Da die Kuh in diesem Sommer noch gekalbt hatte und der Nachwuchs als Mastbulle nach Norddeutschland verkauft worden war, musste auch dieser Betrieb über den BSE-Verdacht informiert werden. Und, hieß es aus dem Landratsamt: Es gebe keinerlei Hinweise darauf, dass in diesem Betrieb Tiermehl verfüttert worden sei, sowie es im Kreis nie üblich gewesen sei, Tiermehl zu füttern. Schon vor dem offiziellen Verbot 1994 hätten die Landwirte darauf verzichtet.

Bizarre Szenen spielten sich in diesen Tagen ab: Bei einer Fachtagung der Landwirte zum Thema Fütterung erwähnte ein Vertreter des Amtes für Landwirtschaft beiläufig, dass sich keiner der Gäste Sorgen machen müsse: "Sie dürfen beruhigt sein, es gibt nur Fleisch vom Schwein."

Das löste Tumulte aus. Es gab Schweinebraten und Schweineschnitzel, doch viele der über 200 Landwirte schrieben Rinderbraten dazu – aus Protest.

1200 Bauern zogen mit Fackeln durch die Nacht

Als das Ergebnis endgültig vorlag, kochte die Seele der Bauern im Landkreis und darüber hinaus. Kohorten-Keulung hieß das Schlagwort der Politik damals, weniger, um die Landwirte zu schützen, mehr, um die Verbraucher zu beruhigen und die Lebensmittel-Industrie zu schützen.

Dem Aufruf eines Rinderzüchters aus dem Süden des Landkreises folgten denn auch 1200 Bauern, die mit Fackeln und Transparenten durch die Nacht zum Hof zogen. Zum einen, um Solidarität zu zeigen, zum anderen, um ihre Ohnmacht und ihren Zorn hinauszuschreien.

Der Bundestagsabgeordnete Albert Deß, damals Obmann der Neumarkter Bauern, konnte die aufgebrachte Menge nicht beruhigen. Sie blockierte lange die Zufahrt zum Hof. Es flogen Böller.

Der Bundestagsabgeordnete Albert Deß, damals Obmann der Neumarkter Bauern, konnte die aufgebrachte Menge nicht beruhigen. Sie blockierte lange die Zufahrt zum Hof. Es flogen Böller.

Der damalige Bundestagsabgeordnete und Kreisobmann Albert Deß bekam den Unmut seiner Bauern besonders ab. Die sahen in ihm in dieser Nacht nicht ihren Obmann, sondern den Politiker.

Der hatte sich mit der betroffenen Bauernfamilie hinter der Barriere im Hof postiert, sprach, besser, wollte zu seinen Bauern sprechen. Doch immer wieder flogen Schneebälle nach vorne, einige Unvernünftige schleuderten gar mit Silvesterkrachern. Buh-Rufe und Pfiffe ließen Deß oft stocken. "B‘halt dein lauworma Leberkaas", brüllte einer zornig, ein anderer fiel immer wieder mit "Aufhören, aufhören"-Rufen ein und ein Dritter brüllte mit geschwollenen Halsschlagadern: "Den Wahnsinn habt‘s doch ihr Politiker."

MdB Deß mit Böllern beworfen

Dabei hatte Deß eigentlich nur Forderungen vorgetragen, die auch jeder der Landwirte sofort hätte unterschreiben können: keine unsinnige Keulung ganzer Bestände, eine intensive Forschung nach Ursachen und Übertragungsmöglichkeiten, Kontrollen und nochmals Kontrollen, gleiche Standards in allen EU-Ländern, und, und, und.

Doch das wollten die erregten Bauern in diesem Moment nicht hören, sie warfen Deß, der Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder und der ganzen Politik und ihren Verbandsvertretern etwas ganz anderes vor: "Nix habts g‘macht die ganzen letzten 15 Jahre", brüllte einer. Am Ende gab die erregte Menge trotzdem nach, vor allem, weil ein Landwirt mit Blick auf den betroffenen Bauern appellierte, den Abtransport endlich zuzulassen, "damit‘s für ihn endlich vorbei ist". Das war gegen 6.30 Uhr auch der Fall.

Kein anderes Tier im Stall hatte BSE 

Besonders bitter: Die Prophezeiung eines erregten Bauern bewahrheitete sich. "Koans vo de andern Viecher wirds hamm", schrie der empört in eine Fernseh-Kamera. Und so war es auch. Alle 64 Rinder, die getötet worden waren, waren vollkommen gesund. Die Proben waren am 3. Januar 2001 in Mering den Tieren entnommen und am nächsten Tag auf BSE untersucht worden. Negativ.

Der damals betroffene Landwirt hat sich vom Geschehen nicht mehr erholt. Als der Stall nach dem erzwungenen Abtransport leer war, blieb er es auch. Er hat Feldwirtschaft betrieben, ist heute im Ruhestand.

Der letzte BSE-Fall trat 2014 auf

Und BSE? Es ist ruhig geworden um die Seuche, heißt es in einem Beitrag des NDR aus dem November 2020. Experten vermuteten, dass das Verbot von Tiermehl, Tests an Rindern und der Verzicht auf infektiöses Fleisch aus Gehirn und Rückenmark zu einem Rückgang von Neuerkrankungen geführt habe.

Jedes Jahr würden zehntausende geschlachtete oder verendete Rinder in Deutschland auf BSE getestet. 2014 seien dabei nach mehreren Jahren ohne Befund noch zwei BSE-Erkrankungen aufgedeckt worden, seitdem aber keine mehr.

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