Boxen für die Welt

1.9.2012, 00:00 Uhr
Boxen für die Welt

© Fritz-Wolfgang Etzold

Ein bisschen zu schnell durch die Dreichlingerstraße und schon ist man an dem modernen Industriebau vorbeigerauscht. Was dort produziert wird, könnte man gut in einem Atemzug mit Tempo, Maggi oder Pilsner nennen: Markennamen, die sich zu einem Synonym für eine ganze Produktgattung entwickelt haben. „Jetbag“ ist für viele die Vokabel für die praktischen Auto-Dachcontainer aus Plastik schlechthin. Und tatsächlich stellt Thule auch heute noch Boxen unter diesem Namen her – und vertreibt sie in einfacherer und preisgünstigerer Variante als die Luxusausführungen von Thule.

Boxen für die Welt

Aber die Einfach-„Jetbags“ machen heute nur noch gut zehn Prozent der Neumarkter Thule-Produktion aus, etwa so viel wie die Firma Eco 1992 produziert hat, als der schwedische Konzern das Familienunternehmen gekauft hat.

Aktuell liegt die Neumarkter Dachboxen-Produktion bei rund 230000 Stück. Damit ist das Werk nicht mehr und nicht weniger als die größte Produktion dieser Art weltweit – größer als die drei anderen Thule-Produktionsstandorte in Chicago, in der Nähe von London und in Brasilien. Summa summarum bringen es die vier Thule-Standorte auf 450000 Boxen.

Boom in China und Osteuropa

Von Neumarkt aus erschließt Thule auch die boomenden Märkte in China und in Osteuropa, wo Werkleiter Alex Emmerling Zuwachsraten von 30 bis 60 Prozent verbucht. Zudem lassen mit einer Ausnahme fast alle deutschen Autohersteller ihre Dachboxen bei Thule in Neumarkt fertigen. Porsche, Audi, BMW: In den Werkshallen stehen jeweils eigene Werkzeuge, mit denen je nach dem individuellen Design die Boxen der Marken hergestellt werden.

Die Autofirmen und auch die anderen Thule-Werke profitieren von der kleinen, aber feinen Entwicklungsabteilung in Neumarkt: Nur vier Ingenieure und Techniker denken sich neue technische Raffinessen aus, die die Konkurrenz noch nicht hat. So gibt es zum Beispiel neuerdings ein Patent für einen Schraubverschluss der Dachbox, der nicht mehr abgedreht werden kann, weil er einen Drehmoment-Begrenzer eingebaut hat.

Seit zwölf Jahren existiert in unmittelbarer Nachbarschaft die Symbiose mit TR-Plast: Das Unternehmen von Martin Hierl mit Produktionen in Neumarkt, Thüringen und in Rumänien erzeugt für Thule Spritzguss-Kunststoffteile, Schnellbefestigungen und Schließleisten in hoher Qualität – und TR-Plast beliefert seinerseits die anderen Thule-Werke in England, den USA und in Südamerika mit den Bauelementen für die Autodachboxen. „Da gibt es blindes Verständnis auf allen Ebenen“, berichtet Werkleiter Alex Emmerling.

Bisher waren Thule und TR-Plast durch einen Bachgraben getrennt – bis die beiden Firmen kürzlich per Brückenschlag die beiden Werksgelände direkt verbunden haben. Zeitraubende Transporte „um den Block“ sind seitdem überflüssig. Die Zulieferungen kommen nun in Minutenschnelle per Gabelstapler direkt zum Produktionsband.

Und TR-Plast ist nicht der einzige Kooperationspartner von Thule: Die Firma Bangemann in Berg stellt für den Dachboxen-Marktführer sogenannte Boxen-Lifte her, mit denen die demontierten Container an der Garagendecke aufgehängt werden können.

Werkleiter Alex Emmerling ist sich sicher, dass das Werk Neumarkt als Standort gesichert ist. Erst im vergangenen Jahr hat die Firma in eine neue, bestens isolierte Dachkonstruktion investiert, die eine massive Energieeinsparung ermöglicht. Im kommenden Jahr soll eine neue sogenannte Tiefziehmaschine für 800000 Euro aufgestellt werden. Damit bringt die Thule-Belegschaft die Kunststoffplatten-Rohlinge in die richtige Dachboxen-Form. „Thule investiert hier ordentlich“, so Emmerling.

138 Menschen aus Neumarkt und Umgebung stehen bei Thule im Moment auf den Lohn- und Gehaltslisten. „Die Mitarbeiterzahl steigt“, versichert der Werkleiter. Dafür sorgen nicht nur die starken Zuwächse im Ausland, sondern auch ein neuer Geschäftszweig, der unter Neumarkter Regie kräftig sprießen soll: Thule hat 2011 die kanadische Firma Chariot übernommen, ein Hersteller von hochwertigen Kinderwagen, die Mutter oder Vater beispielsweise beim Joggen vor sich her schieben oder nach einer Umrüstung als Fahrradanhänger benutzen.

Der Neumarkter Thule-Geschäftsführer Franz Feiland ist als Vice President Sales auch für die Vermarktung des Kinderwagen-Sortiments zuständig. Mindestens 15 neue Mitarbeiter sollen ab 2013 das neue Geschäft weltweit ankurbeln – von Neumarkt aus.

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