Ein Neumarkter Anwalt mit gewaltigem "Jagdtrieb"

22.9.2019, 20:52 Uhr
Ein Neumarkter Anwalt mit gewaltigem

© Foto: Martin Herbaty

"Sind Sie öfter hier?" begrüßte der Autor vom Stuhl des Vorsitzenden aus seine zahlreichen Zuhörer. Er selbst ist es, auch wenn er den Gerichtssaal eher von der anderen Seite der Barriere kennt – denn eigentlich ist der Krimiautor der Neumarkter Rechtsanwalt Geedo Paprotta. Aber auch, wenn er in dieser Hinsicht Lokalmatador ist, er stellte gleich zu Anfang klar: "Mein Name ist heute Abend Hendrik Esch – Sie können mich ja verklagen."

Anders als seinen Romanhelden sieht er sich selbst "auf der seriösen Seite" der Justiz. Obwohl sein Protagonist Paul Colossa ebenfalls Anwalt ist. Der erbt nach dem Selbstmord seines Onkels dessen Kanzlei im fiktiven Neustadt, samt Personal und Mandanten. Dass Onkel Oskar ein Winkeladvokat mit bisweilen fragwürdigem Umgang war und Paul Colossa längst nicht der souveräne Überflieger ist, als den er sich selbst gerne sieht, macht die Sache spannend. Nur gut, dass Paul auf die Hilfe von Oskars hartgesottener Sekretärin – und zugleich Ex – Christiane und seinem alten, ein wenig zwielichtigem Kumpel Attila bauen kann.

Esch will zeigen, dass auch Anwälte nur Menschen sind, selbst wenn deren Ansehen zusammen mit Politikern und Managern das Schlusslicht unter den Berufen bildet: "Das ist nicht fair, wir können ja nichts dafür, dass wir anderer Leute Schmutz wegmachen." So hat er für die Lesung zunächst eine Passage ausgewählt, die Paul Colossa ganz privat im verbalen Clinch mit seiner Physiotherapeutin zeigt. Das ungleiche Duell nebst Seitenhieben auf esoterischen Unfug von Heilsteinen bis Homöopathie sorgt im Saal immer wieder für Gelächter, ebenso Pauls erster, gnadenlos an der Tücke des Objekts scheiternder Auftritt am Neustädter Amtsgericht.

Eschs Fachgebiet macht sich in "Jagdtrieb" deutlich bemerkbar. Exemplarisch demonstriert er den juristischen Ansatz bei Pauls Reminiszenzen an sein Studium und die damit verbundenen Übungsklausuren. Trockener Kommentar zur verzwirbelten Ereigniskette, in der die Aufgabe versteckt ist: "Mit der Wirklichkeit im Gerichtssaal hat die juristische Ausbildung wenig zu tun." Doch der Autor hat seinem Helden einen juristischen Reflex verpasst, den Esch nach Kräften komödiantisch nutzt. Selbst wenn Paul halbnackt in stockfinsterer Nacht einem vermuteten Einbrecher nachschleicht, betrachtet er seine Situation grundsätzlich unter fachlichen Aspekten. Mit dem Brotmesser in der Hand wird für Paul aus der Notwehrregel "Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen" logischerweise "Da würde das Recht dem Unrecht ein paar klaffende Löcher verpassen".

Trotz oder gerade wegen seiner menschlichen Schwächen kommen Paul Colossa und seine Welt beim Publikum an. Der begeisterte Beifall im Gerichtssaal entlockte Hendrik Esch ein erfreutes "Das hört man hier sonst nie." Bange um die Zukunft des Helden muss man nicht sein: Im Frühjahr 2020 erscheint mit "Giftrausch" der zweite Colossa-Roman, und für den dritten Band, der für Frühjahr 2021 geplant ist, recherchiert Esch gerade.

An Material mangelt es dem Autor nicht, verarbeitet er in seinen Romanen doch seine Erlebnisse aus seinem regulären Alltag als Anwalt: "Da stehen überall reale Personen und Ereignisse dahinter, die ich aber so stark verfremdet habe, dass man niemand mehr erkennt." Selbst Colossas Freund Attila hat so einen Vetter in der Realität: "Ich bin allen Charakteren irgendwo begegnet, Richtern, Mandanten oder Zeugen – da trifft man jemand und denkt ‚das ist ja ‘ne schräge Type‘."

Diese Verankerung ist der Grund, warum Geedo Paprotta 2015 zu Hendrik Esch wurde: "Ich wollte schon Bücher schreiben, bevor ich Anwalt wurde; ich war nur nie fleißig genug dazu. Und ich wollte immer einen Roman schreiben, aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, das über meinen Beruf zu machen." Den endgültigen Anstoß gab ein Freund, der ihm vorschlug, seine Erlebnisse und Anekdoten literarisch zu verarbeiten. Die Erlebnisse Paul Colossas hat er von Anfang an als Serie konzipiert – "das war zu viel für nur ein Buch". Auch wenn sein Ansatz ist "Ich schreib jetzt mal drauflos und schaue, wie sich die Figur entwickelt", hat er schon ein paar Bücher im Voraus geplant und weiß grob, was er mit Paul Colossa vorhat.

Verlagstechnisch hat Esch mit "Jagdtrieb" eine für einen Erstling eher ungewöhnliche Punktlandung hingelegt: Ein befreundeter Theaterregisseur hatte das ursprüngliche Manuskript vorab durchgesehen und einige Kürzungen und Straffungen empfohlen – aber mehr auch nicht. Der Lektor des Goldmann-Verlags, bei dem Esch untergekommen ist, hatte dann bis zum Druck kaum etwas zu tun.

Mittlerweile ist Eschs Vorlauf zwei Jahre von der ersten Idee bis zum fertigen Buch, wobei die reine "Schreibzeit" ein Jahr beträgt. Dabei schreibt er lieber unter Zeitdruck nach der Arbeit – zumindest ist er mit dem Ergebnis zufriedener: "Wenn ich im Urlaub ein paar Tage hintereinander durchschreibe, dann schaue ich später drüber und streiche die Hälfte wieder raus, weil das zu ausufernd geworden ist." Zugute kommt ihm dabei, dass ihm das typische Amtsdeutsch nicht wirklich liegt und er es sich deshalb nicht für seine Romane erst wieder abgewöhnen muss. Insgesamt also gute Aussichten für den Krimihelden, der zwar in der bayerischen Provinz aktiv ist, aber die Untiefen des meist dröge-unbeholfenen Regionalkrimis meidet.

Mit der Wirklichkeit im Gerichtssaal hat die Ausbildung wenig zu tun.

Ich wollte schon Bücher schreiben, bevor ich Anwalt wurde.

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