Gymnastik-Frauen aus Sengenthal am Puls der Zeit

9.12.2020, 14:27 Uhr
Gymnastik-Frauen aus Sengenthal am Puls der Zeit

© Foto: Martin Herbathy

"Ich muss was machen, sonst werde ich krank", lautet noch heute das Lebensmotto der 68-jährigen Renate Pröbster. Und gemacht hat sie viel, seit sie vor über 50 Jahren in den Sportverein eingetreten ist – damals hieß er noch DJK-SV Sengenthal. Dazu gekommen war sie eher zufällig: Sie arbeitete als Auszubildende im Büro des Zementwerks, in dem auch Fußball-Abteilungsleiter Hans Wengemann beschäftigt war. Der kam öfter mit der Bitte "Tipp das doch schnell ab" zu ihr und meinte dann irgendwann: "Du musst da mal abends mitkommen."

Also kam sie mit in die Hubertusklause, das damalige Vereinsheim, trat in den Verein ein und wurde gleich zur Schriftführerin gewählt. "Das durfte ich 1968 mit 16 Jahren noch gar nicht allein machen und hatte einen Erwachsenen zur Seite gestellt," erinnert sich Renate Pröbster. "Ab da war der Sportverein meine Leidenschaft, obwohl mir die Wahl erst ein bisschen peinlich war, weil ich noch recht schüchtern war."

Seitdem hatte sie immer ein Ehrenamt im Verein inne – "das war oft Stress, aber ich habe es immer gern gemacht." Für ihr Engagement wurde ihr 2015 bei der 40-Jahrfeier der ASC-Gymnastikabteilung die zweithöchste Auszeichnung des BLSV verliehen, die Verdienstnadel in Gold mit Brillanten.

Akkurate Buchhalterin

Beim Bau des Sportheims 1971 war Renate Pröbster ebenfalls gefragt. Sie dokumentierte alle von den Mitgliedern geleisteten Arbeitsstunden. Nicht nur hier arbeitete sie eng mit "unserem großen Organisator", dem 2019 gestorbenen Hans Holzammer zusammen: "Der Hans hat für den Verein gelebt, ihm hat der ASC so viel zu verdanken."

Anfang der 1970er-Jahre gab es im Verein die Fußballer und die Schützen, die Tennis-Abteilung war gerade an den Start gegangen. "Aber nur für Frauen war nichts dabei", erläutert Renate Pröbster ihre Motivation, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Sie fragte das Interesse in der Gemeinde ab und gründete daraufhin im November 1974 die Gymnastikabteilung. Für die gab es anfangs eine externe Übungsleiterin, die aber nach kurzer Zeit absagen musste. Also leitete Pröbster die Gruppe von da an selbst – zunächst kommissarisch, 1975 machte sie dann offiziell den Übungsleiterschein.

Es fing an mit zwei Frauengruppen, aber dabei blieb es nicht: "Ich habe immer geschaut, dass wir neue Übungsleiterinnen gekriegt haben, wir haben auch immer neue Sachen gemacht." Skigymnastik, Step-Aerobic, Yoga, Kinderturnen – in ihrer Glanzzeit hatte die ASC-Gymnastikabteilung 20 Gruppen. "Mir gefällt jeder Sport, ich treibe gerne Sport, und ich schaue auch gerne zu", erzählt Renate Pröbster, die auch bei der DJK zwölf Jahre lang Handball spielte und bis 1970 bei den Schützen in der Luftgewehrmannschaft antrat.

Immer mehr als nur Sport

Nach wie vor führt sie eine der beiden Frauen-Gymnastikgruppen und ebenso die Männergruppe, die später hinzugekommen war. Sie und ihre Mitstreiterinnen haben sich aber nie allein auf den Sport beschränkt. Mit der Abteilung haben sie über die Jahre "bestimmt 50 Ausflüge" durchgeführt, in die Berge oder auf Weihnachtsmärkte. Selbstverständlich wurden auch die Vereinsfeste mit organisiert, für die Festdekoration gesorgt, während der Feiern bedient und anschließend abgebaut.

"Sonst ist es ja so, dass der Mann mehr fortgeht, bei uns war es umgekehrt," blickt Renate Pröbster auf ihre Vereinskarriere zurück. Gut, dass ihr Mann als Fußball-Spielleiter und inzwischen bei der Männergymnastik selbst im Verein aktiv ist, sonst hätte wohl ab und zu der Haussegen schief gehangen. Ihre Tochter Christina Pröbster-Stemmer ist ebenfalls beim ASC – und hat selbstverständlich auch den Übungsleiterschein.

Schade findet sie es, dass Aktivitäten wie Vereinsfeiern die Menschen nicht mehr so interessieren wie früher und viele trotz der Kosten auch lieber im Fitnessstudio als im Sportverein trainieren, weil sie dort unabhängiger sind. Gerade die coronabedingte Zwangspause mag für manchen Anlass sein, den Vereinssport komplett aufzugeben. "Aber das wird auch mal wieder anders", ist Renate Pröbster optimistisch.

"Vereine müssen sich ändern"

Es gehe aber nicht ohne eigenes Zutun. "Auch die Vereine müssen sich ändern und anpassen", meint sie etwa im Hinblick auf das Problem, dass viele Frauen arbeiten müssen und die meisten Menschen beruflich so eingespannt sind, dass die Freizeit sorgfältig geplant sein will.

Diese Einschätzung teilt auch Marlies Ducksch-Reitemeier, Die 58-Jährige war mit ihrer Familie 1995 aus dem Raum Göttingen nach Sengenthal gezogen und gleich in den ASC eingetreten, um Kontakte aufzubauen und vor allem auch wieder sportlich aktiv zu werden. Sie war schon als Jugendliche im Sportverein, hatte dann aber durch Ausbildung und Beruf keine Zeit mehr gehabt. In Sengenthal sollte sich das ändern – "und ich bin gut hier angekommen als Zugereiste", sagt sie schmunzelnd.

Schnell hat sie dann auch Funktionen im ASC übernommen. So war sie von 1997 bis 2001 Jugendleiterin, dann wechselte sie zur Gymnastikabteilung, die sie seit 2009 leitet. Von Anfang an betreute sie das Kinderturnen, 2001 machte sie deswegen auch den Übungsleiterschein. "Damals war ich eine der ältesten im Lehrgang, aber das war total schön", beschreibt sie ihre Erfahrungen. Ebenso viel Spaß hat sie mit der Leitung der Frauen-Gymnastikgruppe.

Im Verein, weil man vereint etwas macht

Wichtig ist ihr aber vor allem, mit anderen Sportbegeisterten zusammenzukommen, Gleichgesinnte zu treffen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Trotz der Konkurrenz durch Fitnessstudios und die zunehmende Vereinzelung ist ihr deshalb um diesen Aspekt des Breitensports nicht bange – man ist im Verein, weil man vereint etwas macht.

Und vereint ist man nicht nur beim Sport: Die Frauen im ASC haben viele Aktionen initiiert, die oft weit über die Vereinsgrenzen hinaus strahlten. Hierzu gehört der Wellnesstag, der seit 2004 immer im Frühjahr stattfindet. Aktionen wie der "Lebenslauf" 2003, der Sengenthaler Zehnkampf 2005, oder der Indoor-Cycling-Marathon 2010 wurden dabei mit einem guten Zweck verknüpft. Auch bei der Weihnachtsaktion der Gemeinde ist die Abteilung stets dabei. So ermöglichte sie einem afrikanischen Jungen eine Operation, die ihm seine Hände wiedergab, oder halfen nach dem Erdbeben in Haiti. 2011 organisierten sie eine Typisierungsaktion der DKMS, durch die 440 potenzielle Knochenmarksspender gewonnen wurden.

"Ein Verein muss mit der Zeit gehen," lautet ihre Maxime – deshalb freut sich Marlies Ducksch-Reitemeier, dass sich das neueste Angebot g schon vor dem Start als Renner abzeichnet: Für "Jumping-Fitness" hat der ASC zehn Trampoline angeschafft. Angelegt ist es als Gruppensport, "weil es da mehr Spaß macht und motiviert."

Nachwuchs in den Startlöchern

Dabei kann sie wie stets auf Rückhalt aus dem Team hoffen. Mit Karolin Beer und Sabrina Bengl stehen "zwei ganz junge, fitte Übungsleiterinnen" in den Startlöchern. Diese hatten gerade noch vor dem Lockdown ihre Scheine gemacht und ein ausführliches Konzept entwickelt. Hätte Corona dem nicht einen Strich durch die Rechnung gemacht, wäre es im Januar losgegangen. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: "So bald es wieder geht, legen wir los."

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