"Man hat uns das Geld aus der Tasche gestohlen"

2.4.2013, 17:00 Uhr

© Nahr

Im Rahmen des Insolvenzverfahrens verloren alle Altaktionäre komplett ihr Kapital. Viele von ihnen sind alles andere als kaltschnäuzige Spekulanten, sondern Normalbürger aus dem Neumarkter Raum - und oft besonders mit Pfleiderer verbunden. Drei Begegnungen.

Nein, Robert M. (Name geändert) vergießt keine Träne, aber nach dem Gespräch sind seine Augen sichtlich gerötet. Der 71-Jährige kann die Erregung, den Ärger kaum verbergen. „Bei Pfleiderer geht‘s immer aufwärts, hat es geheißen...so dumm kann man nur sein, wenn man keine Ahnung hat.“

Robert M. war 25 Jahre bei Pfleiderer beschäftigt. Als Lkw-Fahrer hat er erst per Stundenlohn mit den Spanplatten-Transporten ein „Supergeld“ verdient — bevor er mit Kollegen in einen Speditionsableger ausgegliedert worden ist — und einen deutlich schlechteren Monatslohn bekommen hat.

Das Unternehmen war nicht sehr nett zu ihm. Und dennoch hat sich der Vater dreier Kinder und Hausbesitzer im Landkreis Neumarkt entschlossen, sein Erspartes in die Firma zu stecken. Bei 19 Euro lag damals die Aktie. Und M.s Hausbank riet dem Lkw-Fahrer dringend, das Papier zu kaufen. Prognose: 30 Euro. Robert M. ließ in zwei Tranchen insgesamt 3000 Pfleiderer-Aktien ordern. Er tat, was viele seiner Kollegen auch getan haben. „Jeder hat damit gerechnet, dass es wieder aufwärts geht, und eine zeitlang ging es auch aufwärts.“

Robert M. erinnert sich: Bei 3,50 Euro rangierte das Papier, als eine andere Bank wegen des angeblichen Kurszieles von sieben Euro zum Halten riet. „Ein paar Tage später lag sie unter einem Euro, mit einem rechtzeitigen Verkauf hätte ich ein bisschen was gerettet, wenigstens 10.000 Euro...“ Robert M. wollte den Verlust nicht realisieren. Am Ende hatte er die kompletten 57.000 Euro verloren.

„Das ist eine Schweinerei“

„Dass Pfleiderer irgendwann in die Insolvenz geht: Damit hätte kein Mensch gerechnet, das ist eine Schweinerei, man hat uns das Geld aus der Tasche gestohlen.“ Wirkliche Existenzprobleme wegen des horrenden Börsenverlustes will Robert M. nicht zugeben. Nie hat er einen Urlaub gemacht, all die Jahre gespart in der Hoffnung, dass das kleine Vermögen bei dem so seriösen Unternehmen bestens angelegt ist. „Das tut freilich weh, so viel habe ich nicht verdient.“

Robert M. ging in die Rente. Bis vor zwei Jahren hat er auf 400-Euro-Basis weitergearbeitet, „damit ich über die Runden gekommen bin“. Nach der Pfleiderer-Pleite musste er seine Ruhestandsplanung komplett über den Haufen werfen. Robert M.: „Ich wollte den Kindern unter die Arme greifen, endlich einmal ausgiebig in Urlaub fahren...aber das hat sich alles zerschlagen.“ Sehr viel Lehrgeld hat der ehemalige Pfleiderer-Mitarbeiter mit seinem Ausflug aufs Börsenparkett gezahlt: „Mit Aktien will ich nichts mehr zu tun haben, das ist für mich tabu, ich will nicht noch einmal einen Haufen Geld verlieren.“

Von der Bonität Pfleiderers hatte Sebastian K. (Name geändert) immer nur den allerbesten Eindruck — nicht als Mitarbeiter oder Kunde, sondern als selbstständiger Dienstleister im technischen Bereich. Genauer möchte K. seine 30 Jahre währende Kooperation mit dem Holzverarbeitungsunternehmen nicht beschrieben haben. Neumarkt ist ein Dorf. „Ich hatte immer absolut großes Vertrauen, es gab nie einen Zahlungsverzug, die haben immer prompt bezahlt.“

Deshalb konnte sich der Handwerker auch nie und nimmer vorstellen, dass Pfleiderer insolvent werden könnte, „aber so, dass alles hin ist“. Bei diesem Erfahrungsschatz hat K. angenommen, dass „bei diesem Betrieb nie etwas passieren kann“. Im Gespräch mit Kollegen hat der heute 71-Jährige erfahren, dass die ihr Geld in Pfleiderer-Aktien angelegt haben. Deshalb kaufte auch Sebastian K. Anteile: im Oktober 1997 bei einem Kurs von 38 D-Mark 300 Stück und dann im April 2006 weitere 75 Stück zu 19,30 Euro, unter dem Strich zum damaligen Kurs ein Gesamtbetrag von über 7200 Euro.

„Das Blaue vom Himmel“

Als Auftragnehmer und Aktionär hat K. großen Anteil an der Unternehmensentwicklung genommen. Jedes Jahr, erst in Neumarkt, später in München, ist der Anleger zu den Hauptversammlungen gefahren. Heute erinnert er sich: „Das Blaue vom Himmel herunter haben die uns versprochen.“ Die Geschäftspolitik des damaligen Vorstandschefs Hans H. Overdiek, sein gescheiterter Expansionskurs in den USA, der Aufbau von rund einer Milliarde Schulden: „Größenwahn“, meint Sebastian K.

Auch der wirtschaftlich erfolgreiche Handwerker dachte nicht wirklich an Ausstieg aus dem Investment: „Ich habe die Aktien behalten, bis der letzte Pfennig weg war.“ Über 7000 Euro komplett weg. In existenzielle Nöte hat der Verlust den Ruheständler nicht gebracht. „Aber das ist ein Haufen Geld, ich habe das auch weggespart, ich hab Tag und Nacht dafür arbeiten müssen.“

Und langsam redet sich der Geprellte in Rage. Dass bei der Sanierung und im Insolvenzverfahren angeblich über 100 Millionen Euro nur an Berater geflossen sein sollen: „Das ist Wahnsinn.“ Die Folgen des Insolvenzverfahrens für die Altaktionäre, die nach dem Kapitalschnitt keinen Cent sehen: „Das sind doch Verbrechermethoden, wir sind rein enteignet worden. Wie gibt es sowas, dass alles weg ist?“

Die Ungereimtheiten des Falls Pfleiderer sind für Sebastian K. ein Ärgernis. Die Verlegung des Geschäftssitzes nach Düsseldorf: „Das war keine faire Sache.“ Das neue Insolvenzrecht, das eine Übernahme durch einen bis heute unbekannten Gläubiger ermöglicht: „Was sagt der Gesetzgeber eigentlich zu solchen Praktiken?“ Die Rolle der Familie Pfleiderer: „Wie kann man sich ein Unternehmen so aus der Hand reißen lassen?“

Auch Klaus L. (Name geändert) kann der früheren Eigentümerfamilie den Vorwurf nicht ersparen. „Persönliches Versagen“ sieht er. „Man kann doch ein Weltunternehmen wie dieses nicht so an die Wand fahren lassen.“ Der 68-jährige Kaufmann im Ruhestand fungierte bei Pfleiderer über 30 Jahre lang und zuletzt als leitender Angestellter, der keine Verantwortung im Vorstand zu tragen hatte.

L. erinnert sich an den früheren Vorstandschef Overdiek, dessen Selbstbewusstsein kaum zu überbieten gewesen sei. Das erfolglose Abenteuer in den USA, die gescheiterte Diversifizierung der Produktpalette, die enorme Verschuldung und das Fehlen eines „Plan B“ sei für ihn die „größte Enttäuschung“ gewesen, meint Klaus L.

Trotz der Unternehmensmisere, des Niedergangs der AG-Holding und des Rückzugs aus gescheiterten Investitionen im Ausland lebt der Pfleiderer-Ruheständler noch heute mit einem ungebrochenen Corpsgeist einer starken Firmenidentität. „Wir waren stolz, ein solches Unternehmen repräsentieren zu dürfen“, sagt Klaus L.

„Wir glauben an Holz“

Da schien es Ende der 90er fast zwangsläufig, quasi auch Miteigentümer des renommierten Arbeitgebers zu werden. L.s drei Kinder hatten ihr Studium abgeschlossen, das Haus war gebaut. Klaus L.: „Ich habe nicht schlecht verdient, und da haben wir gesagt, wir kaufen einen Batzen Aktien, denn wir glauben an Holz.“

Bei einem Kurs von 32 D-Mark stieg der leitende Angestellte ein und legte so einen Betrag von über 40.000 D-Mark an. Als dann das Unternehmen in die Krise und der Wert der Aktie in den Keller rutschte, war an das Verkaufen, ans Ummünzen des Verlustes nicht zu denken. „Die AG wird nicht pleite machen, sie wird durch ein riesiges Tal gehen und das wird durchschritten werden, wir werden wieder nach oben kommen, hundertprozentig“, sagte sich Klaus L.

Die rund 20.000 Euro sind verbrannt. „Die finanzielle Geschichte ist abgehakt.“ Einerseits hat der Fall Pfleiderer nach Meinung des früheren Mitarbeiters nach außen eine verheerende Wirkung: „Man muss einen totalen Vertrauensverlust bei der Anlageform Aktien befürchten.“ Andererseits hat Klaus L. auf recht zwiespältige Weise seinen Frieden gemacht. Dass er – wenn auch zwangsweise – auf finanzielle Ansprüche gegen seinen früheren Arbeitgeber verzichten musste, ist so etwas wie sein ganz persönlicher Sanierungsbeitrag: „Wir wollen nur das Beste für das Haus Pfleiderer, es ist toll und optimal, dass der Standort Neumarkt so stark ist und jetzt die neue Presse gebaut wird, ich bin nicht total traurig und zermürbt, ich möchte, dass das, was wir aufgebaut haben, erhalten bleibt.“

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