Martinis Chansons waren wegweisend für die französischen „mélodies“

10.1.2016, 17:33 Uhr

Der Empéreur verfügte, dass das Requiem bei allen Trauerfeierlichkeiten für den durch zwei Schüsse in die Knie hingestreckten Maréchal Lannes, Graf von Montebello, gespielt werden sollte – landesweit, und nicht die von Martini schon vorbereitete „Messe des morts“. Oder bei Napoleons Hochzeit mit der österreichischen Kaisertochter 1810 nicht Martinis große Kantate zu vier Stimmen und Orchester. Bei der Hochzeit mit Joséphine Beauharnais zuvor, auch da bekam Cherubini den Vorzug.

Aber Martini hat zumindest politisch seinen großen Gegner überlebt. Nicht zuletzt durch die Vielfalt seines Werks, an dessen Ende die Kirchenmusik dominierte.

Ein halbes Jahrhundert zuvor waren es Opern und Singspiele, mit denen Martini seine Karriere in Frankreich begann: „Der 15-jährige Liebhaber“ soll darunter das beste Stück gewesen sein – sentimental, mit kurzen Arien, Duetten, Märschen und Tänzen. Es bewies Martinis Geschick für graziöse und eingängige Melodien. 16 Opern hat er komponiert, sie haben ihm den Beifall des höfischen Publikums eingebracht (ab 1771).

Die heutige Einschätzung ist dagegen sehr verschieden: die Popularität von „Annette et Lubin“ hätte sich nicht mit der des Originalstücks von Charles-Simon Favart vergleichen lassen – dieser Einwand steht der Begeisterung gegenüber, die etwa Wolfgang Riedelbauch entwickelt, wenn er das Stück für seine „Musica Franconia“ 2016 vorbereitet.

Aber der ganz große Publikumserfolg sind die ersten Opern nicht gewesen: die zeitgenössische Kritik meinte, sie seien zu „nobel“ im Ton. Mit seiner „Sappho“ dagegen hat Martini 1794 nach seiner Rückkehr aus dem Lyoner Exil das Publikum nach den Schreckensjahren der Revolution wieder für sich eingenommen: Sie gehört nicht nur in deren neue Zeitrechnung, sondern in den neuen heroischen Geschmack, den auch ein Simon Mayr aus Ingolstadt in Italien pflegte.

Im Gegensatz zu den Opern Glucks passten die Opern Martinis wohl eher in die Opernhäuser zweiten Ranges, und die Forschung meint, es sei eine Übertreibung, dass Martini ein „Erneuerer der französischen Oper“ gewesen sei.

Mit Militärmusik empfohlen

Den Grafen und Herzögen des „ancien régime“ hat ihn seine Militärmusik empfohlen: auch für den ersten festen Posten beim Prinzen von Condé und eine Laufbahn als Militärmusiker. In Versailles komponierte Martini einen Marsch für die Schweizergarde und wurde ein „Officier à la suite“ in einem Husarenregiment. Seine „neue“ Militärmusik fand auch Eingang in Martinis Opern, besonders in „Henri IV“ (Zwischenspiel zwischen dem 2. Und 3. Akt); Beispiele davon hat Kurt Karl in Freystadt dirigiert.

Aus der gleichen Zeit stammt sein Ruf als Komponist von Romanzen und Liedern: Seine Neuerung war es, diese nur noch durch ein Klavier begleiten zu lassen (anstelle des früheren basso continuo).

Damit wurden Martinis Chansons wegweisend für die französischen „mélodies“ der Zukunft: auch mit ihrer lieblichen Melodie-Linie oder mit satirischen und komischen Elementen, wie sie in den Versen der führenden Dichter Frankreichs, die er vertonte, zum Ausdruck kamen. Berühmt wurde „Plaisir d’amour“ bis hinein in die Chansonzeiten des 20. Jahrhunderts.

Martinis theoretisch-pädagogische Werke schlugen eine Brücke zwischen deutscher und französischer Musiktheorie sowie zwischen den alten Formen wie Fuge, Cantus firmus und den modischen theatralischen und dramatischen Effekten, wie sie die revolutionären „Fetes“ liebten.

Ihren Niederschlag haben seine theoretischen Überlegungen in einer dreibändigen Orgelschule sowie in einer Gesangslehre gefunden. Die Symphonien, wie sie gelegentlich auch die Freystädter Martini-Aufführungen garnierten, bewegen sich im Zeitgeschmack. Sie vertragen durchaus den Vergleich mit manchen Stücken von Haydn und Mozart: gefühlvoll, dramatisch, mit Effekt und geschicktem Bläsereinsatz.

In ihnen spiegelt sich das höfische Leben der aristokratischen Salons, der Bälle bei Hof, der Galanterien – was ihnen fehlt, ist meist ein wirklich zündender Gedanke, der in Erinnerung bleibt. Nicht zu Unrecht ist die Musikgeschichte darüber hinweggegangen.

Imperialer Pomp

Das Spätwerk Martinis ist ganz wesentlich durch seine Kirchenmusik bestimmt: besonders für die zu offiziellen Anlässen. Große vokale und instrumentale Besetzungen, ob sie nun in den Kram des Kaisers passten oder nicht, machten Effekt und entsprachen dem imperialen Pomp in Frankreich, den auch die restaurierte Bourbonenherrschaft pflegte. Zumindest teilweise sind sie damit auch ein Vorbild für Hector Berlioz („Te Deum“) geworden.

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