"Maske tut nicht weh": Menschen in China verstehen Corona-Demos nicht

13.11.2020, 09:52 Uhr

© Foto: Martin Werthammer

Wenn er Bilder von Querdenker-Demos sieht, wenn er wütende Tiraden gegen die Maske in der Facebook-Gruppe "Du bist ein echter Neumarkter..." liest. "Die Maske tut doch nicht weh," sagt Werthammer.

Denn während Deutschland sich so wie ganz Europa mitten in der zweiten Corona-Welle befindet, die Zahl der Toten steigt und es alles andere als sicher ist, ob der zweite Lockdown tatsächlich mit diesem Monat endet, scheint China die Pandemie im Griff zu haben. "Hier ist weitgehend der Alltag wieder eingekehrt", sagt Werthammer.


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Dabei hat die weltweite Pandemie in China begonnen. Über 5000 Menschen starben nach amtlichen Angaben. 85 000 Menschen hatten sich bis April infiziert. 556 Infizierte zählte das gesamte Land am 11. November. Eine fast schon zu vernachlässigende Zahl bei einer Gesamtbevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen.

© Foto: Martin Werthammer

Selbst falls die offiziellen Zahlen um den Faktor zehn oder sogar hundert zu gering sind, ändert sich daran nichts, meint Werthammer. Das Land scheint mit einer Reihe drastischer Maßnahmen die Pandemie unter Kontrolle gebracht zu haben.

Im Januar wurde binnen zwei Tagen die Stadt Wuhan mit elf Millionen Einwohnern abgeriegelt. Auch für die anderen Provinzen wurden starke Einschränkungen verhängt. "Das hat jede Region einzeln geregelt, so ähnlich wie die deutschen Bundesländer."

Die Menschen durften ihre Wohnungen nicht ohne Grund verlassen. Restaurants und Geschäfte wurden geschlossen, Fabriken stellten die Produktion ein. An den Eingängen zu Wohnblocks und anderen Gebäuden wurde Fieber gemessen. Mit Hilfe von Handy-Apps wurde die Bewegung der Menschen überwacht. Jeder hatte seinen persönlichen QR-Code. Es herrschte Maskenpflicht. Mund-Nasen-Schutz wurde plötzlich zur heiß begehrten Mangelware – genau wie in Deutschland.

Werthammer, der als Physiker für den TÜV Rheinland arbeitet – "wir beraten die Werkbank der Welt, wie ihre Produkte den europäischen Sicherheitsstandards entsprechen" – musste ins Home Office. Nach zwei Monaten durften die ersten Mitarbeiter wieder in die Firma. Sogar vier Monate waren Tochter Amelie (6) und Sohn Felix (13) auf Online-Unterricht in der Wohnung beschränkt. Seine Frau Xiaowen Shen hielt alles zusammen. "Hier in Shanghai sind wir seit sieben Wochen zuhause - online Heimbeschulung, Home Office, und leben immer noch", schrieb Werthammer damals.

Heute in der Rückschau sagt er: "Manchmal hat es schon ziemlich genervt. Ich kann deshalb die Frustration in Deutschland wegen eines zweiten Lockdowns schon verstehen." Nur: Das könne man halt nicht ändern.

Demonstrationen wie die Querdenker-Proteste in Leipzig, Berlin oder die kleinen Kundgebungen in Neumarkt hat es in China während der Pandemie nicht gegeben. "Die Menschen hier verstehen das gar nicht", sagt Werthammer. "Meine chinesischen Verwandten fragen mich dann ,was ist bei Euch los?‘."


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Es sei auch eine Mentalitätsfrage. Zu Beginn des Lockdowns etwa habe er sich mit deutschen Arbeitskollegen für ein Bier an einer Tankstelle treffen wollen. "Unsere chinesischen Frauen haben dies nicht zugelassen."

Aber liegt dies nicht daran, weil in China eine Diktatur herrscht? Nein, meint Werthammer. Die Menschen nehmen nicht alles klaglos hin. Doch Protest richtete sich nicht gegen die Seuchen-Bekämpfung, sondern gegen ganz konkrete Missstände. Wenn kranke Menschen zu Fuß von Krankenhaus zu Krankenhaus geschickt wurden. Wenn Menschen in Quarantäne zu wenige Lebensmittel oder in schlechter Qualität vor die Wohnung geliefert bekamen. "Die Unzufriedenheit äußert sich hier in den sozialen Medien", sagt Werthammer. Die Regierung beobachtet diese deshalb sehr genau. Manche Posts verschwinden. Eine Zensur findet statt.

Auf der anderen Seite bekomme das Regime viel Zustimmung. Er höre oft von Chinesen im Blick auf die vielen Corona-Toten in den USA: "Gerade zeigt sich, welches System gut mit Krisen umgehen kann." Einschränkungen der Meinungsfreiheit würden nicht so stark zählen.

"Es ist noch nicht zu 100 Prozent wieder so wie vor der Corona-Pandemie", sagt Werthammer. "Aber im Großen und Ganzen ist Normalität eingekehrt." Der offensichtlichste Unterschied: Die Menschen tragen Masken in den öffentlichen Verkehrsmitteln. Doch alle Geschäfte sind geöffnet. Alle Restaurants und Bars haben offen. Nur an manchen Eingängen muss man noch seinen persönlichen QR-Code scannen lassen.

Am 1. Oktober war der Chinesische Nationalfeiertag. Bei den zahlreichen Großveranstaltungen war an so etwas wie das Abstandsgebot gar nicht zu denken. "So etwas lässt sich hier gar nicht durchsetzen."

Allerdings hat die Pandemie auch Spuren hinterlassen. "Man sieht schon, dass Läden oder Restaurants leerstehen", sagt Werthammer. "Die Wirtschaft hat Schaden genommen."

Doch letztlich sei China gut durch die Pandemie gekommen. Die Einschränkungen seien schon heftig gewesen. "Da nehme ich die Maske doch gerne in Kauf, wenn ich mich dafür frei bewegen kann."