"Niemand sollte schlechte Arbeitsbedingungen hinnehmen"

19.7.2013, 12:59 Uhr
Auch wenn man heutzutage wenig Handlungsspielraum hat, muss man versuchen, ihn zu nutzen, sagt die Psychologin Cornelia Niessen.

© Anna Böhm do Nascimento Auch wenn man heutzutage wenig Handlungsspielraum hat, muss man versuchen, ihn zu nutzen, sagt die Psychologin Cornelia Niessen.

Frau Niessen, wie würden Sie einen selbstbewussten Arbeitnehmer beschreiben?

Niessen: Ein selbstbewusster Arbeitnehmer weiß, was er kann. Er weiß, wie gut er oder sie zu der Stelle passt und schafft es vielleicht auch, wenn er mehrere Jahre irgendwo ist, die Stelle an die eigenen Bedürfnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten anzupassen. Ein selbstbewusster Arbeitnehmer weiß, dass seine Arbeit Wertschätzung erfährt, er bekommt regelmäßig positives Feedback.

Welche Faktoren können bei Arbeitnehmern Angst auslösen?

Niessen: Ziemlich viele. Aber Menschen unterscheiden sich sehr darin, wie sie Ereignisse bei der Arbeit wahrnehmen. Für manche ist es schon beunruhigend, wenn etwas Neues gelernt oder wenn ein Umstrukturierungsprozess bewältigt werden muss. Für andere sind dies eher Herausforderungen, die positiv bewertet werden. Auch Stress und Arbeitsplatzunsicherheit können Angst machen. Angst einflößend sind auch Führungskräfte, die beleidigend und verletzend sind, die die Leute sehr unter Druck setzen, jemanden im Team bloßstellen. Mobbing gibt es aber auch auf der Kollegenebene.

Welche Möglichkeiten hat ein Unternehmer im Gegenzug, seinen Mitarbeitern Anerkennung und Wertschätzung entgegenzubringen?

Niessen: Viele denken, dass Anerkennung und Wertschätzung durch die Höhe des Gehaltes sichtbar wird. In manchen Bereichen kann es so sein, aber irgendwann sind Gehaltserhöhungen ausgereizt. Wichtig sind auch die Bedürfnisse der Mitarbeiter. Manche Mitarbeiter legen Wert darauf, dass sie eine hohe Arbeitsplatzsicherheit haben. Andere legen Wert darauf, flexiblere Arbeitszeiten zu haben. Auch sind Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten sehr wichtig. Und natürlich, dass im Alltag auch gesehen wird, was die Leute tun, dass man ein gutes Verhältnis zur Führungskraft hat. Es sollte eine Atmosphäre von Vertrauen und Gerechtigkeit in der Organisation herrschen.

Welche Auswirkungen hat es für das Betriebsklima, wenn sich verschiedene Beschäftigungsverhältnisse wie Mini- und Midijobs, Werk- und Zeitarbeitsverträge innerhalb eines Unternehmens finden?

Niessen: Das Problem ist, dass Zeitarbeiter oft eine Sonderstellung haben, sodass für sie für viele, die schon länger da sind, gar nicht zählen, wenn es um das Betriebsklima geht. Für die Zeitarbeiter ist das Betriebsklima dann schlecht, wenn sie sehen, dass sie zum Teil für die gleiche Arbeit unterschiedlich entlohnt werden, dass andere Anreize wie zum Beispiel Entwicklungsmöglichkeiten für sie nicht gelten. Wie gesagt, das ist eine Perspektive. Aus der Sicht der Festangestellten muss das nicht problematisch sein. Aus der Sicht der Zeitarbeiter kann es sehr problematisch sein.

Und wenn sich das Kräfteverhältnis verschiebt – also, wenn es immer mehr Zeitarbeiter und immer weniger Festangestellte in einem Unternehmen gibt?

Niessen: Dann muss einem als Betrieb auch klar sein, dass man immer mehr darauf verzichtet, dass die Leute sich auch an die Organisation binden. In der Regel wollen Organisationen ja, dass man sich auch emotional an sie bindet, dass man sagt: „Ja, das ist mein Betrieb.“ Das ist Kapital, auf das so eine Organisation auch in Krisenzeiten zurückgreifen kann. Dass die Leute sich gebunden fühlen und sagen: „Ja, ich mache trotzdem mit und ich bin trotzdem motiviert.“ Das ist mit Zeitarbeitern so eben nicht hinzubekommen. Wenn sie sich an die Organisation binden und dann wieder wechseln müssen, ist das nicht gut für ihr Wohlbefinden – und das wissen sie auch.

Welche Rolle spielt Anerkennung für einen Mitarbeiter?

Niessen: Sie müssen sich das so vorstellen: Es gibt immer Situationen, in denen wir keine Anerkennung bekommen, auch wenn wir etwas super gemacht haben. Ein psychisch gesunder Mensch steckt das weg. Aber wenn dies häufig vorkommt, eher die Regel als die Ausnahme ist, kann es im schlechteren Fall Burnout, Depression und starke psychische Erschöpfung begünstigen, im besseren Fall die Suche nach einem neuen Arbeitsplatz anregen.

Wie kann man in diesem Zusammenhang zum Beispiel Scheinselbstständigkeit bewerten - also Arbeitsverhältnisse, in denen Menschen wie Angestellte arbeiten, jedoch ohne die soziale Sicherheit eines Angestellten oder Boni wie die angesprochenen Entwicklungsmöglichkeiten?

Niessen: Als Psychologin kann ich Ihnen sagen: Das ist nicht das beste Arbeitsverhältnis. Ich kann mir vorstellen, dass Menschen das aus einer gewissen Not heraus eine Zeitlang machen, aber ich glaube nicht, dass es ihnen damit auf Dauer gut geht. Vielleicht sehen sie es als Sprungbrett in eine Festanstellung. Das ist ja auch die große Hoffnung der Zeitarbeiter: „ Irgendwann werde ich vielleicht mal übernommen. So habe ich wenigstens einen Fuß drin.“

Schlecht bezahlte Jobs nehmen tendenziell zu. Wer eine solche Arbeit ausübt, hat nicht mehr die Möglichkeit, sich nach einer anstrengenden Woche selbst zu belohnen. Was passiert mit so jemandem?

Niessen: Das ist von vielen Faktoren abhängig. Manche versuchen trotzdem innerhalb der Möglichkeiten, die ihnen noch bleiben, sich zu belohnen. Aber es kostet Kraft, sich selbst zu sagen, dass es weiter geht und dass jetzt vielleicht eine schwierige Zeit ansteht. Diese Situation begünstigt es, dass Personen gesundheitliche Einbußen erleiden können.

Durch die Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt gibt es kaum noch Planungssicherheit. Welche Folgen hat das zum Beispiel für junge Menschen?

Niessen: Manche behindert es in der Gründung einer Familie, sei es, dass sie zu sehr involviert sind in ihre Arbeit oder weil immer die Angst da ist, dass man, wenn man sich nicht genug anstrengt, den nächsten Sprung nicht schafft. Man sollte, glaube ich, auch ein Stück weit Unsicherheitstoleranz mitbringen.

Die Berufseinstiegstiegsphase wird durch Praktika oder Traineestellen immer weiter verlängert. Wenn man es krass formulieren möchte, kann man das als eine Art Erziehung junger Leute hin zur Demut bezeichnen?

Niessen: Ich würde es nicht ganz so pauschal sehen. In manchen Branchen ist das sehr der Fall, in anderen Branchen ist es nicht so. Wenn man es positiv sieht, ist so eine Zeit als Trainee nach der Universität beispielsweise etwas sehr wertvolles, denn da lernt man ja wirklich was. Aber danach sollte natürlich Schluss sein und es sollte irgendwie in ein normales Vertragsverhältnis übergehen.

Dieses von Praktikum zu Praktikum hüpfen gibt es ja oft in Branchen, wo es zur Zeit einfach wenig Arbeit gibt. Ob ich das als Demut bezeichnen würde? Wenn so was von den Arbeitgebern ausgenutzt würde, würde ich eher sagen, dass es sich um Ausnutzung handelt. In Zukunft werden jüngere Mitarbeiter immer weiter gefragt sein. Wir haben zur Zeit eine ganz gute Arbeitsmarktlage, auch im Vergleich zu anderen Ländern in Europa.

Wie sieht es mit der Qualität der Arbeitsverhältnisse aus?

Niessen: Das variiert. Das kann man nicht pauschal sagen. Was wir wissen ist, dass in den letzten Jahren die Anzahl der psychischen Erkrankungen gestiegen ist. Man führt das letztendlich auf eine Arbeitsverdichtung zurück, auf eine Überforderungssituation. Es ist in kurzer Zeit viel zu viel zu machen. Und dann natürlich gepaart mit den Unsicherheiten, die wir schon besprochen haben: Umstrukturierungen, Berufswechsel, Arbeitsplatzunsicherheit.

Sie haben die Bedingungen in anderen europäischen Ländern angesprochen. Wieviel soll ein Arbeitnehmer hinnehmen, wenn er sich bewusst ist, dass die Bedingungen anderswo noch schlechter sind?

Niessen: Hinnehmen sollte in diesem Land niemand etwas. Wenn jemand meint, dass die Arbeit keine gute Arbeit ist, ist der erste Schritt, dass man das Gespräch mit der Führungskraft sucht und bespricht ,was man vielleicht ändern kann. Oder man spricht im Team darüber. Wenn das in einer Organisation langfristig nicht geht, sollte man sich einen neuen Arbeitsplatz suchen.

Es ist wichtig, dass man heutzutage trotz allem nicht vergisst, dass man einen aktiven Part hat, auch wenn der Handlungsspielraum gering ist. Aber den muss man versuchen zu nutzen.

Cornelia Niessen ist seit 2011 Professorin am Lehrstuhl für Psychologie im Arbeitsleben der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Fragen im Zusammenhang mit Leistung und Gesundheit im Kontext von Veränderungen bei der Arbeit.

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