Zu Fuß durch Deutschland 

Nord nach Süd: 69-jähriger Franke läuft 1402 Kilometer heim

18.7.2021, 06:00 Uhr
Mit dem Kinderwagen unterwegs: Auf dem Nordostseekanal legte Walter Wärthl eine kurze Rast ein, um die großen Frachtschiffe zu bestaunen.

© WALTER WAERTHL, NNZ Mit dem Kinderwagen unterwegs: Auf dem Nordostseekanal legte Walter Wärthl eine kurze Rast ein, um die großen Frachtschiffe zu bestaunen.

Walter Wärthl hat die Zeit der Pandemie genutzt, um sich heuer ein wenig "in Deutschland umzusehen", wie er salopp sagt. Was nach einer spritzigen Autofahrt an Rhein oder Elbe klingt, wurde - wie immer, wenn er zu seinen "Ausflügen" ansetzt - eine Expedition mit dem Zelt in unbekannte Welten.

Denn Wärthl hat die Republik auf Schusters Rappen durchwandert, von Nord nach Süd, von Flensburg bis Füssen. Der drahtige 69-Jährige aus Velden im Nürnberger Land hat auf seiner 42-Tage-Tour fünf Kilo verloren, dafür aber jede Menge berauschender Eindrücke gewonnen, vor allem wunderbare Menschen kennengelernt hat.

Im Kinderwagen mit den groben Profilen wurde die gesamte Ausrüstung, Zelt und Verpflegung verstaut.

Im Kinderwagen mit den groben Profilen wurde die gesamte Ausrüstung, Zelt und Verpflegung verstaut. © WALTER WAERTHL, NNZ

1402 Kilometer ist er gelaufen, oft drei Stunden am Tag ohne Rast. "Der Körper stellt da auf Maschinenbetrieb um", sagt er und wundert sich über sich selbst: "Da hat mir nix weh getan". Die Arthrose in den Knien, das Zwicken im Kreuz, was ihn zu Hause plagt - beim Non-Stop-Laufen über Fahrrad- und Feldwege sei das alles verschwunden gewesen.

Einmal quer durch Deutschland. Vor dem Abmarsch hatte sich Walter Wärthl auf einer Karte seine Route genau notiert.

Einmal quer durch Deutschland. Vor dem Abmarsch hatte sich Walter Wärthl auf einer Karte seine Route genau notiert. © WALTER WAERTHL, NNZ

Die ersten 300 Kilometer marschierte seine Frau Susanne (59) an seiner Seite, ehe sie zurück an ihren Arbeitsplatz in einem Versicherungsbüro musste. Mit dem Zug waren die beiden Ende Mai von Nürnberg in Flensburg angekommen.

Dort ging es los am historischen Ochsenweg, einem 245 Kilometer langen Landweg zwischen Dänemark und Norddeutschland mit Mooren, Heidelandschaften und Seen.

Dann verlief ihre Route weiter über den Nordostseekanal bis Brunsbüttel und am Wattenmeer entlang bis Bremerhaven.

Wer die beiden zackigen Wanderer entdeckte, der wunderte sich, warum sie einen geländegängigen Kinderwagen mit groben Profilen so stramm vor sich herschoben. Denn darin schlummerte nicht etwa ein süßes Enkelkind, sondern Zelt, Schlafsack, Verpflegung, die ganze Ausrüstung eben, die man für das Campieren im Freien oder auf Campingplätzen braucht. Dazu eine Drohne, Stativ und drei Kameras.

In Melsungen beeindruckte den Wanderer das prächtige Fachwerk-Ensemble. 

In Melsungen beeindruckte den Wanderer das prächtige Fachwerk-Ensemble.  © WALTER WAERTHL, NNZ

Denn Walter Wärthl ist nicht nur Gleitschirmflieger und Bergsteiger, Skitouren-Geher und Motorradfahrer, sondern auch ein exzellenter Fotograf.

Drohende Wolken, glitzernde Seen, die simmernden Nudeln im Kocher vor dem Zelt oder die Gruppe der E-Biker, die Corona-konform zur Vesper mit Abstand einlud: die Ausbeute seiner beeindruckenden Aufnahmen und Filme verwandelt er gerade in einen unterhaltsamen, mitunter selbstironischen Videovortrag.


Vom Nordkap bis nach Velden


So wie er es gemacht hatte, als er im Jahr 2014 gut 1000 Kilometer von zuhause bis Paris gelaufen war. Auch als er im Jahr 2016 nach knapp 1500 Kilometern per pedes in Rom ankam, präsentierte er hinterher eine Bildershow.

Hobby-Fotograf Walter Wärthl machte mit seinen Spezialkameras ungewöhnliche Aufnahmen von sich und seiner Frau, die ihn zwei Wochen lang begleitete.

Hobby-Fotograf Walter Wärthl machte mit seinen Spezialkameras ungewöhnliche Aufnahmen von sich und seiner Frau, die ihn zwei Wochen lang begleitete. © WALTER WAERTHL, NNZ

Und natürlich auch, als er das größte Unterfangen seines Lebens geschafft hatte: 2018 war er in 98 Tagen vom Nordkap bis nach Velden gelatscht, genau 3645 Kilometer.

Walter Wärthl weiß es deswegen so genau, weil er in den Kinderwagen einen Kilometerzähler eingebaut hat, für einen ehemaligen Sicherheitstechniker bei Siemens keine große Sache. Die Bremsen behielt er die ganze Zeit über besonders im Auge: Auf dem Weg vom Hunsrück ins Moseltal ging es 20 Kilometer nur bergab, ohne funktionierende Bremse wäre das selbst für einen, den nichts längere Zeit auf dem Stuhl halten kann, kein Vergnügen gewesen.

Sonne, Wind und Regen, durchnässt im Zelt, bei Hitze auf der Piste: Warum tut er sich das an? Es sind die Momente der absoluten Freiheit, das Gefühl der Unbeschwertheit, nach denen Walter Wärthl lechzt. Und die Begegnungen mit Menschen, die seine Wege kreuzen: "Ich lächle die so lange an, bis ein Gespräch entsteht!".

Sonne und Wolken über dem Forggensee: Hier hatte der 69-Jährige sein Ziel fast erreicht.

Sonne und Wolken über dem Forggensee: Hier hatte der 69-Jährige sein Ziel fast erreicht. © WALTER WAERTHL, NNZ

Natürlich habe er in den sechs Wochen Heimweh gehabt, sagt er, in Lohr am Main habe er gedacht: "In zwei Tagen wärst Du in Velden". Und dann ist er doch weitergelaufen.

Als er am 29. Juni das Schloss Neuschwanstein in der Ferne sah, kullerten die Glücksgefühle zentnerweise in seinen Bauch. Dort wartete seine Susanne mit dem Auto, er konnte sie endlich wieder in die Arme schließen. Und: er hatte sein Ziel erreicht. "Germany von Nord nach Süd", keinen einzigen Kilometer hatte er ausgelassen.

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