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1. September 1971: Nürnberger Ehepaar entkam Schiffskatastrophe in Italien

1.9.2021, 07:00 Uhr
1. September 1971: Nürnberger Ehepaar entkam Schiffskatastrophe in Italien

© Polit

Vor knapp fünf Wochen waren sie mit ihrem Wagen in den Urlaub nach Griechenland aufgebrochen. Auf dem ausgebrannten Fährschiff mußten sie ihr Auto, viele Kleider, eine wertvolle Kamera- und Fotoausrüstung, Schmuck und ihre gesamten Personalpapiere zurücklassen. Vieles davon ist verbrannt.

Ihr fast neues Auto steht noch auf dem Wrack der „Heleanna“, und sie wissen bisher noch nicht, ob sie es jemals wiederbekommen werden oder ob es ebenfalls ausgebrannt ist. Für Rudolf R. wie für seine Frau, die beide schwere Handverletzungen davongetragen haben, wirft sich nun die Frage auf: „Wer kommt für unseren Schaden auf. Die griechischen Behörden hüllen sich bisher in Schweigen.“ Der Handelslehrer an der Berufsschule 4 beziffert seinen vorläufigen Schaden auf mindestens 25 000 DM, von einem entsprechenden Schmerzensgeld ganz zu schweigen.

15 Stunden nach ihrer Heimkehr nach Nürnberg stehen Rudolf und Rosalinde R. noch immer unter dem Einfluß des schrecklichen Erlebnisses am Morgen des 28. August. Sie sind voll des Lobes über die Hilfeleistungen durch die italienische Regierung und auch der Bevölkerung. „Alles lief unbürokratisch und war auf sofortige Maßnahmen abgestimmt.“

Am 25. Juli war das Nürnberger Ehepaar in den Urlaub aufgebrochen. Zunächst verbrachten sie 14 Tage in Italien und setzten dann mit der „Heleanna“ von Ancona aus nach Patras in Griechenland über. „Schon damals fiel mir auf, daß das Schiff überladen war. Im Prospekt gab die Reederei Efthymidis als Größe über 24 000 BRT an, obwohl die amtlichen Daten von 11 232 BRT sprachen.“

Neben dem Schiff schwammen Menschen im Meer

Am Donnerstag, 26. August, wollte das Ehepaar R. zurückfahren, wieder mit der „Heleanne“, die jedoch mehrere Stunden Verspätung hatte.

Um 10.30 Uhr, mit fast zehn Stunden Verspätung, legte die Fähre ab in Richtung Italien. Rudolf und Rosalinde R. bezogen gleich ihre Kabine und legten sich schlafen. Gegen Abend wachten sie auf, gingen ein wenig spazieren und gegen Mitternacht zurück in ihre Kabine.

Rosalinde R.: Es war ungefähr 6.30 Uhr Samstag früh, als ich durch lautes Hämmern wach wurde. Später erfuhr ich, daß die Geräusche von Versuchen herstammten, mit Hilfe von Stahlstangen die festgerosteten Rettungsboote freizubekommen. Gleichzeitig bemerkte ich, daß das Schiff keine Fahrt mehr hatte. Ich weckte meinen Mann und als wir aus dem Bullauge blickten, schwammen neben der Fähre bereits Menschen im Meer. Dazwischen sahen wie Rettungsboote.“

Rudolf R. und seine Frau stürzten, nur notdürftig bekleidet und mit Schwimmwesten angetan, aus der Kabine. In der Aufregung schloß Rudolf R. noch die Tür ab und steckte den Schlüssel ein.

In diesem Augenblick ertönte eine Stimme über Lautsprecher, die erklärte, es bestünde kein Grund zur Aufregung. Der Brand sei inzwischen eingedämmt. Dabei tobte an Deck das Feuer weiter.

Unter den Passagieren war bereits eine Panik ausgebrochen. Jeder versuchte, zu den wenigen Rettungsbooten zu kommen. „Besatzungsmitglieder sahen wir kaum. Viele hatten ihre Uniformen bereits abgelegt, um sich als Passagiere in Sicherheit zu bringen“, erinnert sich Rosalinde R. Einige Passagiere versuchten, mit dünnen Wasserschläuchen den Großbrand zu löschen. „Es ging altes drunter und drüber. Wir mußten aufpassen, nicht niedergetrampelt zu werden, wie es einigen Passagieren. Passierte“, erzählt Rudolf R.

Rettungsboote hatten schon Feuer gefangen, ein anderes stürzte vollbesetzt vor den Augen des Ehepaares beim Herablassen ab und riß die Insassen mit sich in die Tiefe. Viele erlitten dabei schwere Verletzungen. Die beiden Nürnberger suchten nun verzweifelt nach einer anderen Möglichkeit, sich zu retten, „Das für uns bestimmte Boot Nummer 1 ließ sich nicht aus der Verankerung lösen.“

Zwischendurch kamen wieder Durchsagen über Lautsprecher; „Keine Angst, es ist nicht so schlimm. Rettung ist in Sicht.“ Das stimmte nur teilweise: der libanesische Öltanker „Universe Defence“ lag in etwa zwei Seemeilen Entfernung. Näher durfte er nicht herankommen wegen der möglichen Explosionsgefahr. Während sich einige hundert Passagiere in der Rezeption stauten, hasteten Rudolf und Rosalinde über das brennende Deck durch den dichten Rauch. Rudolf R.: „Ich wußte, wir mußten schnell runter, wenn wir nicht umkommen wollten.“

Angst vor Haifischen

Schließlich entdeckten sie am Bug ein herabhängendes Tau. „Jetzt müssen wir runter“, schrie in dem Lärm der 35jährige seiner Frau zu, die immer noch zögerte. Dann ergriff sie eines der beiden Taue und kletterte hinunter. Sie merkte gar nicht, wie dabei dicke Hautfetzen der Hand an dem Seil hängenblieben. Nach fünf Metern aber kam ein riesiger Knoten. Sie sah nicht, wo das Tau weiterging und ließ sich kurzentschlossen die restlichen zwölf Meter in die Tiefe fallen. Ihr folgte Rudolf R., der sich beim Abseilen an beiden Händen schwere Fleischwunden zuzog.

Der Seegang hätte inzwischen zugenommen. Das Nürnberger Paar verlor sich aus den Augen. Aus Angst vor Haifischen schlossen sie sich anderen Gruppen Überlebender an. Man schwamm in Richtung des libanesischen Tankers. Nach zwei Stunden, Rosalinde war bereits dem Zusammenbruch nahe, hatten sie das rettende Schilf erreicht. Während die Frau an der Strickleiter emporkletterte, zog sich Rudolf R. mit letzter Kraft in ein längsseits liegendes Rettungsboot, aus dem die Überlebenden nach und nach an Bord gebracht wurden.

Während er zusammen mit weiteren 160 Überlebenden nach Bari kam, wurde seine Frau, die trotz ihrer Verletzung auf dem libanesischen Tanker einem Arzt bei der Versorgung noch schwerer Verletzter half, nach Brindisi gebracht, in ein notdürftig eingerichtetes ehemaliges Militär-Camp der Italiener.

Am Abend des Sonntags traf sich das Nürnberger Paar im Krankenhaus von Brindisi wieder, wo Rudolf R. lag. Am Montag fuhren die Nürnberger nach rührenden Abschiedsszenen von Ärzten und Krankenschwestern nach Brindisi, wo bereits eine Boeing 707 der deutschen Luftwaffe wartete, um sie mit den anderen Deutschen in ihre Heimat zu fliegen.

Am Montagnachmittag landete die Maschine in München-Riem, wo Rudolf und Rosalinde R. von Verwandten abgeholt wurden. Gestern mußten sie sich gleich zur Behandlung in die Hautklinik des Städtischen Krankenhauses begeben.

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