Primatenforscherin Jane Goodall: "Schimpansen sind wie wir"

14.2.2020, 07:15 Uhr
Die Britin Jane Goodall ist Primatenforscherin, Umweltaktivistin und UN-Friedensbotschafterin. Die 85-Jährige forderte an der FAU einen Wandel im Umgang mit Tieren und der Umwelt.

© epd-bild/Thomas Tjiang Die Britin Jane Goodall ist Primatenforscherin, Umweltaktivistin und UN-Friedensbotschafterin. Die 85-Jährige forderte an der FAU einen Wandel im Umgang mit Tieren und der Umwelt.

Als Jane Goodall vier Jahre alt ist, besucht sie mit ihrer Mama einen Bauernhof. Dort stehen Kühe auf der Weide, die Hühner picken im Hof nach Körnern. „Ich bin in London geboren und aufgewachsen, da gibt es nicht so viele Tiere“, erzählt Goodall. Das Mädchen ist begeistert und darf mithelfen. Sie sammelt die Eier ein. „Da habe ich mich gefragt, wie die Eier eigentlich aus den Hühnern kommen.“ Also krabbelt die Vierjährige in den Hühnerverschlag und schaut zu. Vier Stunden lang.

Ihre Mutter ruft irgendwann sogar die Polizei, weil sie sie nicht mehr findet. Doch als Jane wieder auftaucht, wird sie nicht geschimpft. Stattdessen hört sich ihre Mutter fasziniert an, wie Hennen Eier legen. „Damit bekräftigte sie in mir die Grundlagen jedes kleinen Forschers: neugierig sein und geduldig und nicht aufgeben – viele andere Mütter hätten das in diesem Moment zerstört.“


Jane Goodall eröffnet die Biofach 2020


Jane Goodall hat viele solche Geschichten im Gepäck. Sie sagt: „Nur mit Geschichten erreichst du die Herzen der Menschen – und nur über die Herzen dann auch die Köpfe.“ Inzwischen ist Goodall 85 Jahre alt. Vor 60 Jahren brach sie in den Dschungel von Tansania auf, um Schimpansen zu erforschen. Ihre Erlebnisse haben sie berühmt gemacht. Das nutzt sie, um sich weltweit für den Schutz der Natur einzusetzen. Am Mittwochmittag eröffnete Goodall in Nürnberg die Biofach, die Weltleitmesse für Bio-Lebensmittel. Am Abend hat sie vor 800 Gästen in der Aula der Universität an der Regensburger Straße gesprochen.

„Sie macht ihr Ding“, sagt Fabian Oriold. Der 27-Jährige ist schon eine Stunde früher gekommen, um einen Platz zu ergattern. „Das ist eine einmalige Gelegenheit, sie zu sehen.“ Der Eintritt ist frei. Seit zehn Jahren organisiert „bluepingu“ ein Begleitprogramm zur Biofach in der Stadt. Der Verein setzt sich für ein ökologisches Leben ein, jeder kann sich dort Tipps holen. „Wir wollen die Messe zu den Menschen bringen“, sagt Gründer Frank Braun. Sonst sind nur Fachbesucher erlaubt. „Mit Jane Goodall wollen wir auch Menschen erreichen, die noch nicht von bluepingu gehört haben und die sich jetzt nicht als ,öko‘ bezeichnen“, sagt Braun. „Wir haben schon viele Jahre versucht, dass sie kommt, sie ist eine Pionierin!“ Weil so viele Zuhörer erwartet werden, übertragen sie die Veranstaltung live in einen weiteren Hörsaal mit 400 Plätzen. Dort schaut Goodall später noch persönlich vorbei, um Hallo zu sagen.

Auch Tanja Montenbruck und ihr Sohn Moritz wollen sich das nicht entgehen lassen. Der 14-Jährige macht bei Fridays-for-Future mit. „Nur zu den Demos zu gehen, finde ich halbherzig“, sagt er. „Ich will mich auch informieren und meinen Horizont erweitern.“ Außerdem könne dann keiner sagen, dass es nur ums Schuleschwänzen ginge. Schließlich ist er Mittwochabend von 19.30 bis 22.30 Uhr beim Vortrag einer Primatenforscherin, Umweltaktivistin und UN-Friedensbotschafterin. „Sie hat gemacht, was niemand sonst zuvor gemacht hat“, sagt seine Mutter. „Sie hat sich durchgesetzt und es entgegen aller Erwartungen und Widerstände – vor allem von Männern – auch geschafft.“

Eine Frau allein im Regenwald

Als Jane Goodall 1960 als 25-Jährige in den Dschungel aufbricht, halten sie die meisten für verrückt. Eine Frau! Allein! Ihre Mutter begleitet sie am Anfang, damit sie fahren darf. „Wenn alle gesagt haben, dass das Mädchen nicht tun, sagte meine Mutter zu mir: ‚Gib nicht auf, du kannst alles tun, was du willst, aber du wirst hart dafür arbeiten müssen‘.“

Goodall hat nie eine Hochschule besucht. Weil sich die Familie die Gebühren nicht leisten kann, arbeitet sie als Sekretärin. Sie spart Geld, um eine Schulfreundin in Kenia zu besuchen. Dort lernt sie Louis Leakey kennen, den Kurator des Nationalmuseums. Er erkennt ihr Beobachtungstalent, schätzt ihren Wissensdrang und stellt sie ein. Leakey sammelt Geld und schickt Goodall auf eine Expedition in den Gombe-Nationalpark in Tansania.

Sechs Monate hat sie Zeit, sich zu beweisen. Die junge Frau mit der hellen Haut und dem blonden Pferdeschwanz gewinnt mit viel Geduld und Ausdauer das Vertrauen der Schimpansen. Sie flüchten nicht mehr, sondern lassen sich beobachten. „Schimpansen sind wie wir“, sagt Goodall. Sie sind die nächsten Verwandten des Menschen. Knapp 99 Prozent der DNA sind gleich. „Sie umarmen sich, sie halten Händchen, sie küssen sich und kümmern sich jahrelang um ihren Nachwuchs, aber sie führen auch Kriege, greifen benachbarte Gruppen an und töten Artgenossen.“ Sie habe im Dschungel so viel über die Schimpansen gelernt, erzählt Goodall, und damit auch viel über die Menschen. Eine Beobachtung bringt den Durchbruch: Ein Schimpanse benutzt Grashalme und Stöcke, um Termiten aus einem Loch zu angeln und dann zu essen. Die Fachwelt glaubt ihr nicht: Das Benutzen von Werkzeug gilt bis dahin als einzigartig menschlich. „Es war diese Beobachtung, die es ermöglicht hat, mehr Geld zu bekommen und einen Fotografen und Kameramann in den Dschungel zu schicken.“ Ein Video liefert den Beweis. Goodall darf an der Universität Cambridge promovieren. Sie wird eine „richtige“ Wissenschaftlerin.

60 Jahre Affenforschung in Tansania

Die Forschungsstation im Gombe-Nationalpark gibt es bis heute. Es ist die längste durchgehende Tierbeobachtung der Welt. Jedes Jahr ist Goodall zwei Wochen dort. Ihr Job jedoch ist inzwischen ein anderer. Auf einer Konferenz sieht sie 1986, wie in anderen Teilen Afrikas der Wald abgeholzt und der Lebensraum der Tiere zerstört wird. Schimpansen werden gefangen, als Haustiere gehalten, sie müssen Kunststücke vorführen und medizinische Versuche ertragen. „Wie können wir unseren nächsten Verwandten das antun?“, fragt sich Goodall. „Ich ging als Wissenschaftler auf diese Konferenz und verließ sie als Aktivistin. Das war kein bewusster Entschluss, das passierte ganz automatisch“

300 Tage im Jahr ist Goodall seitdem unterwegs. Sie hält Vorträge, besucht Konferenzen, sammelt Spenden, gründet Institute und Jugendgruppen. „Roots and Shoots“, Wurzeln und Sprößlinge, nennen sich Grundschüler bis Studenten, die sich in Goodalls Namen für die Umwelt einsetzen, Bäume pflanzen, Plastik sammeln, Flüsse renaturieren. Mehr als 150.000 junge Menschen in inzwischen 163 Ländern sind so aktiv „für eine bessere Welt für Mensch, Tier und Umwelt“. Denn das hängt alles zusammen. „Nur wenn es der Natur gut geht, geht es auch uns gut, und wenn die Natur stirbt, stirbt auch der Mensch“, sagt Goodall. Bei allem Schlechten auf der Welt, sei es genau dieses Engagement der vielen jungen Leute, das ihr Hoffnung gebe. „Überall auf der Welt kommen Kinder mit großen leuchtenden Augen zu mir und erzählen begeistert, was sie für die Umwelt tun“, sagt Goodall. „Jeder von uns hat jeden Tag einen Einfluss auf diesen Planeten und wir können jeden Tag entscheiden, welcher Einfluss das ist.“

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