14. Februar 1970: Brillantkette brachte 70.000 DM

14.2.2020, 07:00 Uhr
14. Februar 1970: Brillantkette brachte 70.000 DM

© Contino

Kleine Handwerker, die ihre Rechnungen oder Löhne nicht rechtzeitig zahlen können, wenden sich in zunehmendem Maße an das unter städtischer Aufsicht stehende Leihhaus. Als Sicherheit bieten sie den Schmuck ihrer Frauen oder elektrische Großgeräte – bis die Klippe wieder einmal umschifft ist.

Auch daran wird deutlich: die Zeit der alten Hose ist vorbei. Die Zeit also, in der Rentner und Arbeiter gebrauchte Kleidung versetzten, um für kurze Zeit wieder flüssig zu sein. Rentner und Arbeiter gehören zwar immer noch zur Stammkundschaft, können heute aber meist mit anderem Unterpfand aufwarten.

Der allgemeine Wohlstand schwemmt auch in die weiten Lagerräume der Leihhäuser: Schmuck stapelt sich in den Tresoren, Pelzmäntel drängen sich zu Hunderten auf der Stange und mit optischen Erzeugnissen und elektrischem Großgerät ließen sich etliche Fachgeschäfte für längere Zeit versorgen. Die Folge: Stückzahlmäßig geht das Leih-Geschäft zurück bei gleichbleibender Gesamtsumme an Darlehen.

Geld wird immer noch gebraucht. Daran hat sich nichts geändert, auch wenn in den Lagerräumen am Unschlittplatz elektrische Großgeräte heute da stehen, wo vor einigen Jahren noch Fahrräder, Mopeds und Motorräder auf ihre Besitzer warteten. Am 11. Februar waren 11.529 Pfandgegenstände in den Listen registriert. Ihren Gesamtwert schätzt Nothilfe-Direktor und Leihhaus-Chef Dr. Hans Baum auf runde zwei Millionen Mark. An Darlehen wurden dafür 750.000 DM gewährt.

Und Geld fehlt in allen Schichten außer Rentnern, die sich mit wenigen Mark über die letzten Tage bis zur nächsten Auszahlung „retten“ wollen (knapp über 50 Prozent aller Kunden nahmen im vergangenen Jahr Kredite zwischen elf und 50 Mark in Anspruch) sprechen auch Kunden mit gewichtigeren Finanzierungswünschen vor: das wertvollste derzeit im Leihhaus-Tresor liegende Pfand hat einen Wert von fast 60 000 DM; die höchste Summe, die je ausgeliehen wurde (für eine Brillantkette) beläuft sich auf 70.000 DM.

Doch das gleißende Geschmeide soll nicht den Blick trüben in anderen Notfällen: in jeder Woche zwei oder dreimal sitzen Mütter mit weinenden Kindern im Büro von Dr. Baum und bitten um etwas Geld. Natürlich wollen sie ein Pfand zurücklassen, aber die Pfänder sind in der Regel praktisch wertlos und nicht zu versteigern. Da aber das Leihhaus der Nothilfe eine Fürsorge-Einrichtung darstellt, drückt Dr. Baum dann beide Augen zu.

Denn beim Taxieren des Pfandes heißt es genau hinschauen: die Fachkräfte bleiben durch unablässiges Studium des Marktes up to date und legen strenge Maßstäbe an. Am höchsten beliehen werden Gold und Schmuck: bis zu zwei Drittel des Materialwertes kann der Kunde ausgezahlt bekommen. Bei optischem und elektrischem Gerät ist sehr differenziert zu bewerten, und für modische Kleidung beispielsweise kann nur wenig gewährt werden, weil sie nur schwer zu versteigern ist. Und versteigerungsfähig soll jedes Pfand sein, da etwa zwölf Prozent der Pfänder nicht eingelöst werden und versteigert werden müssen. Auch hier hat das Leihhaus wieder eine erhebliche Stammkundschaft, wobei etliche Nürnberger die Versteigerungen offenbar als Nebenerwerbsquelle nützen: sie erscheinen regelmäßig und gehen selten ohne eine Neuerwerbung nach Hause.

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