14. Juli 1969: Schwere Tumulte mit Schlägereien

14.7.2019, 09:25 Uhr
14. Juli 1969: Schwere Tumulte mit Schlägereien

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Die Gegendemonstration zur Großkundgebung der Jungen Union in der Messehalle mit der die CSU ihren Bundestagswahlkampf in Bayern eröffnete, endete mit einer Straßenschlacht: als Ordnungshüter die blockierte Fahrbahn der Äußeren Bayreuther Straße räumen wollten, gingen die Demonstranten zum Angriff über. Sie empfingen die Beamten mit Farbbeuteln, ließen Feuerwerkskörper detonieren und schleuderten Schottersteine gegen die Polizisten. Die Folge: Im Nu entstand eine handfeste Prügelei, bei der die Beamten auch ihre Gummiknüppel zogen.

Das gleiche Schauspiel wiederholte sich wenig später noch einmal vor dem Tagungslokal. Als sich die Demonstrantengruppe schließlich nach etwa neunzig Minuten zurückzog, waren neun Polizisten und drei Jugendliche verletzt. Zwei Schüler, die als Rudelführer festgenommen wurden, kamen in Haft. Dabei sollte alles reibungslos über die Bühne gehen. Noch eine Stunde vor den Krawallen hatte Heinz Drab (40) von der Kampagne für Demokratie und Abrüstung – eine von 25 Organisationen, die sich an dem Protestlauf beteiligten – versichert: „Wir wollen die Polizei nicht provozieren.“ Und Jürgen Kaieck (27), einer der Wort- und Basisgruppenführer, blies in das gleiche Horn: „Ihr wißt doch alle“, ermahnte er seine Freunde bei einem Agitations-Teach-in im „Löwenbräu“ am Sterntor, „wie hysterisch Bullen reagieren, wenn sie herrschende Kräfte zu schützen haben.“

Von einer feindseligen Haltung war nichts zu spüren, als sich etwa 800 Demonstranten auf dem Hauptmarkt zu einer Kundgebung des Initiativausschusses der kritischen Jugend Nordbayerns versammelten. Nach drei Kurzreferaten formierten sich die Zuhörer zu einem vom Amt für öffentliche Ordnung genehmigten Zug. Die Teilnehmer schwenkten rote Fahnen, trugen zahlreiche Plakate mit („CSU, die beste NPD, die es je gab“, „Kiesinger prahlt, das Volk bezahlt“, „CSU und NPD, alles ist derselbe Dreh“, „Wie der Zoo an seinen Affen, hängt Strauß an atomaren Waffen“) und riefen immer wieder in Sprechchören: „CSUSASS“.

Über die Innere Laufer Gasse und den Rathenauplatz ging es in Richtung Messehalle. In der Bayreuther Straße kamen dann die Demonstranten vom vorgeschriebenen Weg ab: während sie über den Rennweg zum Adamsplatz laufen sollten, marschierten sie geradeaus. Die wenigen Polizisten, die den Zug begleiteten, machten keine Anstalten, eine Kursänderung zu erzwingen – vermutlich in dem sicheren Gefühl, daß die zur Sicherung der Messehalle eingesetzten über tausend Polizisten der Gruppe genug Respekt einflößen würden. Erstmals waren diesmal Bereitschaftspolizei und Stadtpolizei in so starker Zahl präsent und auch äußerlich gut vorbereitet: die meisten Beamten trugen Plastikhelme mit Gesichts- und Nackenschutz.

Mit erhobener rechter Hand gingen die Demonstranten langsam über den Berliner Platz und an der Messehalle vorbei. Dabei riefen sie immer wieder „Sieg Heil!“ und „Diese Schule der Nation hatte Adolf Hitler schon“. Bis auf zwei Farbbeutel, die aus der Menge auf zwei Mitglieder der Jungen Union geschleudert wurden, gab es zu diesem Zeitpunkt keine Zwischenfälle. Zwar stockend, aber doch recht schnell erreichte der Zug den Adamsplatz, wo an einem Galgen eine Strohpuppe mit der NSDAP-Parteinummer von Bundeskanzler Kiesinger verbrannt wurde.

Im Laufschritt ging es los

Die Einladung der Organisationsleitung, sofort zu einem Teach-in in das Audimax in der Findelgasse zu gehen, ignorierte dann die Masse der Demonstranten. Alexander Schink, der auf dem Adamsplatz gegen die CDU/CSU-Politik heftig vom Leder gezogen hatte, wies ihnen den Weg. „Wenn Ihr unseren Kanzler sehen wollt, müßt Ihr dort hin“, rief er durch ein Megaphon und zeigte zur Schoppershofstraße. Im nächsten Augenblick formierte sich der Zug. Im Laufschritt ging es los. In der Äußeren Bayreuther Straße angekommen, stoppte die Gruppe. Das war um 14.20 Uhr. Nachdem niemand die Fahrbahn räumte, sich lange Autoschlangen bildeten und die Kraftfahrer nervös auf ihre Hupen drückten, spitzte sich die Lage dramatisch zu.

14.30 Uhr: etwa hundert Beamte der Bereitschaftspolizei rücken an. Als sie wenige Meter vor den Demonstranten stehen, fliegen die ersten Farbbeutel. Das ist für die Polizisten das Signal, um einzugreifen: sie stürzten sich auf die meist jugendlichen Protestier, die zur Virchowstraße hin abgedrängt werden. Dort igeln sie sich zunächst auf dem Gelände einer Tankstelle ein, schleudern detonierende Feuerwerkskörper, Schottersteine und zahlreiche Farbbeutel ge-gen die anrückenden Ordnungshüter.

14.37 Uhr: die Beamten wollen einige Demonstranten festnehmen. Dabei entsteht eine wüste Schlägerei, bei der die Uniformierten auch ihre Gummiknüppel ziehen und damit auf APO-Mitglieder einschlagen. Eine Atempause der Polizei benutzen schließlich die zersprengten Demonstranten dazu, um den Rückmarsch anzutreten und sich in der Welserstraße neu zu formieren. In dieser Zeit riegelt die Polizei mit Seilen die Äußere Bayreuther Straße ab. Unterdessen visiert die Gruppe ihr nächstes Ziel an: die Messehalle, in der gerade Bundesfinanzminister Strauß spricht.

Eintrittskarten besorgt

14.52 Uhr: Ungehindert kommt sie bis vor den Eingang, wo eine Sicherheitszone aus schweren Eisengittern gebildet worden ist. Während die Menge mit Steinen und Farbbeuteln wirft, besorgen sich vier Demonstranten auf noch nicht geklärte Weise Eintrittskarten für die Kundgebung der Jungen Union.

Als sie bereits vor der Messehallentür angelangt sind, werden sie jedoch zurückgedrängt. Dabei sinkt der 27jährige Polizeimeister Manfred B. durch einen Tritt in den Unterleib zu Boden. Nach ambulanter Behandlung im städtischen Krankenhaus kann er wieder entlassen werden. Weitere acht Kollegen tragen leichte Hand-, Bein- und Gesichtsverletzungen davon.

15.11 Uhr: plötzlich geht eine Glasscheibe am Messehalleneingang in Trümmer. Augenzeugen, darunter Wachmänner der Messehalle und CSU-Mitglieder sowie Polizisten, identifizieren das Loch als Einschlag eines Kleinkaliberprojektils. Später stellt sich aber heraus, daß der Einschlag durch eine Glaskugel entstanden war, die ein Demonstrant aus einer Schleuder abgefeuert hatte. Von solchen Geschossen sind auch Passanten und Polizisten getroffen worden. 15.30 Uhr: Nach diesen Zwischenfällen ziehen sich die Demonstranten zu einem Teach-in in das Audimax zurück.

Über Einsatz und Folgen der Demonstration diskutierten die Demonstranten noch lange bei dem sich anschließenden Teach-in im Audimax, wo freimütig Selbstkritik geübt wurde. „Es war Wahnsinn“, meinte unter starkem Beifall ein Sprecher, „eine offene Konfrontation mit der zahlenmäßig überlegenen Polizei zu suchen“.

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