16. August 1969: Dieses Mal war Mord nicht gefragt – jedoch die Ernte!

16.8.2019, 07:00 Uhr
16. August 1969: Dieses Mal war Mord nicht gefragt – jedoch die Ernte!

© VNP

Aber die Zeichen stehen auf Sturm, sieht man von der "Bodennutzung auf alle Zeiten"" der Knoblauchsbauern ab. "Wenn ich meinen Hof intensiv bewirtschafte, rentiert er sich schon noch. Aber mein Sohn wird sich zweifelsohne nach anderen Gefilden umsehen müssen." Bauer Konrad Neubauer aus Eibach, 34 Jahre jung, sagt das in klarer Erkenntnis der Gegebenheiten: der Expansionstrieb der Stadt "frißt" Felder, Äcker und Wiesen auf, mit einem Tempo, daß heute ein Städter kaum mehr weiß, wo die Landwirtschaft im Verborgenen blüht, welch schweres Tagwerk die Hofbesitzer verrichten müssen.

Zwei Redaktionsmitglieder, Siglinde Fuchs und Rudolf Pilous, sahen sich einmal in den Auen zwischen Buch, Eibach, Stein und Krottenbach um. Als Magd und Knecht leisteten sie einen Tag lang die Fronarbeit, die auf einem Bauernhof in der Erntezeit verlangt wird. Ihre Eindrücke, was sie erlebten und arbeiteten, spiegelt der nachstehende Dialog wider.

Schon der Anfang ist ungewohnt. Fordernd rasselt der Wecker. Es ist vier Uhr früh. Schlaftrunken schlüpfe ich in meine alte Kordhose und in das verwaschene Hemd meines Großvaters, immer mit dem Gedanken, daß ich nicht zu einem Brand, zu einem Unfall oder sogar zu einem Mord gerufen werde, sondern: heute bin ich schlicht und einfach die Magd Siglinde

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Mein einziger Trost ist, daß mein Kollege Rudolf kaum anders gekleidet sein wird. Schließlich ist er heute "mein" Knecht. Tatsächlich: Um 4.30 Uhr steht er in ausgebeulter Arbeitshose und kariertem Hemd, sichtlich übernächtigt, vor seiner Haustür. Schnell wird die erste Zigarette des Tages angesteckt (die letzte ist noch gar nicht richtig verglüht), dann geht es in zügiger Fahrt – das Schiebedach meines "Käfers" ist weit geöffnet, damit die kühle Morgenluft die Müdigkeit aus den Gliedern treibt – in Richtung Eibach. Kaum etwas kreucht und fleucht. Hie und da trägt eine Frau die Zeitungen aus, hastet ein Straßenbahner zu seinem Bus oder zu seiner Tram, machen sich Bauarbeiter zu ihrem Tagwerk auf, denn Fensterstürze. Türrahmen und Decken müssen betoniert sein ehe die Sonne vom Himmel glüht.

Freilich, von der Sonnenglast ist um diese Zeit noch wenig zu spüren. Knecht Rudolf bibbert: "So eine Saukälte. Hätte ich mich nur wärmer angezogen!" Und dann gibt es nur noch ein Ziel: Den Bauernhof Neubauer am Eibacher Zeitenwendeplatz.

Die nahe Kirchturmuhr schlägt fünf. Nur ein Hahn kräht. Sonst ist vom erwachenden Leben auf dem Anwesen nichts zu merken. Den Grund erfahre ich – in diesem Fall der Knecht Rudolf – wenige Minuten später. Altbauer Michael Neubauer hat einen Tag zuvor seinen 75. Geburtstag gefeiert. "Da ist es etwas später geworden", entschuldigt sich sein Sohn Konrad als er uns endlich am Hoftor begrüßt.

So geruhsam sich der neue Tag angelassen hat, so rasch werden wir mit der rauhen Wirklichkeit auf einem Bauernhof konfrontiert. Ohne große Worte drückt Konrad Neubauer meiner Kollegin Siglinde die Mistgabel in die Hand und stellt mir, dem Knecht, eine Schubkarre vor die Füße: "Zuerst kommt das Vieh". Reden und Handeln sind eins. Damit die neun Kühe beim Melken stillstehen – bis auf zwei Ausnahmen geschieht das bei den Neubauers maschinell – erhalten sie erst einmal Kraftfutter, Gras und Mais folgen. Dabei machen wir die Feststellung, daß selbst Rindviecher Leckermäuler sind. Solange Maiskolben im Futtertrog liegen, wird das duftende, würzige Gras verschmäht.

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Schäden durch unvernünftige Hundebesitzer 

Bauer Konrad Neubauer ruft mir noch eine Warnung zu, als seine Frau Luise die Milch "abzapft": "Vorsicht, da hinten ist es feucht!" Gelassen dulde ich es, daß "meine Magd" wahre Berge von Mist auf meinen Schubkarren häuft. Dann wird mir plötzlich der Sinn seiner Worte klar, Die buntgescheckte Agnes hebt den Schwanz – dann plätschert es nur noch, Mit einem Sprung wie in meiner besten Fußballerzeit versuche ich mich vor dem Wasserfall zu retten. Trotzdem feuchten einige Spritzer Schuhe und Strümpfe an.

Kurz danach drückt der Senior auf dem Hof, Michael Neubauer, "meiner Magd" einen Kübel mit Körnern in die Hand: sie darf Hühner füttern. Trotz eifrigem "putt putt putt" stiebt das Federvieh gackernd auseinander. Es traut der fremden Magd nicht so ganz. Großvater Neubauer erklärt mir, Siglinde, sichtlich stolz, die zahlreichen Bewohner des Hühnerhofes: zu den 80 Legehühnern sind vor kurzem 50 Junghühner gekommen. In ihrer besten Zeit, im Winter, legen sie 70 bis 80 Eier am Tag – fast alle in die dafür vorgesehenen Nester. Mit der jetzt beginnenden Mauser läßt die "Produktion" nach. Großmutter Barbara Neubauer kann täglich nur etwa 45 bis 50 Eier sammeln.

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Technischer Nachhilfeunterricht

Konrad Neubauer hat inzwischen den Traktor angelassen. "Magd, komm‘, wir müssen Gras holen!", ruft mir der Knecht, ganz in seiner Rolle aufgehend, zu. Bauer und Knecht sitzen schon auf der Zugmaschine. Ich klettere ebenfalls hinauf. Wir fahren auf der Bundesstraße 2 durch Eibach zu den Wiesen An der Marterlach. Dort erhalte ich erst einmal technischen Nachhilfeunterricht. Ein Rahmen mit acht bis zehn Plastikschnüren, von Konrad Neubauer schnell montiert, sorgt dafür, daß das Mähgut gehäufelt wird. Rechen sind überflüssig.

Und dann laden Magd und Knecht auf. Die Magd darf – Zwischenbemerkung des Knechtes: So ein Biest, eine Frau müßte man sein – Traktorfahren. Nun, ich fahre zwar seit über vier Jahren Auto. Aber ein Traktor ist doch etwas völlig anderes. Acht Gänge. Da soll sich jemand auskennen.

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Belehrung am Wiesenrand. Da hat sich jemand Hasenfutter geholt. "Ich habe nichts dagegen. Ärgerlich ist nur, wenn die Gras-Stibitzer mehr zertrampeln als sie mitnehmen." Bei dieser Gelegenheit erzählt Konrad Neubauer, welche Schäden unvernünftige Hundebesitzer anrichten, wenn sie ihre Vierbeiner zum apportieren in ungemähte Wiesen schicken. Er erwähnt auch noch andere Schäden, die den Landwirten zugefügt werden ... aber davon später.

Es ist jedenfalls noch nicht einmal 8 Uhr – ein Blick zur Kirchturmuhr läßt einen vor den Spiegel stramm stehen, was man schon alles geleistet hat –, da ist das Gras im Stall verstaut. Bitte, hier meldet sich wieder einmal der Knecht zu Wort: Kollegin Siglinde lädt ab, ich verteile das Grünfutter. Mehr zu sagen als ich hat auf jeden Fall Konrad Neubauer: "Auf geht's Leute. Wir müssen Mais holen!"

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Im Zuckeltrab visieren wir über Röthenbach, die Steiner Schloßkreuzung und Stein selbst die Äcker und Wiesen bei Neuwerk im Rednitzgrund an. Mais muß geschnitten werden – mit einer Sichel. Als Knecht habe ich den Nachteil neben dem Altbauern Michael Neubauer auf dem Anhänger sitzen zu müssen. Nachteil? Die Fahrt belehrt mich eines Besseren. Michael Neubauer erzählt: "Das Anwesen ist 13 Hektar groß" – Anm. d. Red.: ein Hof der sich heutzutage rentieren soll, muß ein Durchschnittsvolumen von sechs Hektar haben. Bei den Neubauers ist es der Fall. – Michael Neubauer erinnert sich, daß während des Krieges, als er noch Ortsbauernführer in Eibach war, 16 Landwirte ihr Brot auf eigener Scholle verdienten. Inzwischen haben sich die Zeiten geändert. Nur noch viereinhalb bäuerliche Betriebe leben heute in dem Vorort von Ackerbau und Viehzucht. Der Altbauer schaffte es überhaupt nur, seinen Sohn für die Landwirtschaft zu begeistern, indem er ihm einen Maschinenpark von 70 000 Mark zur Verfügung stellte, als er sich auf den Altenteil zurückzog.

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Körner taugen für den Mähdrusch

Trotzdem ist Michael Neubauer jung geblieben. Das beweist seine Aussage an der Rednitzstraße. Die Neubauers haben dort, inmitten der neuen Siedlung zwischen Röthenbach und der Schloßkreuzung Stein, ein Feld gepachtet. Konrad Neubauer steigt in die wogenden Ähren und prüft die Härte des Roggens. "Gleich werden wir wissen, ob wir unseren Tagesablauf ändern müssen und heute nachmittag dreschen können." Er muß geändert werden. Die Körner taugen für den Mähdrusch.

Auf dem Maisfeld bei Neuwerk stellt dann Bauer Konrad Neubauer höchste Ansprüche an die ungelenken Journalistenhände Mais mit der Sichel "kappen" sieht sich sehr einfach an. Trotzdem muß sich Kollegin Siglinde eine Rüge gefallen lassen. Sie läßt zu hohe Maisstoppeln stehen. Großvater "tröstet": "Wenn ich in die Zeitung käme, würdet ihr auch sagen, der stellt sich aber an."

Um 9.30 Uhr sind wir wieder zu Hause. Landwirt Konrad Neubauer beginnt mit dem Abschmieren des Mähdreschers. Inzwischen hilft Magd Siglinde der Bäuerin beim Zubereiten des Mittagsmahles. Altbauer Michael Neubauer stößt mich sanft in die Rippen: "Eile wär‘s, da muß ein Wagen abgeladen werden." Voller Tatendrang klettere ich die Leiter hoch, und dann folgt Strohballen auf Strohballen. Ich muß mich nur wundern, wo der 75jährige die Kraft hernimmt. Am Nachmittag machen wir das gleiche Spiel noch einmal

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Dann sind wir wieder auf dem Bauernhof angelangt. Noch einmal heißt es für den Knecht Rudolf: abladen. Magd Siglinde und ein Helfershelfer der Familie Neubauer haben Schwierigkeiten, die Strohballen zu schlichten. Es geht weiter: noch einmal ein Mähdrusch. "Aber so eine schlechte Ernte haben wir noch nie gehabt", stöhnt Landwirt Neubauer. Und dann geht es heim in sichere Gefilde. Das Getreide wird mit Hilfe eines Gebläses in den Speicher befördert. Dann ruft Landwirt Neubauer – es ist inzwischen 19 Uhr geworden – erneut in den Stall. Morgens und abends – es gibt nur einen Gedanken – das Vieh. Als Magd Siglinde und Knecht Rudolf sich um 19.30 Uhr verabschieden, haben sie das glückliche Gefühl: so etwas möchten wir bald wieder machen.

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