16. Februar 1970: Träume und Alpträume

16.2.2020, 07:00 Uhr
16. Februar 1970: Träume und Alpträume

© Bauer

Insgesamt siebzig Texte und siebenundzwanzig – darunter neunzehn farbige – Bilder wird dieses in intensiver Zusammenarbeit entstehende Buch enthalten. Schramms Texte, in einer Reihe von Jahren geschrieben und zum Teil durch Publikationen – auch in dieser Zeitung – bekannt, liegen sämtlich vor; Prechtl hat die umfangreiche Arbeit zu etwa zwei Drittel bewältigt. Immerhin ist bereits jetzt ein erster Überblick möglich, wie das Buch ausschauen wird.

„Wähle ein kleines Feld und zeige: so ist es bestellt.“ Unter dieses Motto von Walter Jens haben Schramm und Prechtl ihr „Nürnberger Bilderbuch“ gestellt. „Ein kleines Feld“, das heißt in diesem Fall ein klar umgrenzter Raum, eben diese Stadt mit all ihrem Licht und all ihren tiefen Schatten. Einen anheimelnden Namen haben sie für ihr Buch gewählt, der so tut, als ginge es darin auch recht anheimelnd zu.

Aber wer Schramm und Prechtl kennt, der weiß, daß das Heimelige ihre Sache nicht ist, daß Schramm zum Beispiel mit den romantischen Elementen nur spielt, um hinter der freundlichen Fassade die Abgründe zu zeigen. Prechtl ist ein ebenso kritischer Künstler, der sich zwar zuweilen spielerisch gibt, um dann um so schärfer die Lüge zu treffen.

Topografie nennen Schramm und Prechtl den ersten Teil des Buches: also genaue Beschreibung, ohne Beschönigung die Dinge sagen, wie sie sind. Wer das Romantische will, scheint dabei zunächst durchaus auf seine Kosten zu kommen. Schramm hat in seinen Texten all die romantischen Stellen dieser Stadt beschrieben, aber er spricht auch von dem Blut, das an diesen alten Steinen klebt; in seinen Texten wird die Geschichte Gegenwart, und die Gegenwart ist nur notwendig folgender Endpunkt dieser Geschichte. Das ist zuweilen nicht ohne Humor, aber der Humor macht nicht heiter, weil die Dinge nicht heiter sind, die mit ihm ins Licht der Ironie gezogen werden. In Wahrheit steht ein hochsensibler Ernst hinter allen Texten Schramms.

Zusammenarbeit zwischen Texter und Grafiker, das heißt hier nicht, daß Prechtl Schramms Texte schlichtweg illustriert habe. Dazu wäre Prechtl wohl zu eigenständig und auch zu eigenwillig, als daß er sich dem anderen so ganz unterordnen würde. Was die große Gemeinsamkeit zwischen Text und Bild ausmacht, das ist die gleiche Grundstimmung. Prechtl folgt wohl den Spuren Schramms und zeichnet Bilder ganz im Sinne dieser Texte. Aber er verleugnet dabei nicht seine Eigenart; das unverkennbar Zupackende, das faunisch Derbe dieses Zeichners, die barocke Heiterkeit, die urplötzlich ins Böse und Zynische umschlagen kann.

Sein Bild „Hans Sachs mißt seiner Muse Stiefel an“ ist von der faunisch gelösten Art, sein bitterböses Blatt „Braunauer Sängerknaben mit einem Streicher“ zeigt eine grölende Horde von SA-Leuten, neben denen Streicher mit der Peitsche ein Gebilde aus Menschenknochen wie eine Fiedel traktiert. Eines der Dinge, auf die Nürnberg so stolz ist, bekommt bei Prechtl die Züge jener Dämonie, in die sich alles verkehren kann, wenn Menschen vom Schlage Streichers sich ihrer bedienen: die erste Eisenbahn als Transportmittel für KZ-Häftlinge.

Es ist wahrhaftig nicht alles rühmenswert, was Schramm und Prechtl aus den alten Mauern dieser Stadt ans mitleidlose Tageslicht geholt haben. Aber das alles ist auch nicht aus einem unbeugsamen Haß heraus geschrieben und gezeichnet. Denn Haß würde den Blick verstellen, aber dies hier ist von großer Klarsicht, die hinter jene Tünche sieht, mit der sich die Abgründe verdecken. So verschieden die beiden sind, so passen sie doch ausgezeichnet zusammen. Auf verhaltene Art der eine, auf kräftige der andere, zielen sie auf das gleiche: das Antlitz einer Stadt, ihre Geschichte und ihre Menschen zu zeichnen.

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