18. September 1969: Dandy nur zur Schau

18.9.2019, 07:00 Uhr
18. September 1969: Dandy nur zur Schau

© Ranke

Doch schon wird es schwieriger. Übung Nummer zwei: die „Wende“, ein sanfter Schwung aus der Hüfte, eine kurze Drehung ... Acht junge Männer machen die ersten Gehversuche auf dem Weg zum Dressman. Noch etwas unbeholfen und staksig stolzieren sie über den Laufsteg – ängstlich darauf bedacht, daß ihnen das schwere Konversationslexikon nicht vom Kopf fällt.

„Nicht so unsicher, meine Herren, bitte keine Gemütsregung zeigen.“ Doch das fällt den Modeeleven noch schwer. Im eleganten Spiegelkabinett ist es heiß, unerbittlich brennen die Scheinwerfer, überdeutlich sagt ihnen ihr Bild von allen Wänden, daß man zum Dressman nicht geboren wird. Man muß es lernen.

18. September 1969: Dandy nur zur Schau

© Ulrich

Seit fünf Jahren bemüht sich in Nürnberg Evelyn Rebensburg, Professeur de mode, dem starken Geschlecht spezifisch männliche Vorführ- und Bewegungstechniken beizubringen. Ihre Diplom-Läufer sind gefragt, 20 Dressman sind hauptberuflich gut im Geschäft. Doch das noch kleine Angebot wird der großen Nachfrage noch lange nicht gerecht. Die Bekleidungsindustrie ist ständig auf der Suche nach männlichen Mannequins – doch in Deutschland haftet dem Beruf des Dressman noch ein halbseidener Makel an.

Mit der Wiedergeburt des männlichen Modebewußtseins darf jüngst auch der Herr wieder Eitelkeit tragen und zeigen. Er wird nicht mehr schlicht als Dandy oder gar „Geck“ apostrophiert, wenn er seine Garderobe nach „made in France“ wählt. Damit ist natürlich das Vorurteil, nach dem der modebewußte Mann einfach als affig bezeichnet wird, noch nicht ausgeräumt. Doch zumindest hat der Dressman auf Modeschauen seinen festen Platz gefunden. Er braucht nicht mehr die markante männliche Kulisse für die schillernden langbeinigen Wesen zu spielen, er darf sich selbst und seine Mode präsentieren.

„Neuerdings sogar im Paarlauf“ meint Evelyn Rebensburg, die sich seit zwei Jahren nicht mehr über mangelnde Nachfrage beklagen kann. Über 35 Bewerber stellen sich jeweils zu Kursbeginn in ihrem Mannequin-Studio vor, doch nur etwa zehn bestehen die Figur- und Gesichtskontrolle. Die Modeexpertin sucht nicht etwa den schönen Mann, den vielgeschmähten „Beau“, sondern den Typ, den Abiturienten, den Ehemann, den erfolgreichen Manager, den sportlichen Jüngling oder den Grandseigneur. Oft bringt der Anwärter nur die äußere Anlage mit – doch Evelyn Rebensburg versteht es, das Beste aus jedem Typ zu machen.

Wer die erste Hürde gemeistert hat, muß lernen, seine Persönlichkeit so vorteilhaft wie nur möglich ins Licht zu setzen. Dazu gehört das Laufen – „in der richtigen Geschwindigkeit“ – das sichere Auftreten, das effektvolle Vorführen. 32 Abendstunden, zweimal zwei Stunden in zwei Monaten, reichen meist für die Ausbildung aus. Dazu wird der angehende Dressman auch in die Geheimnisse der Kosmetik eingeweiht, er lernt wie man Pickel kaschiert, schmale Gesichter breiter und breite Nasen schmaler schminkt.

Ein modischer Haarschnitt, Pedi- und Maniküre, Haar- und Hautpflege sind im Lehrgeld inbegriffen. Doch neben diesen rein äußerlichen Pflichtübungen muß das männliche Mannequin auch lernen, wie eine Laufkarte geschrieben und wie ein Orderbuch ausgefüllt wird. Der Dressman sollte sich außerdem im Kleider-Knigge auskennen, schauspielerische Fähigkeiten mitbringen, vor der Kamera posieren und gewandt mit der Kundschaft umgehen können. In seinem eigenen Interesse läßt er sich unterweisen, wie man Verträge und Honorare aushandelt. Ihren jungen Schülern bringt Evelyn Rebensburg außerdem die neuen Modetänze bei; denn die getanzte Modenschau ist der dernier cri auf dem Laufsteg.

Vor zwölf bis 15 Juroren muß dann der umfassend ausgebildete Dressman Parade laufen. Modefotografen, Experten aus der Textilbranche und Vermittler vom Arbeitsamt prüfen genau, ob der Examenskandidat für den Laufsteg oder die Kamera geeignet ist. Die erfolgreichen Kursus-Absolventen erhalten ein Diplom, einen Paß – aber keinen Garantieschein für eine Karriere: wenn er die Schule des Herrn verläßt muß der Dressman selbst für sich werben. Nach zwei Monaten ist der gutaussehende junge Mann sicherer und selbstbewußter geworden. Er kennt sich in der Welt der Mode aus. Die Bekleidungshäuser reißen sich um ihn. Hat er auch mehr Erfolg im Privatleben?

Bei einer Umfrage fanden es nur zwei von zehn jungen Damen „chic“, einen Dressman zum Freund zu haben. „Der ist doch meist feminin und affig“ urteilte eine 18jährige Schülerin. „Man weiß doch nie, ob das einstudierte Lächeln einem selbst gilt.“ „Um Gottes willen, das sind doch keine Männer mehr“ empörte sich eine 22jährige Angestellte, „es ist doch schrecklich, wenn man einem jungen Mann Wimperntusche leihen muß“. Noch härter fällt die Kritik bei einigen jungen Männern aus. „Die sind doch andersherum, weibisch dandyhaft.“

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