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2. Juni 1971: Geographentag in Nürnberg eröffnet

2.6.2021, 07:15 Uhr
2. Juni 1971: Geographentag in Nürnberg eröffnet

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Deutschen Geographentages vom 1. bis 4. Juni in Nürnberg und Erlangen. Schon bei der Eröffnung in der Nürnberger Meistersingerhalle wurde klar, was Professor Dr. Ernst Weigl, Sprecher des veranstaltenden Ortsausschusses, so formulierte: "Das Programm dieser Tagung greift ins volle Leben."

1600 Teilnehmer aus der Bundesrepublik, Österreich, den Niederlanden, der Schweiz, Dänemark, England, Belgien, Frankreich, Italien, Jugoslawien, den USA, Kanada und Indonesien machen den gegenwärtigen Kongreß zur bisher größten derartigen Veranstaltung. Daß allein aus Bayern 60 Landräte und 20 Oberbürgermeister sowie zahlreiche Bürgermeister aus dem Nürnberger Umland zur Eröffnung und zur ersten Sitzung kamen, deutet an, welches Interesse die "Abnehmerseite" den Wissenschaftlern entgegenbringt, wenn sie sich zu aktuellen Fragen äußern.

Minister Merk im Sportjargon

Der Festvortrag von Bayerns populärstem Regionalplaner, Professor Dr. Karl Ruppert aus München, über Regionalgliederung und Verwaltungsgebietsreform als gesellschaftspolitischer Auftrag und die Geographie im Dienste der Umweltgestaltung machte ihnen denn auch klar, welchen Schwierigkeiten der Fachmann begegnet, will er seine Erkenntnisse politisch verwirklicht sehen.

Innenminister Dr. Bruno Merk paßte sich an. In Bayern sei in bezug auf die Verwaltungs- und Gebietsreform eben erst "Halbzeit, aber auch die zweite Halbzeit ist manchmal noch spielentscheidend", sagte er, der sich von der Arbeit des Kongresses wertvolle Anregungen und Unterstützung dafür erwartet, daß das Verständnis der Öffentlichkeit für das Reformwerk wächst. "Ich habe", so schränkte Merk allerdings ein, "die Meinung längst aufgegeben, das Patentrezept könnte angeboten werden."

Der Vorsitzende des Zentralverbandes der deutschen Geographen, Professor Dr. Peter Schöller aus Bochum, bedauerte, daß den Kollegen aus der DDR die Ausreise verweigert worden sei. Er verlas eine Grußbotschaft des sowjetischen Geographen Gerasimow und zeigte sich enttäuscht davon, daß das bayerische Kultusministerium diesmal keinen Zuschuß zum Druck des Verhandlungsberichtes leisten wolle.

Heiterkeit und Bonmots

Der Geographentag könne heute kein fachinternes Kolloquium mehr sein, meinte Schöller, denn eine kritisch gewordene Öffentlichkeit erwarte ebenso wie Studenten und Assistenten eine auf die Praxis und die Gesellschaft ausgerichtete Wissenschaft. Unter den Geographen sei man sich bei aller Bereitschaft zur Bildungsreform aber auch klar darüber, daß "eine Konzentration auf Ideologisches ohne qualifizierten Fachbeitrag im luftleeren Raum bleibt".

Am bayerischen Beispiel machte der Münchner Wirtschaftsgeograph Professor Ruppert der Versammlung klar, wie langwierig der sich in den gegenwärtigen Diskussionen spiegelnde "Lernprozeß" zum Thema Verwaltungs- und Gebietsreform dauern kann. Sichtlich resignierend angesichts der jüngsten Entwicklung sprach er doch die Hoffnung aus, die bevorstehenden Anhörungsverfahren könnten verhindern, daß die mit Elan angegangene Neugliederung im "alternierenden Opportunismus" untergehe.

Die Zuordnung etwa des Kreises Neumarkt zur Region Regensburg – 60 Prozent Pendler arbeiten in Nürnberg, ein Prozent in der Donaustadt – veranlaßte Ruppert zu dem Stoßseufzer: "Man macht sich so seine Gedanken." Heiterkeit erregte ein zum Vortrag projiziertes Dia über das von der Polizei statistisch erfaßte "Einzugsgebiet" von Straftätern, die in Nürnberg "arbeiteten", gegenübergestellt der in neuesten Plänen entworfenen Stadt- und Regionsgrenze.

Ruppert sähe in einer Volksabstimmung über die Gebietsreform keine Gefahr für vernünftige Lösungen, denn dann könne das "Wunder" geschehen, daß "Wasserburg endlich nicht mehr als der Nabel Bayerns angesehen wird".

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