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2. September 1971: Massaker von My Lai und der Nürnberger Prozess

2.9.2021, 07:00 Uhr
2. September 1971: Massaker von My Lai und der Nürnberger Prozess

© Kammler

Einer der Initiatoren für diesen Streifen, den eine Hamburger Filmgesellschaft im Auftrag des Zweiten Deutschen Fernsehens dreht, ist der einstige stellvertretende Hauptankläger der Alliierten, Dr. Robert M. W. Kempner, heute Rechtsanwalt in Frankfurt und seit 1969 Träger des Bundesverdienstkreuzes mit Stern.

Dr. Kempner gehört jetzt zu den Hauptakteuren dieses Films, in dem er sich zu Erläuterungen vor der Kamera zu den Vorgängen nach 1915 bereit erklärt hatte. Außerdem kommen in dieser Dokumentation der ehemalige Reichsrüstungsminister Heinrich Speer und Dr. Egon Kubuschok zu Wort, der bei den Nürnberger Prozessen das Reichskabinett verteidigt hatte.

Der Drehbuchautor Dr. Karl-Heinz Janßen, Redakteur bei der Zeit, zum Sinn dieser neuen Dokumentation: "Wir haben das Thema aufgehängt an einem Zitat des US-Hauptanklägers Robert Jackson, der in seiner Eröffnungsrede erklärt hatte: Dieses Gesetz (zur Aburteilung von Kriegsverbrechern) wird hier zwar zunächst auf deutsche Angreifer angewandt, es schließt aber ein und muß, wenn es von Nutzen sein soll, den Angriff jeder Nation verdammen – nicht ausgenommen, die, die hier zu Gericht sitzen."

Nach dem Massaker amerikanischer Soldaten in dem vietnamesischen Dorf My Lai will man nun die Frage stellen: hatte sich damals in Nürnberg der Aufwand gelohnt, und welche Nachwirkungen sind heute noch erkennbar? Vor zwei Jahren hatte sich Dr. Robert Kempner bereits öffentlich für ein neues internationales Kriegsverbrecher-Tribunal in Nürnberg eingesetzt, das diesmal die in Vietnam begangenen Gräueltaten untersuchen sollte.

Dazu Günter Kunz, der Regisseur der neuen Dokumentation: "Nach My Lai liegt der Name Nürnberg wieder in der Luft. Auch ohne das 25jährige ‚Jubiläum' wäre eine solche Sendung fällig gewesen." Eine weitere Grundlage für diesen Streifen bildet ein Buch mit dem Titel "Nürnberg und Vietnam", das General Telford Taylor, US-Hauptankläger in den Nachfolge-Prozessen, geschrieben hat und das demnächst in der Bundesrepublik herauskommen wird.

In dieser Fernseh-Dokumentation, die am Abend des 1. Oktober über den Bildschirm gehen wird, soll auch bisher unveröffentlichtes Prozeßmaterial vorgestellt werden. Der Titel wird lauten: "Nürnberger Prozesse – Recht oder Rache". Am späteren Sündenfall der Siegermächte soll schließlich untersucht werden, inwieweit der Ausspruch Robert E. Jacksons heute noch Gültigkeit hat, der vor 25 Jahren Angriffskriege als schwerste Kriegsverbrechen nach angelsächsischem Recht bezeichnet hatte.

In einer Drehpause sprachen wir gestern mit Dr. Robert Kempner, dem niemand seine 71 Lebensjahre glaubt. Auf die Frage, wie er sich in diesen Räumen fühle, in denen er einst über die Besiegten auf der Anklägerbank der Sieger zu Gericht saß, meinte er: "Vier Jahre lang war dieser Saal für mich das Zuhause. Zuletzt leitete ich als Hauptankläger im Frühjahr 1949 den Diplomaten-Prozess."

Dann kritisierte er energisch den Teil der öffentlichen Meinung in Deutschland, der fordert: "Hört endlich auf, immer wieder längst vergangene Sachen aufzuwärmen." Dr. Kempner dazu: "Diese Ansicht ist mir als Juristen unverständlich. Wenn jemand beispielsweise erfahren würde, daß man den Mörder seiner Tochter jetzt, Jahrzehnte nach dem Verbrechen, gefaßt hätte, dann würde dieser Vater mit Recht auf einer Bestrafung bestehen. Ich unterstreiche das deshalb, weil es bisher viele große Kriegsverbrecher verstanden haben, sich als sogenannte Schreibtischtäter vor der Strafe zu drücken: die gleichen Männer, die dem Herrn Eichmann grünes Licht zur Judenvernichtung gegeben haben und zum Teil noch immer nicht geschnappt sind."

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