Erster Drehtag im Säulengang der Kongreßhalle

24. August 1971: "In keinem Film so expressiv wie hier"

24.8.2021, 07:00 Uhr
24. August 1971:

© Ulrich

Die Szene im Säulenumgang der Kongreßhalle: Afranius, der Chef des römischen Geheimdienstes im besetzten Land, dargestellt von Andrzej Lapicki, bespricht mit Pilatus (Jan Kreczmar) die politische Lage und den Mord an Judas. Stelle aus dem Dialog, der in Hitlers gigantomanischem Repräsentationsbau gesprochen wird: „Glaub mir“, sagt Pilatus zu Afranius, „dieser unsinnige Herodesbau bringt mich noch um den Verstand! Ich kann darin nicht schlafen. Eine seltsamere Architektur hat die Welt noch nicht gesehen.“ Wajda hat sich – durchaus ungewöhnlich in der Branche – eine Truppe der bekanntesten polnischen Schauspieler mit nach Deutschland gebracht. Mit allen von ihnen hat er bereits im Theater oder Film zusammengearbeitet. Einen weiteren Grund nennt ZDF-Redakteur Heinrich Carle: „Es wäre undenkbar, Jesus und die anderen Figuren mit bekannten deutschen Schauspielern zu besetzen. Es würde zu sehr ablenken.“ Wir stellen heute drei Mitglieder des Teams vor: Daniel Olbrychski (Matthäus), Kameramann Igor Luther und den Jesus-Darsteller Wojciech Pszoniak.

Blond, bärtig, klein, mit lebhaften blaugrauen Augen, einer nervösen Vitalität und im Gespräch sehr konzentriert, gespannt, aber auch ganz plötzlich von schlitzohrigem Witz: Wojciech Pszoniak (30). Er hat den Puck in Shakespeares „Sommernachtstraum“ gespielt am „Teatr Stary“ in Krakau, eine Rolle, für die er prädestiniert scheint. Jetzt steht er als Jesus vor der Kamera für den Pilatus-Film von Andrzej Wajda: „Das Wichtigste ist: Christus ist ein Mensch und kein überirdisches Wesen.“ Für Pszoniak ist der Christus von Bulgakow eine mögliche Variante dieser Figur, ein sehr einfacher, geradliniger, normaler Mann. Aber: „Diese Mischung aus einer gewissen Stärke, aus Naivität und Demagogie ist nicht einfach darzustellen.“ Sieht er eine Aktualität in der Person Jesus? „Ja, unbedingt. Schließlich haben die Menschen die Christus-Ideen erfunden, und auch heute noch versucht man immer wieder, Christus zu realisieren.“ Wojciech Pszoniak, der bei unserem Gespräch teilweise französisch spricht, aber, immer wieder temperamentvoll in seine polnische Muttersprache fällt – der slowakische Kameramann Igor Luther übersetzt – bedauert, daß er sich hier in Deutschland sprachlich nicht verständigen kann. „Aber auf diese Weise lebe ich meine Rolle gewissermaßen privat: als wir eine Szene dokumentarisch in einer Straße drehten haben die Leute mit mir gesprochen, haben mich beschimpft. Ich konnte nicht antworten – ich war in der Menge isoliert, genau wie Jesus.“ Pszoniak ist nicht zum erstenmal in Deutschland. Vor sieben Jahren war er mit einem Gastspiel des Krakauer Studententheaters bei dem internationalen Theatertreffen in Erlangen: er spielte den Professor in lonescos „Unterrichtsstunde“. In Polen ist er hauptsächlich Theaterschauspieler. 1968 beendete er die Schauspielschule in Krakau und gehört seitdem fest zum Ensemble des dortigen „Teatr Stary“.

Der junge slowakische Kameramann Igor Luther – „dieser Wajda-Film war ein Geburtstagsgeschenk für mich, am ersten Drehtag wurde ich 29“ – ist auch im deutschen Film und Fernsehen kein Unbekannter. Er drehte mit Helmut Förnbacher („Sommersprossen“, 1968), Michael Verhoeven („o.k.“, 1970, „Wer im Glashaus liebt“, 1970), Ulrich Schamoni („EINS“, 1971), Rolf Hädrich („Biographie“ von Max Frisch, 1969), Stanislav Barabas („Der ewige Gatte“, 1969, „Jonas“ nach Camus, 1970). Igor Luther studierte an der Prager Filmakademie FAMU bis 1968, seine ersten Spielfilme machte er mit seinem Landsmann Juraj Jakubisko („Christusjahre“, 1967, und „Vögel, Welse, Narren“, 1969, letzte Woche vom ZDF ausgestrahlt). Der Franzose Alain Robbe-Grillet engagierte ihn für seine Filme „Der Mann, der lügt“ (1968) und „Eden und danach“ (1969). Luther, ein eher schüchtern und reserviert wirkender junger Mann, wird fast ein wenig schwärmerisch, wenn er von den ersten Drehtagen des Pilatus-Films erzählt: „Es war für mich wie ein Traum, die Golgatha-Szenen auf dem Schuttberg an der Autobahn, eine Atmosphäre, wie ich sie nur zu Hause in der CSSR erlebt habe.“ Und: „In der Mischung aus Historischem und Heutigem in den Schauplätzen und Kostümen, in der Kombination von Inszeniertem und Dokumentarischem einen trotzdem einheitlichen Stil zu entwickeln ist für mich eins der interessantesten Momente bei diesem Film, damit habe ich täglich neu zu kämpfen. Das macht den besonderen Reiz dieser Arbeit aus. Hinzu kommt der improvisatorische Stil Wajdas, der mir besonders liegt, wobei ich das Gefühl habe, besonders kreativ sein zu können.

Er ist der populärste junge Schauspieler in Polen, ein sehr emotionaler, temperamentgeladener Bursche, der immer in Aktion ist, leidenschaftlich gern diskutiert und sich, wenn es darauf ankommt, auch mit Vehemenz streitet: Daniel Olbrychski (25). Das asketische Gesicht mit den ungeheuer wachen blauen Augen, zur Zelt ein wenig unter einem rotblonden Vollbart versteckt, dazu die leicht genialisch-wuschelige Lockenmähne, die sportlich durchtrainierte Figur (er ist Boxer aus Passion) in einem knappen Cord-Jeans-Anzug (der Cowboy-Hut liegt auf dem Schrank im Hotelzimmer) – eine Mischung aus zornigem jungen Mann und melancholischem Romantiker. Olbrychski spielt den Matthäus: „Ein Fanatiker, fast ein Verrückter. Andrzej Wajda hat mich immer wieder ermahnt, ja keine Angst vor allzu emotionalem Spiel zu haben. Ich glaube, ich bin bisher in noch keinem Film so expressiv gewesen wie hier. Erst in der Schlußszene mit Pilatus bin ich ruhig, kalt, aber mit innerer Spannung aufgeladen. Das ist der entscheidende Kontrapunkt zu allem Vorhergegangenen“.

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