25. Juli 1965: "Faul-Ei" im Pegnitzgrund

25.7.2015, 07:00 Uhr
25. Juli 1965:

© Hans Kammler

Gewöhnlich verschwinden die Bauten im Boden, die die Abteilung Stadtentwässerung im Tiefbauamt ausführen läßt. Das „Faul-Ei“ macht eine Ausnahme. Es entsteht just in der Nähe der Schnellstraße und überragt sogar das Niveau der Fürther Straße. Leider muß eine Kläranlage – will man ohne teure Pumpen auskommen – am tiefsten Punkt der Stadt liegen. „Das ist eben dort, wo die Pegnitz Nürnberg verläßt“, meinte Heinz Schmeißner, der Kritikern die geplante Pappel-Abschirmung und die klaren, technisch schönen Formen des Neubaus entgegenhielt.

Die Nürnberger können sich davon selbst überzeugen. Vermutlich werden sie dem Baureferenten recht geben, wenn sie das Modell gesehen haben. Es wird in der Vitrine am Westausgang des Hauptbahnhofes aufgestellt. Angesichts des Ei-Preises erinnerte Stadtrat Heinz Schmeißner an die Verpflichtung der Nürnberger, möglichst reines Abwasser in die Pegnitz zu leiten und und dafür hohe Beträge – auch in der Zukunft – auszugeben. Die Stadt erwarte aber, daß auch die östlichen Anlieger den Fluß sauberhalten. Baudirektor Otto Betz und Dr.-Ing. Hans Hartmann erläuterten das Projekt, mit dessen Bau bereits begonnen worden ist. Es besteht aus drei Teilen: dem Schlammfaulbehälter mit einem größten Durchmesser von 25 Metern, dem 37 Meter hohen Aufzugs- und Treppenturm, von dem eine Galerie zur Spitze des „Eis“ führt, und dem Gasmaschinenhaus.

25. Juli 1965:

© Hans Kammler

Der bei der mechanischen und biologischen Abwasserreinigung ausgeschiedene Frischschlamm gelangt in das überdimensionale Ei als der ersten Faulstufe. Dort bleibt er, luftdicht abgeschlossen und mit einem Schraubenschaufler ständig in Bewegung gehalten, eine Woche lang. Im Kopf des „Faul-Eies“ sammelt sich täglich 9000 Kubikmeter hochwertiges Klärgas, das bisher noch dem Stadtgas beigemengt wurde, später aber zum größten Teil im Werk an der Fuchsstraße für eigene Zwecke genutzt wird. Deshalb entsteht neben dem Treppenturm ein besonderes Gebäude für die Gasmaschinen und Generatoren samt Schaltwarte und Trafostation.

25. Juli 1965:

© Gertrud Gerardi

Hier wird der benötigte Strom erzeugt. Die Abwärme der drei eingebauten Gasmaschinen kann zum Heizen der Schlammfaulbehälter verwendet werden. Von der Schaltwarte aus ist die Überwachung und Steuerung aller im Werk laufenden Maschinen sowie die Kontrolle des Klärgas-Anfalls, der Temperatur in den Faulräumen und der Füllmengen in den Behältern möglich. Im Treppenturm befindet sich ein Personen- und Lastenaufzug, eine Nottreppe und der Rohrleitungsschacht, in dem Schlamm-, Gas-, Wasser- und elektrische Leitungen zur Behälterkuppe geführt werden.

Der im „Faul-Ei“ behandelte Schlamm – das Gesamtgewicht des Behälters beträgt übrigens 15 000 Tonnen – wird schließlich zu den nachfolgenden Faulstufen geleitet, bis nach etwa 20 Tagen eine geruchslose Masse entstanden ist, die auf die Trockenbeete kommt. Von 800 Kubikmeter sind dann nur noch 80 Kubikmeter übriggeblieben. Weil die Stadt jedoch nicht weiß, wie sie die Mengen losbringen soll, überlegt sie sich einen Weg, der zur geplanten Müllverbrennungsanlage führt.

Baureferent Heinz Schmeißner versicherte übrigens gestern, daß aus der Bezeichnung „Faul-Ei“ nicht auf eine neuerliche Quelle des Gestanks geschlossen werden dürfte. Weil der Faulprozeß im gasdichten Behälter vor sich gehe, werde kein Rüchlein in die Atmosphäre dringen. Ob allerdings das Ei der Bauverwaltung einmal ebenso berühmt werden wird, wie jenes von Peter Henlein, wagte Heinz Schmeißner nicht vorherzusagen.

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