25. Mai 1970: Der Ruhm des 1. FCN ist verblaßt

25.5.2020, 07:00 Uhr
25. Mai 1970: Der Ruhm des 1. FCN ist verblaßt

© Bauer

Das ist nicht nur sportlich zu bedauern, sondern auch für die Stadt Nürnberg ein herber Schlag. Denn die Bundesliga bringt mehr Geld aus dem Umland nach Nürnberg als die Regionalliga. Die Stadt erlöste früher aus dem Stadion höhere Einnahmen, bei Spitzenspielen wurden Hunderttausende umgesetzt. Vorbei ist der Traum, daß im nächsten Jahr die Ränge des Stadions wieder einmal voll besetzt sein könnten. Den Regionalligisten 1. FC Nürnberg wollen kaum einmal mehr als 20 000 Zuschauer sehen. Bei der Abschiedsvorstellung am Samstag verloren sich die 9000 Unentwegten, die noch an ein Wunder glaubten, im Oval. Die Verbitterung unter den Club-Anhängern ist deswegen so groß, weil viele von ihnen der Ansicht sind, daß nach dem Abstieg entscheidende Fehler gemacht worden sind und daß dadurch der mögliche Wiederaufstieg in die höchste deutsche Spielklasse versäumt wurde.

Genau zwei Jahre ist es her: da waren Straßen und Gassen rund um die Peterskirche schwarz von Menschen. Der Club rüstete sich für das letzte Spiel vor der Deutschen Meisterschaft. Dortmund wurde 2:1 geschlagen. Triumphzug zum Hauptmarkt, Festbankette, große Reden ... Und jetzt der letzte Spieltag in der Regionalliga: am Samstag 14 Uhr an der Peterskirche, dem Hauptumschlagplatz in Richtung Stadion herrscht normaler Verkehr. die Straßenbahnen zum Dutzendteich sind nur halb besetzt, kein Club-Fan schmettert den Spaziergängern ein Trompetensolo entgegen. Am Dutzendteich dasselbe Bild wie an der Peterskirche. Ein einzelner Club-Anhänger mit einer bettuchgroßen Fahne wirkt fast störend in dem idyllischen Landschaftsbild, wo die Segelboote über das Wasser gleiten. Kein Clubfreund ölt sich im Wirtschaftsgarten die Kehle für die späteren Sprechchöre. Auf der Aufmarschstraße erweckt ein 60 Tonnen schweres Allradfahrzeug, das bei Bränden auf Flugplätzen eingesetzt wird, mehr Interesse als das bevorstehende Spiel.

Vor dem Stadion und im Oval selbst aber wird geschimpft. Die Spieler seien schuld, daß die Aufstiegsrunde versäumt wurde, der Trainer habe versagt oder Vorstandschaft müsse endlich in die Wüste geschickt werden, das sind die Hauptargumente. Einige Platzordner finden sogar in der Presse den Prügelknaben für den Mißerfolg; einige Polizeibeamte verweisen auf unsere Fragen darauf, daß sie hier lediglich ihren Dienst verrichteten, ihnen aber keine Meinung zustehe. Die Stimmung ist gereizt. Der 56jährige kaufmännische Angestellte Franz Gmeiner, früher Stammspieler beim VfR Fürth: „Das ist wie im Beruf. Man muß das psychologisch sehen. Trainer und Spieler sollten die Kastanien aus dem Feuer holen ...Ich bin dagegen, daß dem Trainer Kuno Klötzer gekündigt wird. Der Mann hat sein Bestes getan. Mehr als drin ist, kann man nicht herausholen. Das haben schon namhaftere Trainer erlebt. Der Übungsleiter ist machtlos, wenn die Mannschaft nicht spurt.“

Ebenfalls eine Lanze für Kuno Klötzer brach Franz Pflier, 65 Jahre alt und seit 50 Jahren Verkäufer von Bier und Sardinenbrötchen auf dem Sportplatz: „Ich hab gleich gesagt, Mannheim ist entscheidend. Und darin halten die Badener aus Karlsruhe und Villingen halt zusammen. Das schwerste Los haben die Fußballtrainer. Sie sind zu bedauern.“ Harte Zeiten sind für Souvenirverkäufer angebrochen. Die 19jährige Christa Menzel, die bei Heimspielen Wimpel und Gläser verkauft, machte ihrer Enttäuschung Luft: „Der Merkel hat nichts getaugt, und der Klötzer taugt auch nichts. Aber sicher hätte auch die Mannschaft etwas mehr tun müssen.“ Auch der 17jährige Malerlehrling Ralf Müller sieht in Klötzer den Sündenbock : „Er hat die Mannschaft zerrissen.“ Der Stadtarbeiter M. H. (32) dagegen forderte, daß Walter Luther endlich den Vorsitz des Rekordmeisters abgibt.

Otmar Schaller, Chef des Amtes für Ehrungen und Vergnügungen der Stadt Nürnberg, ist zurückhaltend: „Man kennt die tieferen Hintergründe nicht. Vermutlich haben alle Seiten Fehler gemacht. Bei einigen Spielern scheint mir die rechte Einstellung zu fehlen, nicht zum Geld, aber zum Sport. Nachdem ich die Trainingsmethoden nicht gesehen habe, kann ich nur vermuten, daß etwas falsch gemacht worden ist. Und ob die Vorstandschaft immer die richtige Hand zum bezahlten Fußball hatte, muß auch dahingestellt bleiben. Die Mannschaft ist bestenfalls noch eine zerrissene Familie. Wenig ist von dem Geist zu spüren, der den Club über Jahrzehnte hinweg auszeichnete und zu einem Gütezeichen im deutschen Fußball werden ließ.

Die Clubspieler saßen nach dem Spiel ziemlich alleine mit ihrem Trainer Kuno Klötzer und Pressereferenten Horst Räder im Restaurant am Valznerweiher. Schon bald brachen die ersten auf. Zum Schluß waren es nur noch drei Freunde, die blieben: Ferdinand Wenauer, Heinz Strehl und Horst Leupold. Sie gehören zu den besten Spielern des Clubs in den letzten zehn Jahren. Was sagt der Mann, der morgen, Dienstag, bei der Generalversammlung des Vereins mit Sicherheit im Kreuzfeuer stehen wird, Club-Chef Walter Luther. „Bisher hat niemand eine echte Alternative angeboten. Bringen Sie mir eine aktionsfähige Vorstandschaft und ich stelle meinen Posten frohen Herzens zur Verfügung!“ 

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