31. Januar 1969: Trambahn bleibt teuer

31.1.2019, 07:00 Uhr
31. Januar 1969: Trambahn bleibt teuer

© Bauer

Doch im Verwaltungshochhaus am Plärrer ist man Neuerungen abhold. Offensichtlich hat man sich daran gewöhnt, mit dem ständigen VAG-Defizit zu leben. Und schließlich reichten bislang die Gewinne der Schwestergesellschaft EWAG aus, um den wachsenden defizitären Betrieb bei den Straßenbahnen abdecken zu können.

In der Aufsichtsratssitzung vom 28. Oktober 1968 räumte die VAG ein, daß zwar durch die erhebliche Fahrpreiserhöhung das Defizit 1968 auf rund 14 Mill. DM verringert werden konnte, daß sich aber allein im Zeitraum von Januar bis August 1968 gegenüber der Vergleichszeit 1967 die Zahl der Fahrgäste um weitere 10,9 v. H. verminderte. Daß zwischen der Fahrpreiserhöhung und dem fortschreitenden Fahrgastschwund gerade im Kurzstreckenbereich ein ursächlicher Zusammenhang besteht, wird von der VAG nicht bestritten.

Die Straßenbahnen glauben jedoch diesen überdurchschnittlichen Schwund der Beförderungsleistung – bundesdurchschnittlicher Rückgang der Leistungen kommunaler Verkehrsbetriebe 4,7 v. H. im Vorjahr – als eine unvermeidbare Verlustquote abtun zu können, obwohl bislang für die öffentlichen Nahverkehrsbetriebe gerade die Kurzstrecken ein relativ lukratives Geschäft waren.

Die Erfahrungen bestätigen, daß Fahrpreiserhöhungen nur kurzfristig die Betriebsergebnisse bei der VAG positiv beeinflussen konnten, jedoch die Attraktivität der Straßenbahn nicht zu steigern vermochten. Zumal im laufenden Jahr die fortschreitende Minderung des Verkehrsaufkommens zusammen mit der sechsprozentigen Lohn- und Gehaltserhöhung die Mehreinnahmen durch Preiserhöhungen bei dem personalintensiven Straßenbahnbetrieb weitgehend ausgleichen und das Betriebsdefizit zum Jahresende wieder bedenklich ansteigen lassen werden.

In anderen Städten versuchte man deshalb neue Wege zu gehen. Günstige Werbetarife sollen wenigstens den Fahrgastschwund auffangen. Die im Hamburger Verkehrsverbund (HVV) konzentrierten Verkehrsbetriebe wollen auch im laufenden Jahr mit tariflichen Sonderangeboten für eine stärkere Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel werben. Neben den bewährten ermäßigten Einkaufsfahrscheinen und den rund um 80 v. H. verbilligten Senioren-Monatsfahrkarten für über 65jährige Personen sind weitere Preissenkungsaktionen geplant. Der Erfolg rechtfertigte die hanseatische Versuche: Hamburgs Verkehrsbetriebe konnten den Fahrgastschwund nicht nur auffangen, sondern verzeichneten im Vorjahr eine echte Zunahme.

Doch die VAG ist gegen Experimente. Vor den Mitgliedern des Aufsichtsrats lehnte Nürnbergs Straßenbahn die Einführung von Sondertarifen für Hausfrauen sowie für Rentner über 65 Jahre während der verkehrsschwachen Zeiten als sozial ungerechtfertigt ab, weil nach Meinung der VAG diese Sondertarife zum einen die Berufstätigen benachteiligen würden, zum anderen sage der Status eines Rentners über dessen finanzielle Leistungskraft nur wenig aus, so daß auch der reiche Rentner von der Fahrpreisermäßigung begünstigt würde. Doch wird die VAG-Argumentation paradox, wenn zunächst für die Ablehnung der verbilligten Sondertarife sozialmoralische Begriffe angeführt werden, und dann schlicht festgestellt wird, daß es ohnehin nicht Aufgabe eines Verkehrsbetriebes sein könnte, Fahrpreisvergünstigungen auf einer „sozialeren Grundlage“ einzuräumen.

Mit einem ähnlich „brillanten“ Zahlenspiel versucht die VAG den Nachweis zu erbringen, daß die Einführung eines Kurzstreckentarifs um 40 Pfennig für die Straßenbahn eine Einnahmeminderung von mindestens einer Million DM bewirken würde. Von den rund 4,8 Millionen inzwischen abgewanderten Kurzstreckenfahrgästen seien nur drei Millionen über das Fehlen von Kurzstreckentarifen verärgert, weitere 0,9 Millionen früherer Kurzfahrer habe die Tariferhöhung insgesamt „vergrämt“. Es wird wohl das Geheimnis der VAG bleiben, welcher feiner Unterschied zwischen den beiden Gruppen besteht.

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