365-Euro-Ticket: Nur billig ist nicht gut genug

9.11.2019, 05:50 Uhr
Seit Ende 2016 fährt die Straßenbahn in Nürnberg bis nach Am Wegfeld. Auch Infrastruktur und Anbindung müssen gut sein, um den ÖPNV attraktiv zu machen. Nur günstige Tickets reichen nicht.

© Foto: Eduard Weigert Seit Ende 2016 fährt die Straßenbahn in Nürnberg bis nach Am Wegfeld. Auch Infrastruktur und Anbindung müssen gut sein, um den ÖPNV attraktiv zu machen. Nur günstige Tickets reichen nicht.

Die Debatte über das Wiener Modell hat in Deutschland wieder neuen Schwung erhalten, als es darum
ging, die Schadstoffgrenzen in Städten einzuhalten. Mit einem günstigen 365-Euro-Jahresticket, so wurde argumentiert, könne man mehr Autonutzer zum Umsteigen auf Busse und Bahnen bewegen.

Jüngst hat auch Die Linke in Nürnberg eine Unterschriftensammlung gestartet, mit dem Ziel, eine Bürgerbefragung für ein 365-Euro-Jahresticket durchzuführen. Ministerpräsident Markus Söder hat ein solches Ticket für 2030 in Aussicht gestellt. Für Schüler und Auszubildende soll es schon ab nächsten Sommer eines geben. Es ist allerdings teuer. Allein das günstige Schülerticket im VGN wird die öffentlichen Kassen mit 43 Millionen Euro im Jahr belasten.

Die Verkehrsplaner Carsten Sommer und Dominik Bieland von der Universität Kassel haben das Wiener System analysiert, ob es ein Vorbild für deutsche Großstädte ist und unter welchen Bedingungen es eines sein kann. Ziel des Wiener Konzepts ist, den Anteil von Fußgängern, Radfahrern und ÖPNV-Nutzern am gesamten Verkehrsaufkommen bis 2025 auf 80 Prozent anzuheben.

2015 lag er schon bei 73 Prozent, im Vergleich zu deutschen Städten ein hoher Wert. Um das ambitionierte Ziel zu erreichen, den Autoindividualverkehr zurückzudrängen, wurden mehrere Maßnahmen umgesetzt: Der Preis für eine Jahreskarte für Busse und Bahnen sank von 449 auf 365 Euro. Die Parkraumbewirtschaftung, die in Wien schon 1993 begonnen wurde, erhielt eine Verschärfung. 2012 stieg der Preis für eine halbe Stunde Parken auf einen Euro.

Damit nahm die Stadt Wien 40 Millionen Euro mehr im Jahr ein und konnte die Einnahmeausfälle in Höhe von 50 Millionen Euro durch das 365-Euro-Ticket fast kompensieren. Parkplätze sind in der Innenstadt Kurzzeitparkplätze: Die über 265.000 Einpendler werden damit praktisch gezwungen, den ÖPNV zu benutzen.

Um die Infrastruktur der U-Bahn zu modernisieren, wurde 2012 eine sogenannte Dienstgeberabgabe beschlossen: Arbeitgeber zahlen pro Woche und je Arbeitnehmer zwei Euro an die Stadt Wien. Mit dem Geld wurden U-Bahnen in die Region verlängert.

Laut Sommer und Bieland stieg mit der Einführung der 365-Euro-Jahreskarte 2012 die Zahl der verkauften Zeitkarten um 37 Prozent. In den folgenden Jahren ging der weitere Anstieg deutlich zurück. Der Anteil der ÖPNV-Nutzer am Verkehr stieg von 35 Prozent 2009 auf 39 Prozent 2012 und blieb dann praktisch gleich. Durch die Verteuerung des Parkraums sank allerdings der Anteil des Autoverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen von 32 auf 27 Prozent.

Nicht das Ticket sorgt für weniger Autos

In ihrer Analyse kommen die beiden Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass weniger das günstige 365-Euro-Jahresticket der Grund für den Umstieg vom Auto auf den ÖPNV ist, sondern die Verteuerung des Parkraums. Der Anstieg der Zahl von Fahrten mit dem ÖPNV im Wiener Verbund und der Rückgang des Anteils von Autos am Verkehrsaufkommen sind aber noch auf andere Entwicklungen zurückzuführen.


Wird das Parken für Anwohner in Nürnberg bald teurer?


In den vergangenen Jahren ist die Zahl der Studenten und Touristen stark gestiegen. Auch hat Wien einen hohen Anteil an Arbeitslosen. Alle drei Gruppen gelten gegenüber dem ÖPNV als affin.

Das U-Bahnnetz wurde in die Peripherie verlängert. Außerdem erleichtert die kompakte Siedlungsdichte in Wien, dass viel mehr Menschen als etwa in Frankfurt potenzielle Nutzer des ÖPNV sind. Neue Baugebiete oder Struktureinrichtungen werden deshalb gezielt in der Nähe von Hauptachsen des ÖPNV entwickelt.

Wer Wien als Vorbild nimmt, der muss mehr machen als nur günstige Tickets anbieten, wenn er verkehrspolitisch etwas erreichen will.

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