4. April 1968: Vereint im Präsidium

4.4.2018, 07:00 Uhr
4. April 1968: Vereint im Präsidium

© Gerardi

Als sich gestern – übrigens zum ersten Male – der ganze Stadtrat im Polizeipräsidium sehen ließ, saß er im spartanisch möblierten Unterrichtsraum Fernsehgeräten gegenüber, mit denen Präsident Dr. Horst Herold und seine Mitarbeiter ein Kabinettstückchen demonstrierten: die Überwachung der Schwerpunkte von Kriminalität und Straßenverkehr mit Fernaugen, wobei die technische Sensation in der Übertragung auf den Bildschirm liegt. Es genügen einfache Erdkabel, wie sie schon zwischen der Verkehrsleitzentrale und den Lichtsignalanlagen im Boden liegen.

Eine solche konzentrierte Überwachung erfordert aber auch – neben anderen guten Gründen – eine Konzentration der Kräfte. Dr. Horst Herold redete deshalb der Auflösung der unter seinem Vorgänger eingerichteten Großraumreviere das Wort.

4. April 1968: Vereint im Präsidium

© Gerardi

Drei Anliegen waren es, die Oberbürgermeister Dr. Andreas Urschlechter, Bürgermeister Franz Haas, Referenten und Stadträte ins Polizeipräsidium haben gehen lassen. Das Stadtregiment wollte den Bestand registrieren, sich von der Entwicklung unterrichten lassen und einen Blick gen Osten werfen, wo altersschwaches Backsteingemäuer den Hof abschließt und Neubauten immer dringlicher werden.

Mit einem dreifachen Ziel begrüßte Dr. Herold die Gäste. „Wir haben die ‚innere Führung‛ bei der Polizei zu verbessern, wir müssen die Technisierung des Polizeiwesens vorantreiben und wir müssen unsere Kräfte in einem einzigen Gebäude konzentrieren“, erklärte er und fuhr fort: „Nur so können wir unsere Schlagkraft drastisch erhöhen.“

Noch immer wird das Bild von den Gesetzeshütern vom Militär geprägt, vom steten Wechsel zwischen Weisung des Chefs und Meldung des Untergebenen. Dr. Herold stellte dem seine Vorstellung gegenüber. „Wir kennen keinen Feind, sondern den Bürger. Unsere Beamten sollen Vollstrecker des Gesetzes sein. Wir brauchen ein Management, das auf dem Gespräch zwischen den Mitarbeitern beruht, ohne beim Einsatz auf die ‚Disziplin der Gelassenheit‛ zu verzichten.“ Der Präsident will außerdem die Beurteilung der Beamtenleistung neu regeln. Und er will – daran hat er noch nie einen Zweifel gelassen – alle Möglichkeiten ausschöpfen, die die Technik schenkt.

Dabei spielt die Datenverarbeitung eine wichtige Rolle. Auf Magnetbänder gespeicherte Daten, die jetzt gewaltige Karteien füllen und dennoch nicht ausreichend genutzt werden können, beantworten künftig jede nur denkbare Frage im Handumdrehen. Der „Detektiv Elektronengehirn“ eröffnet – man denke an Bundes- oder Landtagswahlen – die Hochrechnung, so daß sogar eine Kriminalitätsprognose für die nächsten drei Wochen möglich wäre.

Einige anschauliche Beispiele bekamen die Stadträte gleich an Ort und Stelle geboten. Im Siemens-Rechenzentrum im Trafo-Werk saß Kriminalhauptwachtmeister Werner Paul, der die Programme entwickelt hat und mittlerweile als „schlecht bezahlte Kapazität“ gilt. Zur Identifizierung von Fingerabdrücken gab er dem Gerät die notwendigen Angaben ein und bekam postwendend ein halbes Dutzend Verdächtige genannt. Mehrere Kriminalbeamte müßten wochenlang suchen, um dieses Ergebnis zu erreichen. Eine ähnliche Computerleistung: er vergleicht das Nürnberger Adreßbuch mit dem Bundesfahndungsbuch innerhalb von acht Minuten.

Neben dem bewährten Sprechfunk und der Datenverarbeitung will sich die Polizei ein drittes Medium zunutze machen: das Fernsehen. Abgesehen von der Aufstellung von Fernaugen an Straßenkreuzungen und in der Nähe von Lichtsignalanlagen zeigte Grundig gestern auch ein Gerät, das im Auto montiert werden kann, mit Funk arbeitet und an jedem beliebigen Punkt eingesetzt werden kann.

Doch mit diesem technischen Gehilfen ist es allein nicht getan. Die Polizei muß dort stationiert sein, wo der Straßenverkehr brandet und lichtscheues Gesindel meistens sein Unwesen treibt: in der Innenstadt. Außerdem kommt auf die Stadt die Verkürzung der 44-Stunden-Woche bei der Polizei auf 42 Stunden zu, die allein Mehrausgaben von rund 2 Millionen DM verursacht.

Dr. Horst Herold will deshalb gleich Nägel mit Köpfen gemacht wissen und die Mehrausgaben durch Einsparungen ausgleichen, die Konzentration und Technisierung ermöglichen. Bis auf das Revier 2, das wegen der Nachbarschaft zu Langwasser und zum Hafengebiet bestehen bleiben wird, sollen die Großreviere aufgelöst werden. „Geballte Kraft in der Ludwigstraße“, heißt die Devise.

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