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6. Dezember 1971: Der König der Clowns - Charlie Rivel

6.12.2021, 07:00 Uhr
6. Dezember 1971: Der König der Clowns - Charlie Rivel

© Ulrich

Nichts an ihm ist Koketterie, seine liebenswürdige Schlichtheit ist ein Teil seiner Macht, war es von jeher. Man spürt sofort, daß dieser Mann keine billigen Späße servieren wird, daß er keine grotesken Requisiten braucht, um dem Menschen einen ironischen Spiegel vorzuhalten, denn der Mensch ist ohnehin ein groteskes Wesen, der Mensch ist ein Clown – und Charlie Rivel zeigt ihm das. Zeigt ihm das in der Maske des Clowns: das überknielange, mattrote Gewand wölbt sich straff über dem Bauch, die schwarzen Pluderhosen hängen schlaff über den riesigen Pantinen, aus dem kalkweißen Gesicht sticht die kantige, glutrote Pappnase hervor, darüber wölbt sich die kahle Schädelmaske mit dem Kranz feuerroter Haare.

Wenn Charlie Rivel aus der Wohnwagenattrappe heraussteigt, sich langsam die kleine Treppe herunterquält, empfängt ihn eine Welle der Sympathie. Aber der Beifall verebbt, sobald Charlie einige Schritte nach vorn macht, als spürten die Zuschauer spontan diese Aura des Leisen, Verhaltenen um ihn. Charlie geht an die Rampe, verbeugt sich langsam, gemessen, nach links, nach rechts, vor dem Orchester, vor den gemalten Köpfen des Hintergrundprospekts, der an die alten Zeiten des Zirkus erinnert. In der einen Hand trägt er die Gitarre, mit der anderen schleift er einen Stuhl hinter sich her, so wie ein Kind ein Spielzeug hinter sich herzieht. Wie aber kann man sich auf einen Stuhl setzen, wenn man kein Vertrauen zu ihm hat, daß er dort ruhig stehen bleibt, wohin man ihn gestellt hat?

Charlie ruft einen seiner Söhne zu Hilfe, und an dessen Hand steigt er auf den Stuhl. Erst als er darauf gestanden hat, kann er sich daraufsetzen. Was Charlie Rivel demonstriert, ist nicht die altbekannte Tücke des Objekts, sondern ist das begründete Mißtrauen in die Treue des Objekts. Das ist mehr als nur lächerlich und grotesk, das ist weise. Das ist die Weisheit des Alters, die Erkenntnis, daß in dieser Welt der Täuschungen das wenigste das ist, was es zu sein scheint. Man gibt ihm Ballettunterricht. Aber nicht einmal die Grundstellung ist einfach, denn wenn er den Bauch eingedrückt hat, steht der Hintern im Wege. Zwei Schwierigkeiten zur gleichen Zeit sind für einen Menschen zuviel. Neben der Eleganz der Bewegungen beim Sohn wirken seine hopsenden Bemühungen doppelt kläglich. Charlie weiß um seine Misere und will nicht mehr. Sein kindliches Heulen wechselt zwischen Jammer und Wut, es klingt immer aus mit jenem berühmten hochgezogenen „Huuuh“, das er mit gerecktem Kopf in den mitleidlosen Himmel schluchzt.

Das Wesen einer Clownerie, die mit so sparsamen Mitteln arbeitet, ist mit der Beschreibung nicht zu fassen, weil sich das alles der Sprache entzieht, und doch kommt man dem nur durch genaue Beschreibung ein wenig nahe. Zum Abschluß steigert er sich zur großen Groteske: Charlie Rivel als Primadonna mit Federhut. Das Orchester intoniert eine Opernarie und Charlie krächzt dazu seine Koloraturen. Aus dem italienischen Wortsalat wird nur der Name des Angesungenen deutlich. Die durch Lachen verhöhnte Primadonna rettet sich in kindliches Greinen. Jener Name wird nun angefleht, aus diesem Elend zu helfen. Das absolut Künstliche der Oper wird hier glänzend demaskiert, zugleich verschwimmen aber auch die Grenzen zwischen dem Künstlichen und der Wirklichkeit. Ob Charlie Rivel sich laut oder leise gibt, ob ganz hintergründig oder auch mehr vordergründig, all diese Komik wird überglänzt von der rührenden Menschlichkeit des alten Mannes, die noch aus der ganz uneitlen Art spricht, mit der er die Blumen, die man ihm brachte, an der Rampe wieder verschenkt. Wenn ein Abend der letzten Zeit in Nürnberg unvergessen bleibt, dann ist es dieser in der Messehalle mit dem großen, dem unvergleichlichen Charlie Rivel. „Nürnberg – schööön“, der König der Clowns kann es für eine Stunde glauben machen.

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