75 Jahre NN: Eine Gesellschaftsreporterin muss die Menschen mögen

9.9.2020, 18:20 Uhr
75 Jahre NN: Eine Gesellschaftsreporterin muss die Menschen mögen

© Foto: NN

Vor allem aber wurde Anette von den Eltern immer wieder angehalten, den Stammkundinnen doch bitte freundlich die Hand zu schütteln, ein wenig Smalltalk zu halten, den Damen zuzuhören, ihnen ein zugewandter Gesprächspartner zu sein.


Die Geschichte der Nürnberger Nachrichten


"Da gibt es schon große Ähnlichkeiten zu meinem jetzigen Job als Gesellschaftsreporterin", gesteht Anette Röckl und merkt ironisch an, dass sie es auch in anderer Hinsicht nicht so weit gebracht habe. Denn der "Salon Röckl" lag in der Marienstraße – den berühmten Steinwurf entfernt, schräg gegenüber vom Redaktionsgebäude der Nürnberger Nachrichten. Dort, im zweiten Stock, sitzt die 43-Jährige heute an ihrem Schreibtisch und bastelt aus den Gesprächen und Beobachtungen von den meist abendlichen Zusammentreffen mit ihrer Gesellschafts-Stammkundschaft launige Texte.

Und auch was das Schreiben angeht, hat die Kollegin eine sehr frühe Lehre in der eigenen Familie durchlaufen. Die humorbegabte Mutter, die leider schon mit 60 Jahren starb, setzte sich nämlich mit ihrem Grundschulkind gern gemeinsam hin und ermunterte die Kleine zu bunt schillernden Fantasie- und Erlebnisaufsätzen. Und wenn mal eher wenig passiert war im Leben
der Sieben- oder Achtjährigen, dann schlug die Mutter schon mal vor, ausschweifend "über nichts" zu schreiben. "In meiner Klasse war ich mit solchen Aufsätzen der Renner", erinnert sich Anette Röckl. Heute ist sie es mit ihren "Hallo Nürnberg!"-Kolumnen bei einem stets größer werdenden Kreis eingefleischter Leser(innen)-Fans.


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Dabei führte der Weg der überzeugten Nürnbergerin und Fränkin natürlich nicht einfach schnurstracks quer über die Marienstraße. Ein bisschen kurvenreicher war die Biografie der Gesellschaftsreporterin und Kolumnistin dann doch. Klar war nur relativ früh, dass sie den Salon der Eltern nicht übernehmen und fortführen würde. Der Vater, sagt sie, hätte sich wohl "eine Friseurin mit Abitur" sehr gut vorstellen können. Aber die Tochter – die im Übrigen hartnäckig behauptet, ein schüchternes Kind gewesen zu sein – hielt nach eigener Auskunft eine schwer zu kurierende Grundangst von einer solchen Laufbahn ab. "Ich hab’ mich immer gefragt: Was wäre, wenn ich mich verschneide?"

Anette hat andere Jobträume. Als Elf-, Zwölfjährige sitzt sie allmorgendlich im Bus 36, fährt Richtung Willstätter-Gymnasium und beneidet den Fahrer. "Alle Leute freuten sich, wenn er endlich kam, und Matheschulaufgaben musste der auch nicht schreiben." Also Busfahrerin. Oder vielleicht doch Schriftstellerin. Bis zum Abitur ist die Frage nicht wirklich geklärt. Die Wahl der Studienfächer lässt dann im Grunde beide Optionen zu. Theaterwissenschaft, neuere deutsche Literatur und italoromanische Philologie, sprich: Italienisch. Mit einer solchen Fächerverbindung sind schon manche Magister als schriftstellernde Taxifahrer tragende Säulen des Personennahverkehrs geworden.

Mit Anette Röckl hat das Schicksal dann doch andere Pläne. Sie schrammt als weibliche Hälfte eines Theater-Duos, das mit selbst verfassten fränkischen Sketchen ("Es ging eher um krachenden Humor") das Publikum regionaler Kleinkunstbühnen und die Gäste größerer Geburtstagsfeiern unterhält, knapp an einer Schauspielkarriere vorbei, bevor sie ein Zettel am Schwarzen Brett der Erlanger Uni in Richtung Journalismus lockt.

Die Fürther Nachrichten suchten damals eine freie Mitarbeiterin für ihren Kulturteil. Und Anette Röckl probierte das einfach mal aus. Fortan sitzt sie als Rezensentin im Zuschauerraum von Kleinkunstbühnen, hat Spaß beim Verfassen ihrer Texte, und ihr Fürther Kulturredakteur ist mit dem, was sie danach abliefert, ausgesprochen zufrieden. "Da habe ich gewusst: Das wär's."

Nach dem Abschluss des Studiums klappt es dann auch gleich mit einem Volontariat bei den Nürnberger Nachrichten. Und 2006 tritt Anette Röckl ihre erste Redakteursstelle beim damaligen Sonntagsblitz an.

Neigung, Zufall, umsichtige Personalentwicklung? Man weiß es nicht so genau. Die junge Frau mit dem Faible fürs Unterhaltungsfach landet jedenfalls recht zielsicher im passenden journalistischen Genre. Sukzessive wird sie von ihrem Vorgänger Klaus Schrage in die lokale Gesellschaftsberichterstattung eingeführt. Dass dieses angeblich leichte Fach so leicht gar nicht ist, haben schon viele vor ihr erfahren müssen. Anette Röckl erinnert sich noch gut an ihren ersten Nürnberger Opernball. "Ich habe so gut wie keinen gekannt und mich die ganze Nacht ziemlich verkrampft am Tresen festgekrallt."

Die journalistische Ausbeute des gesellschaftlichen Großereignisse muss dann doch recht ordentlich gewesen sein. Jedenfalls findet Röckl immer mehr Freude daran, der Nürnberger Society den Puls zu fühlen. Die anfänglichen Berührungsängste verschwinden recht schnell. Und eine gewisse professionelle Distanz zur Szene ist ohnehin angeraten. "Man darf nicht irgendwann glauben, dass man selbst ein Promi ist, nur weil man immer mit dabei ist", sagt die Reporterin. "Und man sollte sich immer darüber im Klaren sein, dass die Leute auch oft etwas von einem wollen."


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Jetzt unterscheidet sich die Gesellschaftsberichterstattung derNürnberger Nachrichten zum Glück von der reiner Klatschblätter. In welcher Promi-Ehe es gerade kriselt und wer es mit wem treibt, das sind nicht die Fragen, die Anette Röckl umtreiben. Und nicht jeder Satz, der am frühen Morgen nach einer durchtanzten, feucht-fröhlichen Opernballnacht an der Bar fällt, steht gleich in der Zeitung. "Das möchte man selbst schließlich auch nicht." Der wohl wichtigste Grundsatz der Gesellschaftsreporterin, die seit zwei Jahren mit einer Partnerin liiert ist, die nicht aus dem Journalismus kommt, lautet: "Man muss Menschen mögen."

Als "ganz willkommene Verschnaufpause" erlebt Anette Röckl gerade die Corona-Krise. Und sie hat sogar den Eindruck, dass viele "Darsteller in der Gesellschaft auch ganz froh darüber sind". Wo Feste, Bälle, Empfänge zur Verpflichtung werden, lässt der Spaß daran irgendwann etwas nach.

Anette Röckl kann sich denn auch vorstellen, irgendwann eine andere Aufgabe in der Redaktion zu übernehmen. Was sie allerdings nie aufgeben wird, das ist ihre Kolumne "Hallo Nürnberg!". "Die ist mir zur Herzenssache geworden." Seit neun Jahren breitet sie in diesen Texten vor allem ihr immer wieder unterhaltsames Scheitern an den Tücken und Herausforderungen des Alltags aus. Dieses Eingeständnis des eigenen Überfordert- und Unsortiertseins, schnoddrig und unprätentiös abgeliefert – "das ist meine Form".

Und viele Leser finden sich in diesen humorvollen Erzählungen wieder. "Das Feedback ist toll. Mit manchen stehe ich praktisch in ständigem Austausch." Die Leser erzählen dann von ihren eigenen Tollpatschigkeiten, lassen der Autorin Gedichte zukommen oder berichten von den Eigenwilligkeiten ihrer Hauskatzen. Denn "Joker", Anette Röckls vor längerem verschiedener Stubentiger, war es, der sich als früher Star der Kolumne in die Herzen der Leser schlich.

Zwei Bücher füllen die "Hallo Nürnberg!"-Texte inzwischen. Und die Lesungen Anette Röckls, denen Joker gelegentlich als Pappfigur beiwohnt, sind stets ausverkauft. Der alte Bühnen-Halbprofi genießt die Kontaktaufnahme mit der Kundschaft sehr. Pandemie-bedingt konnte man zuletzt leider nur auf digitalem Weg, per Facebook oder NN-Podcast, zusammenkommen. "Die Technik hat mich anfangs etwas gestresst – ich kenn’ mich ja. Aber dann hat’s großen Spaß gemacht", sagt Anette Röckl. Gegenüber der Schauspielerei haben ihre Auftritte einen entscheidenden Vorteil: "Ich kann meinen Text ablesen."

Wer über Anette Röckl schreibt, der kommt an Gianna Nannini nicht vorbei. Die Nürnbergerin ist Hardcore-Fan der mittlerweile 66 Jahre alten italienischen Rockröhre. Nun ist das für jemanden, der Italienisch studiert hat und seit frühester Jugend für das Traumland der Deutschen schwärmt, nicht so verwunderlich. Höchstens, dass die Kollegin so spät Nannini-Ultra wurde. Vor vier Jahren besuchte sie in der Meistersingerhalle erstmals ein Konzert des Energiebündels aus Siena. "Und da hat sie mich und den Rest der Halle von der ersten Minute an komplett vom Hocker gerissen."


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Seither nahm Anette Röckl in Vor-Corona-Zeiten den Nannini-Konzertplan gern mal zum Vorwand, um in kürzester Zeit kreuz und quer durch Italien zu reisen. Im Dezember letzten Jahres brachte sie es innerhalb einer Woche auf fünf Konzertbesuche samt Meet-and-Greet-Termin inklusive Selfie mit Gianna in Mailand.

Dass sie sich mit reifen 43 Jahren so hemmungslos dem Fanrausch hingibt, darüber macht sich Anette Röckl bereitwilligst selbst lustig. Wenngleich ihr Schwärmen für Nannini einen ganz ähnlichen und äußerst handfesten Grund hat wie ihre Liebe zur journalistischen Arbeit: "Ich finde es immer faszinierend, wenn Menschen für etwas brennen und im positiven Sinn von etwas getrieben sind." Da brennt Anette Röckl dann gern ein wenig mit.

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