8. April 1967: Kuriose Wege führten ans Ufer der Pegnitz

8.4.2017, 07:00 Uhr
8. April 1967: Kuriose Wege führten ans Ufer der Pegnitz

© Kammler

Wer und wo sind die übrigen rund 7.400 Fremden? Was tun sie und womit verdienen sie ihr Geld? Etliche von ihnen haben sich als Unternehmer, Wissenschaftler und Ärzte, aber auch als Dolmetscher bei Polizei und Gericht, als Ingenieure, Gastronomen und Handelsleute sowie als Facharbeiter und Angestellte seßhaft gemacht.

Die einen oder anderen mögen wieder gehen und Nachkömmlingen Platz machen, denn das Nürnberg von heute schließt keine Tore mehr zu. Aber ein „Stamm“ von Ausländern bleibt – angeführt von den Italienern, die offensichtlich auf den Spuren von Bartholomäus Viatis wandern, der schon um 1550 aus Venedig an die Pegnitz kam, Großkaufmann wurde und seiner Tochter Maria samt ihrem Mann, dem Diener Martin Peller, sein Vermögen hinterließ. Mit dem vielen Geld entstand das berühmte Pellerhaus im südländischen Stil. Aber auch andere Fremde verweilen hier – schon so lange, daß sie längst Nürnberger geworden sind. Wir haben einige von ihnen einmal gefragt, warum sie das Frankenland zu ihrem Domizil gewählt haben.

8. April 1967: Kuriose Wege führten ans Ufer der Pegnitz

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Wenn Yao Ching Pan seine Bottiche mit Reis schwingt, Hühnerbrust mit Morcheln vermengt und Krebse süß-sauer zubereitet, dann denkt der 59jährige Gastronom asiatischer Küche – "Nürnbergs erster Chinese" nach Kriegsende – kaum mehr an seine Heimat. Sein Geburtsort Wenchow bei Shanghai liegt weit, und mehr als 30 Jahre ist es her, seit er nach Deutschland ging, um Gaumenfreunde zu erobern.

In Leipzig begann der Sohn einer geschäftstüchtigen Familie mit einem Ladengeschäft, kochte anschließend 17 Jahre in Berlin und Dresden, um 1953 den Sprung nach Westdeutschland zu machen und zunächst von Kaiserslautern aus das Feld zu sondieren. Und siehe da: Nürnberg besaß noch keine chinesische Küche! Das Lokal in der Himpfelshofstraße 28 war proper und für ihn bereit … Herr Pan begann sich einzurichten.

Seit der Eröffnung des China-Restaurants im Westen der Stadt – das war im September 1954 – hat sich die Speisekarte nicht geändert: noch immer stehen, nach Nummern geordnet, elf Suppen, sieben Vorspeisen, 47 Hauptgerichte und sieben Nachspeisen im Brevier, und 80 v. H. aller, die sich, auch ohne Stäbchen, chinesisch ergötzen wollen, sind Stammgäste. Ihr Motto: das Fremde liegt so nah!

Pan lächelt

Warum der mit Bambussprossen und Sojabohnenkeimen jonglierende Yao Ching in Nürnberg bleiben will? Pan lächelt, als sei er für Lehár und seine Operette engagiert: "Chinamann schon immer gerne nach Deutschland gekommen!" sagt er und fügt hinzu: "Wollen machen Geschäft!" Gute Geschäfte machen inzwischen alle zehn Chinesen, die sich in Nürnberg, Erlangen und Fürth – dort auch Pans früherer Kompagnon Tscheng Hai – niedergelassen haben.

In die Kalkulation gehört, daß die Importe aus Formosa und Hongkong klappen, daß die Chin-Lee-Cher-Frucht (eine weiße Kirschenart) exakt ankommt, die Bananen den rechten Reifegrad haben, um sie mit Ei und Honig braten zu können. Das ganze runde Konzept muß stimmen, wenn Pan, der sich längst "bin ich Nürnberger" nennt, zufrieden sein will. In seiner Freizeit entspannt sich der 59jährige in der Fränkischen Schweiz, jetzt gerade wieder auf dem Volksfestplatz und beim "Mutschi-Mutschi", einem Dominospiel, zu dem reihum seine Landsleute einladen.

8. April 1967: Kuriose Wege führten ans Ufer der Pegnitz

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Bereits 1922 ist Baltasar Montserrat, Scheurlstraße 20a, nach Nürnberg gekommen, damals als Auslandskorrespondent auf Empfehlung einer spanischen Werbefirma. Der frischgebackene "Twen", kaufmännisch begabt und tatendurstig, begann bei einem der größten und angesehenen Exportunternehmen (Zirndorfer & Mayer in der Langen Zeile) zu arbeiten. Große Hoffnungen, später in seinem Land erfolgreich zu sein, beflügelten ihn. "Doch die erste Zeit war hart", erinnert sich der gebürtige Spanier, "aber als ich zwei Jahre geschafft hatte, fühlte ich mich wie zu Hause!"

Hochzeit in Nürnberg

Daran mag auch die Nürnbergerin Katharina nicht ganz unschuldig gewesen zu sein. Baltasar Montserrat, aus Olessa de Montserrat unweit von Barcelona stammend – dieser "heilige Berg" ist der bedeutendste in Katalonien –, lernte sie kennen, als er 1928 ein eigenes Exportgeschäft gegründet hatte und heiratete sie. Mehr als 15 Jahre lang entwickelte sich der Handel mit Spielwaren und Geschenkartikeln hervorragend, dann aber fielen Bomben und zerstörten alles, was der Spanier aufgebaut hatte. Er wich nach Oberstaufen aus, begründete in Immenstadt ein neues Großhandelsgeschäft für Spiel- und Schreibwaren und kehrte 1950 nach Nürnberg zurück.

"Dann ging es wieder aufwärts", seufzt zufrieden der mittlerweile 65jährige – seinen Geburtstag feierte vor kurzem beim Bruder in der alten Heimat –, "denn ich konnte wieder deutsche Waren nach Spanien, Portugal und den südamerikanischen Ländern exportieren!" 1968 begeht er sein 40jähriges Jubiläum als Exporteur – glücklich in Deutschland, auch mit seinen Erinnerungen an viele Nürnberger, mit denen er Freundschaft schloß und an die Zeit, da er, von 1940 bis 1945, spanischer Vizekonsul für Franken war.

"Daß ich einmal hier bleiben würde – wer hätte das gedacht!" So beginnt der jetzt 43jährige Christof Peponias seine "Nürnberg-Geschichte" mit einem lachenden Gesicht. "Pumperlwohl" fühlt sich nämlich der Herr Taxi-Unternehmer, der in seiner griechischen Heimat einst als Metzger gelernt und keine Ahnung hatte, daß seine Zukunft Germania heißen würde. Als er 17 Lenze zählte, wurde er – 1942 – von der deutschen Kommandantur dienstverpflichtet – und zwar nach Röthenbach an der Pegnitz.

Aus war‘s mit der Idylle in der mazedonischen Hafenstadt Kawalla, 150 Kilometer von Saloniki entfernt, und ab ging‘s zu einer Baustelle in Mittelfranken. Doch Peponias war noch nie ohne Mut: nach Kriegsende gehörte er zum Motor-Pool beim Gerichtsgebäude als Fahrer für Alliierte, sprang zum Export-Taxi-Service über und schloß sich 1953 der Nürnberger Taxivereinigung an. Seitdem fährt er seine Kunden – "Taxi ist kein Luxus mehr, denn Zeit kostet auch Geld" – dorthin, wo sie es wünschen.

8. April 1967: Kuriose Wege führten ans Ufer der Pegnitz

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"Ich habe mich prächtig akklimatisiert", sagt der Grieche vom Ägäischen Meer, der 1961 eine Fürtherin geheiratet und in der Schlüsselfelder Straße 6a ein modern eingerichtetes Haus gefunden hat. "Wenn‘s Zeit wird, dann habe ich Sehnsucht nach Griechenland – und da fahre ich zu unserem Osterfest am 30. April auch wieder hin, aber nach spätestens zwei Wochen in Kawalla habe ich wieder Sehnsucht nach Nürnberg. So geht das hin und her!" Befragt, was ihn hier festhalte, antwortet er: "Ich komme mit den Menschen gut zurecht – und auch die Kniedla schmecken mir!"

Die Kochkunst von hohem Niveau hat sich Rafael Ciornei ("den Namen kann man auf Wunsch aussprechen!") aufs Panier geschrieben. Der Franzose russischer Abstammung – er beherrscht vier Sprachen – kam auch auf Umwegen vor Jahren nach Nürnberg, wo er in der Fürther Straße16 wohnt und tagsüber seine Zeit damit verbringt, aktuelle Zeitungen und Magazine zu lesen. Gegen Abend zieht es ihn, nicht allein des Gelderwerbs wegen, nach Fürth zu seinem spanischen Freund Miguel Lopez, der ein französisches Spezialitäten-Restaurant leitet. Ihm ist er Berater und selber Gourmand.

"Warum ich Nürnberg als Wohnsitz wählte?", fragt der Franzose. "Ich war zuvor in Frankfurt, Mannheim und München, kam dann aber hierher, weil ich spürte, daß in diesem Gebiet eine spezielle französische Gastronomie fehlt!" Außerdem findet der Individualist und Einzelgänger besondere Freude an Nürnberg mit seiner Kaiserburg und dem Germanischen Nationalmuseum, in dem er oft zu sehen ist.

Hingegeben an seinen "Spanischen Garten" ist Antonio Garau, der mit seiner Schwester Rosalia und seiner Frau Gertraud (eine "waschechte Nürnbergerin") jenes bekannte Südfrüchte-Geschäft betreibt, das sein Vater Antonio bereits 1911 in der Theresienstraße begründet hat. Der frühere Fischerjunge aus Mallorca war nach Mainz zu einem Onkel in die Lehre gekommen, hatte dann "die alte Noris" als seine zweite Heimat erklärt, ein Stammhaus eröffnet und als erster in Nürnberg die spanischen Valencia-Apfelsinen eingeführt.

Nicht lange, und Sohn Antonio ward 1916 geboren. Daheim wurde mallorquinischer Dialekt gesprochen, hin und wieder auch die reine Schriftsprache Castellan, aber dann kam die Schulzeit in einer deutschen Schule. Der Abkömmling von der schönsten Insel der Balearen lernte Nürnbergerisch – und nachdem vier von einst fünf Filialen, die der Vater eröffnet hatte, an Mitarbeiter vergeben oder im Krieg zerstört worden waren, übernahm der Stammhalter das übriggebliebene Geschäft am Plärrer 4. Heute gibt es bei ihm für das attraktive Angebot keine Jahreszeiten und keine Grenzen mehr. Außerdem: Antonio Garau, der schon ungezählten Landsleuten geholfen hat, fühlt sich wie daheim.

Ähnlich empfindet seinen Aufenthalt in Deutschland auch sein italienischer Namensvetter Antonio. Er heißt mit Nachnamen Rena und wurde 1904 in Mailand geboren. Am Allersberger Tunnel führt er eine ebenso großzügig wie akkurat ausgestattete Expressobar, auf deren Niveau er bedacht ist. Das kommt nicht von ungefähr. Antonio, in der Hotelbranche erster Kategorie im Ausland geschult, kam 1938 nach Nürnberg, um sich – im ministeriell genehmigten Praktikantenaustausch – den "letzten Schliff" zu holen, damals im "Deutschen Hof".

"Ich war der erste Italiener in diesem hervorragenden Haus", schildert er, "alle Menschen waren freundlich, und das Milieu hatte es mir angetan!" Die Kriegszeiten boten wenig Verlockendes, doch Antonio, der nach Milano oder anderswo hätte gehen können, blieb. Er eröffnete 1949 die Delftstube "Bei Antonio" an der Lorenzkirche und hatte rasch viele prominente Gäste, von denen er heute noch begeistert erzählt. Sein Lokal war ein bekannter, begehrter Treffpunkt nicht alltäglicher Menschen, die sich etwas zu sagen hatten. Künstler aller Kategorien gingen hier ein und aus.

Es gibt noch viele Ausländer mehr, die sich in Nürnberg seßhaft gemacht haben – auch die Chesis und Massaris, Engländer, Spanier, Türken, Perser, Franzosen und Amerikaner. Sie haben sich Existenzen aufgebaut, die Erfolg brachten und sie trugen dazu bei, dem ehemals "reichsstädtischen Kleinod" neues, pulsierendes internationales Gepräge zu geben. Die "Alten" unter den Ausländern haben ihr "Fährschiff Nürnberg" auf originelle Weise bestiegen. Nicht ganz so originell war der Weg, der Tausende von Gastarbeitern nach Franken führte. Dennoch: auch von ihnen werden etliche hängenbleiben und eines Tages ihre "Nürnberger Geschichte" erzählen – unweit vom Duft der großen, weiten Welt.

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