8. Oktober 1970: 100.000-Mark-Trostpflaster Grzimeks

8.10.2020, 07:00 Uhr
8. Oktober 1970: 100.000-Mark-Trostpflaster Grzimeks

© Contino

Die Gehege liegen in der Nähe der Waldgemeinde Neuschönau im Landkreis Grafenau, nahe der Grenze zum Böhmerwald, am südlichen Rand des künftigen, 13.000 Hektar großen Nationalpark-Geländes. Das ganze Naturschutzgebiet, im Waldmeer zu Füßen des Lusen (1.300 m) und des Rachel (1.400 m) abgegrenzt, ist reines Wander- und Erholungsgebiet, in dem künftig neue Freigehege für Wildschwein, Marder, Dachs, Storch und Auerhahn angelegt werden müssen.

Das nunmehr als erstes in Westdeutschland als Naturpark eingeplante Terrain liegt im verkehrsfernsten Gebiet der Bundesrepublik, jedenfalls noch so lange, bis die Autobahnen Nürnberg-Regensburg-Passau und Nürnberg-Amberg fertig sind.

Dreimal Böllerschuß

In Abwesenheit des verunglückten Ministerpräsidenten Alfons Goppel eröffnete Bayerns Landwirtschaftsminister Dr. Hans Eisenmann vor einer vielköpfigen Gesellschaft aus Politik, Kultur und Wirtschaft um 11.45 Uhr unter drei Böllerschüssen die Gehege. Eisenmann lobte die Arbeit aller nach der einmütigen Beschlußfassung des Landtags am 11. Juni 1969 zur Realisierung des Naturschutzparks, so daß die ersten Projekte bald in Angriff genommen werden konnten.

Eisenmann rühmte die Idee Professor Grzimeks und die Gutachten von Professor Haber und Graf Bernadotte, nach denen das Gelände im tiefsten Bayerischen Wald zum Nationalpark erklärt werden konnte. Bisher hat der Freistaat 1,5 Millionen Mark in die Anlage von Gehegen, Wegen, Straßen und Parkplätzen investiert.

Der Bund gab bisher nur 50.000 Mark. Aus Bonn war kein offizieller Vertreter zur „Eröffnung des Nationalparks“ gekommen, dafür präsentierte sich der in Niederbayern als „populärster Naturschützer“ beliebte Frankfurter Professor Dr. Grzimek als Bundesbeauftragter für Naturschutz und Umweltfragen.

Er teilte der über die Bonner Sprödigkeit enttäuschten FestgeseIlschaft dann doch noch mit, daß er weitere 100.000 DM aus Bundesmitteln bereitstellen kann, um zu helfen, den Nationalpark erst einmal zu dem zu gestalten, was den Naturschützern vorschwebt.

„Alles erst ein Anfang“

Dazu bedarf es, laut Eisenmann, allerdings weiterer Millionen. Bayern habe für 1970 zu diesem Zweck 20 Millionen Mark bereitgestellt. „Der Bund könnte sich schon stärker engagieren, nachdem es sich um einen nationalen Plan handelt“ sagte Eisenmann zum applaudierenden Waldvolk.

Dennoch, so der Forstminister Bayerns, sei „alles erst ein hoffnungsvoller Anfang“. Die Bewirtschaftung des Wildbestandes im Nationalparkgelände werde ebenso neu überlegt, wie die Holznutzung im Naturschutzgelände.

Professor Grzimek sagte der Festversammlung, daß Bayern mit dem Plan eines Nationalparks „kulturell wieder einmal bahnbrechend vorangegangen“ sei, ähnlich wie beim Bau des Deutschen Museums oder des Wagnertheaters in Bayreuth, und gratulierte dem Land zu diesem „einmaligen“ Waldgebiet. Weitere Glückwünsche zur Bewältigung dieser ersten Etappe überbrachten Landtagspräsident Rudolf Hanauer, Innenminister Dr. Bruno Merk, Bayerns Naturschutzbeauftragter Hubert Weinzierl und Karl Bayer, der Landrat von Grafenau.

So war mit diesem bayerischen Zeltfest unter den Klängen von Landlermelodien und Jagdhörnern die „Eröffnung des Nationalparks“ erfolgt. Eingeladen waren ins Bierzelt des Plattlinger Festwirts Ferdl Römersperger 396 Ehrengäste, die vier Wisente, neun Hirsche und zwei Luchse im Anschluß an die Feier in ihren Gehegen beobachteten.

Vom Senatspräsidenten Freiherr Hippolyt Poschinger von Frauenau bis zum Waldarbeiter Fritz Brunnhölzl aus Katzberg waren sich alle geladenen Gäste darüber einig, daß an einem herrlichen Oktobertag ein schönes Stück bayerischer Heimat zu Recht zum „offiziellen Wander- und Naturschutzgebiet“ erklärt worden war.

Ein paar tausend Schulkinder und Einheimische beklatschten und bejubelten die Tatsache, daß ihr Bayerwald nunmehr zum amtlichen Nationalpark avanciert ist. Am Abend des Festtages verlieh der „Bund Naturschutz in Bayern“ in einem weiteren Festakt in der Realschule Grafenau erstmals den bayerischen Naturschutzpreis an Landtagspräsident Hanauer, an Universitätsprofessor Dr. Otto Kraus aus Bad Tölz, an Regierungspräsident a. D. Dr. Johann Mang aus München, an den Münchner Journalisten Erich Seydel, an den Diplom-Kaufmann Heinz Schmitt vom Bayerischen Industrieverband Bau,Steine, Erden und an den Allgäuer Naturschutzbeauftragten Georg Frey.

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