Als der American Way of Life nach Nürnberg kam

14.3.2019, 14:26 Uhr
Fortschritt im Grünen – so stellte die Nachkriegszeit Industriearchitektur gerne dar, so auch 1953 das Nürnberger Coca-Cola-Werk.

© unbekannt (Sammlung Stefan Schwach) Fortschritt im Grünen – so stellte die Nachkriegszeit Industriearchitektur gerne dar, so auch 1953 das Nürnberger Coca-Cola-Werk.

"Scho widda su a neimodischs Gschmarri vo Ameriga!" Solche Lamenti bekam manch einer zu hören, der in den Nachkriegsjahren ob der (pop-)kulturellen und materiellen Segnungen und Versuchungen von der anderen Seite des Großen Teichs frohlockte.

Tatsächlich war der Kulturimport aus dem Land der Besatzungsmacht fast überall spürbar, in der Mode, den Tänzen, den Autos, der Architektur und dem Angebot an Nahrungsmitteln. Wer damals Zugang zum PX-Markt eines amerikanischen Militärstützpunktes hatte – oder jemanden kannte, der jemanden kannte, der dort reindurfte –, war im Bekanntenkreis der King.

In Nürnberg kam es knüppeldick für die Kritiker der kulturellen Invasion aus den USA, als die Coca-Cola Company dort ein eigenes Werk mit Verwaltung, Abfüllanlagen und Großlager errichtete, um endlich den bislang nur mäßig beackerten fränkischen Markt für Erfrischungsgetränke zu erobern.

Diese Aufnahme von 2016 offenbart den Verkehrs-Moloch. Nur die Werksgebäude sind in veränderter Form erhalten geblieben – noch.

Diese Aufnahme von 2016 offenbart den Verkehrs-Moloch. Nur die Werksgebäude sind in veränderter Form erhalten geblieben – noch. © Boris Leuthold

Das Werksgelände lag verkehrsgünstig zwischen Innenstadt und Autobahn in der Ostendstraße 115 in Mögeldorf. Ab 1952 sprudelte hier tagtäglich das koffeinhaltige Kracherl in die weltbekannten Glasflaschen mit der "Taille".

Die Dr.-Gustav-Heinemann- und die Passauer Straße gab es damals noch nicht. Erst 1976 brach man das vierspurige Ungetüm durch das Stadtgefüge. Unmittelbar westlich des Coca-Cola-Werks fiel ihm ein ganzes Karree der Kleinwohnanlage zum Opfer, die der Nürnberger Wohnungsbauverein und seine Nachfolgerin, die WBG, zwischen 1918 und 1922 dort errichtet hatten.

Für die Limonadenfabrik brachte dieser gravierende Eingriff durchaus Vorteile mit sich: Von da an nämlich bildete das Werk mit seinem markanten, turmartigen Verwaltungstrakt den Blickfang für jene, die aus Richtung Stadtmitte oder Zabo kommend an der Ampel warteten.

Für die rund 80 VW-Busse und Mercedes-Benz-Lastkraftwagen, die die Brausekästen an den Laderampen neben dem Verwaltungsbau ein- und ausluden, bedeutete die neue Verkehrsachse eine willkommene Abkürzung.

Der Berliner Bruder des Nürnberger Coca-Cola-Werks ging 1953 in der Charlottenburger Franklinstraße 24 in Betrieb. Heute steht dort ein Autohaus.

Der Berliner Bruder des Nürnberger Coca-Cola-Werks ging 1953 in der Charlottenburger Franklinstraße 24 in Betrieb. Heute steht dort ein Autohaus. © unbekannt (Sammlung Sebastian Gulden)

Bei der Wahl des Architekten für die Fabrikgebäude ließen sich die Amerikaner nicht lumpen: Den Auftrag erhielt Wilhelm Schlegtendal, einer der Väter des Wiederaufbaus der Nürnberger Altstadt und Schöpfer des Plärrer-Hochhauses. Mit ihren klaren, kubischen Formen und dem hellen Anstrich knüpften die Werksgebäude an die Bauten der Neuen Sachlichkeit der 1920er und 1930er Jahre an.

Die Büroräume im Verwaltungstrakt und über dem Lagerhaus versah Schlegtendal mit großen Panoramafenstern und weit auskragenden Flugdächern aus Spannbeton. Der vorstehende Treppenhausschacht mit Vordach und Freitreppe bot Geschäftskunden einen würdigen Empfang.

Allein, lange wird es dieses Ensemble nicht mehr geben: Nachdem der Getränkehersteller ausgezogen war und verschiedene Zwischennutzer – darunter ein Leihdienst für US-amerikanische Straßenkreuzer – die Gebäude belegt hatten, kaufte sie 2016 der Erlanger Immobilienkonzern Sontowski & Partner an.

Auch der "Bruder" in Berlin musste weichen

In den nächsten Jahren soll auf dem Gelände nach Plänen des Düsseldorfer Architekturbüros RKW ein Neubaukomplex mit Büros und Gewerbeflächen entstehen, deren Zentrum ein 18-geschossiger Wohnturm bildet.

Dann wird das Nürnberger Werk ebenso wie vor einigen Jahren schon sein Berliner Bruder, den Hans Simon – offenbar von Schlegtendals Entwurf inspiriert – 1953 für den Coca-Cola-Franchise-Nehmer Eduard Winter in der Hauptstadt erbaut hatte, verschwinden. Ein Kapitel Nürnberger Kultur-, Industrie- und Architekturgeschichte der Wirtschaftswunderzeit geht damit zu Ende.

Liebe NZ-Leser, haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Zeitung, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: nz-leseraktion@pressenetz.de.

Noch mehr Artikel des Projekts "Nürnberg – Stadtbild im Wandel" finden Sie im Internet unter www.nuernberg-und-so.de/thema/stadtbild-im-wandel oder www.facebook.com/nuernberg.stadtbildimwandel.

Keine Kommentare