Anatolischer Alleinunterhalter am Drehspieß

14.5.2013, 00:00 Uhr
Anatolischer Alleinunterhalter am Drehspieß

© Stefan Hippel

Ein Knopfdruck und es geht los: Die acht Zentimeter breite Edelstahlscheibe am vorderen Ende von Yusuf Cantürks elektrischem Döner-Schneider beginnt zu rotieren und fährt dank einer Geschwindigkeit von 5000 Umdrehungen pro Minute durch das knusprig braune Putenfleisch wie das sprichwörtliche Messer durch die Butter. Ein Aufsatz an der Spitze des Geräts — ähnlich geformt wie ein Gemüseschäler — sorgt dafür, dass die Stücke nicht irgendwo landen, sondern direkt in der halbmondförmigen Edelstahlschaufel am Fuße des Spießes.

„Das ist auch schon alles“, sagt der 42-Jährige und zuckt mit den Schultern. Erfahrung, Fingerspitzengefühl, Talent? Alles nicht mehr nötig beim Döner-Schneiden, seit es die elektrisch betriebenen Hilfsgeräte — erhältlich ab 400 Euro — gibt. „Das kann sogar ein Kind“, seufzt Cantürk. „Deshalb gibt es inzwischen fast an jeder Ecke einen Döner-Stand.“

Um klarzustellen, dass er selbst nicht zu den unzähligen branchenfremden Amateuren gehört, die sich einfach mal ohne jede Ahnung ins Abenteuer stürzen und mit ihren Ersparnissen oder gar auf Pump eine Imbissbude eröffnen, greift er unter den Tresen und zückt ein beinahe schwertgroßes Messer. Ein Relikt aus einer Zeit, als dem Kebap nur Geübte zu Leibe rücken konnten.

Konzentriert wendet er sich damit wieder dem Spieß zu und säbelt mit geübter Hand so hauchdünne Streifen herunter, dass die Fleischstückchen der Maschine daneben schon fast ein wenig klobig wirken. „Ich habe mein Handwerk bei Emin Böcü erlernt“, berichtet Cantürk. Der eben noch leicht resignierte Gesichtsausdruck ist einem selbstbewussten Lächeln gewichen.

Schließlich ist Böcü bis heute eine Legende in der Branche. Der Mann, der vor mehr als 30 Jahren im Imbiss „Piknik Pide“ am FriedrichEbert-Platz den allerersten Fleischspieß Nürnbergs zum Rotieren brachte. Sieben Jahre lang stand Yusuf Cantürk bei Emin Böcü, der sich längst in Anatolien zur Ruhe gesetzt hat, hinterm Tresen oder in der Küche.

Nicht nur das Döner-Schneiden, sondern auch das Backen von Börek, Pide und anderen türkischen Teigwaren sowie das Kochen von Linsensuppe hat er dort gelernt, bevor Cantürk 1999 seinen eigenen Imbiss gründete, das nach seinem türkischen Geburtsort benannte „Samsun“-Kebaphaus in der Südstadt.

Seitdem steht er jeden Morgen pünktlich um halb neun in dem knapp 30 Quadratmeter großen Laden in der Schweiggerstraße, wo er sich bis 22Uhr abrackert, ohne Ruhepausen, sieben Tage die Woche. Selbstausbeutung pur. Doch Cantürk will weitermachen — zumindest bis seine Söhne Tarik (18) und Bünyamin (13) Schule und Ausbildung beendet haben. „Früher habe ich sogar schon um sieben aufgemacht“, sagt der 44-jährige Türke, „aber ich bin inzwischen ja nicht mehr der Jüngste.“

Sieht man sich seinen typischen Arbeitstag an, kann man es ihm kaum verübeln, dass er nicht mehr so lange auf der Matte stehen mag wie früher: Vom Putzen des Ladens inklusive der Dunstabzugshauben, des Döner-Grills. der Theke und der übrigen Gastro-Gerätschaften über das Einkaufen von Zutaten bis hin zum Zubereiten derselben zu Döner-Tellern mit Pommes, Lahmacun-Rollen mit Salat und anschließendem Bewirten seiner Gäste macht Yusuf Cantürk alles selbst.

Anatolischer Alleinunterhalter am Drehspieß

© Stefan Hippel

Dass der Alleinunterhalter sein Dönerfleisch nicht mehr wie früher selbst aufspießt, sondern fertige Ware bestellt, verzeiht man ihm gern. „Die Hersteller machen ja auch nichts anderes als ich. Sie legen Fleischscheiben in Milch ein, würzen sie und schichten sie dann auf den Spieß“, sagt er. Sein Stammkunde Cesur ist trotzdem überzeugt: „Bruder Yusuf macht einfach den besten Döner der Stadt.“ Der Gelobte aber bleibt bescheiden: „Egal ob fertig bestellt oder selber gemacht, die Gewürze und das Fleisch sind im Großen und Ganzen überall gleich.“

Aber wo liegt dann der Unterschied, der unter Kebap-Fans oft heftige Diskussionen auslöst, wer den besten Döner brät? „Das Gesamtpaket aus Brot, Soße, Salat, Fleisch und der jeweiligen Menge ist entscheidend“, sagt Cantürk. Natürlich gebe es auch Spieße mit Hack, Kalb, Pute oder Hähnchen und diversen Mischungen dieser Fleischsorten. Alles tiefgefroren, verpackt und in Größen von 20 bis gut über 100 Kilo erhältlich.

Doch so wie auch im „Samsun“ rotieren in den meisten Nürnberger Imbissen heute Puten-Spieße, weiß er zu berichten, deren Fleisch auch noch vom selben Produzenten, einem deutschen Schlachtbetrieb bei Neustadt, stamme. Nur einmal pro Woche wuchtet Cantürk neben seinem üblichen 20-Kilo-Putenkegel noch einen Kalbsspieß auf den zweiten Grill.

Dass ihm seine Kunden trotz all der Konkurrenz — allein im Umkreis von 500 Metern gibt es mehr als 10 Wettbewerber — die Treue halten, liegt aber nicht am Fleisch, „sondern daran, das es hier jemanden mit guter Laune gibt, mit dem man einen Tee trinken und reden kann.“ Letzteren gibt es übrigens, ebenso wie etwa Tipps, wo man sein Auto günstig reparieren lassen kann oder wie man seinen nichtsnutzigen Bruder dazu bewegt, sich endlich einen Job zu suchen, gratis. Gegen Ende seines 13-Stunden-Arbeitstages wird er dann doch wortkarg und beginnt hastig, das letzte Döner-Fleisch vom Spieß zu säbeln. obwohl kein Kunde ins Sicht ist. Erst auf Drängen verrät er: „Das ist für Bekannte, denen es nicht so gut geht.“

Mehr Informationen über den Piknik Pide in unserer Rubrik Essen und Trinken!

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