Angriff auf Gülen-Anhänger in Nürnberger Fußgängerzone

16.1.2018, 05:47 Uhr
In der Nürnberger Pfannenschmiedgasse hat ein unbekannter türkischer Mann einen politischen Info-Stand inmitten der Fußgängerzone angegriffen - der Grund: Die Aktivisten standen dem in der Türkei umstrittenen Gülen-Netzwerk nahe.

© Thomas Correll In der Nürnberger Pfannenschmiedgasse hat ein unbekannter türkischer Mann einen politischen Info-Stand inmitten der Fußgängerzone angegriffen - der Grund: Die Aktivisten standen dem in der Türkei umstrittenen Gülen-Netzwerk nahe.

Die Aktivisten der "Bürgerinitiative Menschenwürde Nürnberg", die mit einem Info-Stand auf die in ihren Augen unhaltbare Situation in türkischen Gefängnissen aufmerksam machen wollte, freuen sich normalerweise über jeden Passanten, der stehen bleibt. Bei einem türkischen Landsmann allerdings, der dies vor wenigen Wochen in der Pfannenschmiedsgasse tat, war die Freude nur von kurzer Dauer.

Denn statt sich bei den Aktivisten über das Thema zu informieren — oder mit ihnen zu debattieren — schaltete der von Anfang an höchst aggressiv auftretende Mann schnell in den Angriffsmodus. Zunächst schritt er noch scheinbar gelassen den Info-Stand ab und filmte mit gezücktem Handy demonstrativ die Menschen dort. Danach blieb der stämmige Mann, der geschätzt 30 bis 40 Jahre alt sein dürfte, vor zwei Aktivistinnen stehen und begann, diese als "ehrlose Fetoisten" zu beschimpfen.

Als solche gelten in der Türkei — spätestens seit dem blutigen Putschversuch im Juli 2016 — alle Anhänger des umstrittenen Predigers Fethullah Gülen. Ihn und sein weit verzweigtes Netzwerk, das inzwischen "Fethullahistische Terrororganisation" genannt wird, sehen nicht nur die Regierung, sondern auch große Teile der Opposition in Ankara als Drahtzieher des blutigen Umsturzversuches, der mehr als 250 Menschenleben forderte. Sezai C., der unumwunden einräumt, im Vorstand einer Gülen-nahen Einrichtung im Raum Nürnberg zu sitzen, sieht dies natürlich — ebenso wie seine Mitstreiter am Stand — ganz anders. Er sei ein "politisch uninteressierter Mensch", betont der Akademiker, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt. Trotzdem engagiert er sich an dem Info-Stand, mit dem man laut C., nur auf die Lage von mehr als 600 Kindern aufmerksam machen wolle, die mit ihren inhaftierten Eltern in türkischen Gefängnissen säßen.

Beleidigungen auf Video

Den erbosten Angreifer kann er freilich nicht überzeugen: Wie ein Video-Mitschnitt des Vorfalls zeigt, warnt dieser die Aktivisten am Stand nicht nur, dass er sie den türkischen Behörden melden werde. In dem Handy-Video, dessen Übersetzung der Redaktion vorliegt, droht er ihnen auch unverblümt an, sie alle "zu zerstreuen", wenn er "durchdreht". Nur Sekunden später scheint er dann so weit zu sein: Er wirft nicht nur mit immer unflätigeren Beleidigungen um sich, sondern zieht auch seine Jacke aus und stürmt auf die Aktivisten los.

Nur weil seine sichtlich geschockte Begleiterin und Passanten ihn im letzten Augenblick zurückhalten, kommt es nicht zu Schlimmerem. Der erboste Angreifer wendet sich ab und verschwindet — weiter derb fluchend und drohend — in der Menschenmenge. Ob er auf diese Weise ungeschoren davonkommt, ist ungewiss: Laut Polizei-Pressesprecherin Elke Schönwald ermittelt in der Sache bereits das zuständige Fachkommissariat der Kripo. Im Raum stehen unter anderem Körperverletzung, Beleidigung und Bedrohung. 

+++Zur Information+++

Das Netzwerk des im US-Exil lebenden türkischen Islam-Predigers Fethullah Gülen ist weltweit verzweigt und umfasst neben privaten Schulen und Bildungseinrichtungen auch Firmen und Medienhäuser. Seit sich Gülen mit der AKP-Regierung von Tayyip Erdoðan überworfen hat, gilt er am Bosporus als Staatsfeind Nummer eins. Seinen Anhängern wird vorgeworfen, die Bürokratie und Justiz sowie den Sicherheitsapparat des Landes unterwandert zu haben. 

Insbesondere nach dem blutigen Putschversuch vom Juli 2016, für den nicht nur die Regierung, sondern auch ein Großteil der Opposition sowie die Mehrheit der türkischen Öffentlichkeit Gülen verantwortlich macht, wird gegen die Bewegung und ihre Mitglieder rigoros durchgegriffen. Mehr als 100.000 mutmaßliche Anhänger sind mit diesem Vorwurf bereits vom Dienst suspendiert oder verhaftet worden. Hunderte Gülen-nahe Firmen, Schulen, Medienhäuser, Vereine und Stiftungen wurden geschlossen oder enteignet.

In Deutschland, wo sie weder verboten ist, noch unter Beobachtung des Verfassungsschutzes steht, sind die Meinungen über die Bewegung geteilt. Während manche ihre Einrichtungen weiterhin als bildungs- und dialogorientiert loben, mehren sich zuletzt auch hier kritische Stimmen. Nicht nur Aussteiger sprechen von einer "Sekte", auch Türkei-Experten wie etwa Kristian Brakel von der Deutschen Gesellschaft für Außenpolitik attestieren der Bewegung "klandestine Strukturen" und werfen den Gülen-Anhängern vor, dass sie "viele Institutionen in der Türkei unterwandert haben". 

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