Antalya: Die Straßenbahn, die nicht fährt

5.6.2009, 00:00 Uhr
Antalya: Die Straßenbahn, die nicht fährt

© Joachim Hauck

Die Bürger sind auf das Projekt entsprechend schlecht zu sprechen. Von einem Schildbürgerstreich ist die Rede und von einem Millionengrab, das Oberbürgermeister Menderes Türel letztlich zum Verhängnis geworden ist: Er hat die Kommunalwahlen am 29. März haushoch verloren und sein Amt an den Rektor der Universität, Mustafa Akaydin, abgeben müssen.

Fast schon ein Heilsversprechen

Dabei hätte gerade die neue Straßenbahn Türels Wiederwahl sichern sollen: 50.000 bis 60.000 Passagiere täglich, so kündigte es der OB zu Beginn seiner Regentschaft an, könnten ab 1.Januar 2009 entspannt mit der topmodernen Tramvay in nur 27 Minuten vom Stadtzentrum zum elf Kilometer entfernten Busterminal sausen - fast schon ein Heilsversprechen in einer Stadt, die an chronischer Verstopfung durch Autos und Busse leidet und außer der uralten Nürnberger Straßenbahn, die seit vielen Jahren immer schön langsam die Uferpromenade entlangzockelt, kein einziges schienengebundenes Verkehrsmittel hat.

Gefahren ist die 109 Millionen Euro teure Tramvay am 1. Januar nicht. Nur einmal, genau zwei Tage vor der Kommunalwahl in Antalya, rückte ein Zug aus. Eingestiegen ist an diesem denkwürdigen Tag alles, was in Antalya Rang und Namen hat; selbst Ministerpräsident Erdogan war aus Ankara gekommen, um mit seinem Parteifreund Türel die Straßenbahn zu feiern und ihm Rückenwind für die Wahl zu geben.

Jungfernfahrt gleichzeitig die letzte

Die pompöse - und womöglich nicht ganz ungefährliche - Jungfernfahrt war auch die vorerst letzte. Kaum war die Prominenz von Bord gegangen, verschwanden die Züge aus spanischer Produktion wieder im Depot. Das neue Rayli Sistem (Schienenverkehrssystem) hatte sich als schlichtweg nicht verkehrssicher entpuppt: Die Oberleitungen funktionierten nicht richtig, die Ampeln entlang der Trasse waren noch nicht fertig und, was noch schlimmer ist, der Gleiskörper war an mehreren Stellen vom heftigen Winterregen unterspült und instabil geworden.

Am Tag der Wahl wussten das die Antalyaner natürlich noch nicht, doch von der Tram hatten sie schon damals die Nase voll. Türels Prestige-Objekt nämlich war von Anfang an ein politisches Abenteuer - eines, das die Geduld der Menschen überstrapaziert hat. Weil die Tram unbedingt in der Amtszeit des OB an den Start gehen musste, war der Zeitplan geradezu irrwitzig eng gestrickt: In nur eineinhalb Jahren Bauzeit mussten quer durch die Stadt elf Kilometer Trasse geschlagen, der Boden für 16 Haltestellen planiert und ein halbes Dutzend Tunnel gebaggert werden. Was den Anwohnern und Geschäftsleuten da an Staub, Lärm und noch mehr Verkehrschaos zugemutet worden ist, lässt sich erahnen.

Auftrag nach Spanien vergeben

Erfahrene Projektplaner aus dem Umfeld der Nürnberger VAG, die gerne mit den Türken ins Geschäft gekommen wären, hatten den OB gewarnt: Die Vorbereitungen seien aufwendig und die Arbeiten kompliziert. Antalyas Stadtoberhaupt freilich wollte es schnell und vergab den Auftrag nach Spanien.

Am Wahlabend bekam er die Quittung: Der allzu bauwütige Menderes Türel, dem auch noch (unbewiesene) Vorwürfe der Vorteilsnahme und des Abhörens politischer Gegner anhängen, wurde buchstäblich aus dem Amt gejagt. Nachfolger Akaydin darf sich jetzt mit der Hinterlassenschaft herumschlagen: mit enttäuschten Bürgern, einer Stadt-Verschuldung von umgerechnet fast einer Milliarde Euro - und natürlich mit der Straßenbahn.

Am 15. Juni soll ein neuer Startversuch mit der Tram unternommen werden. Dass er klappt und alle Probleme aus dem Weg geräumt werden können, bezweifeln viele. Selbst wenn er halbwegs gelingt: Wirklich helfen wird die Tramvay der Stadt kaum. Wo früher vierspurige Autostraßen durch die City führten, sind sie - dank der eingefügten Straßenbahntrasse - jetzt auf zwei Fahrstreifen verengt. Das Chaos und der Ärger sind entsprechend; die Frage, warum man es nicht gleich mit einer U-Bahn versucht hat, stellen sich viele.

Gefallen an den Gleisen, über die seit einem halbem Jahr kein Zug fährt, finden nur wenige: die Rettungsdienste beispielsweise, die auf der leeren Bahntrasse einigermaßen schnell vorankommen; Rad- und Motorradfahrer auch, für die die Fahrt auf den normalen Straßen einem täglichen Überlebenskampf gleicht. Dankbare Autobesitzer haben die Trasse als Parkplatz entdeckt, und manche Anwohner stellen darauf sogar Tischchen und Stühle auf, um ein wenig Tavla (eine Art Backgammon) zu spielen.

Wenn Nürnbergs OB Ulrich Maly am 9. Juni mit einer Stadtratsdelegation für ein paar Tage zum offiziellen Partnerschaftsbesuch nach Antalya kommt, wird er nur mit einer Tram fahren können: der alten Nürnberger Straßenbahn, die die Noris ihrer Partnerstadt vor vielen Jahren geschenkt hat. Die dreht - solide fränkisch gebaut – zuverlässig ihre Runden und ist bei Einheimischen wie Touristen eine unumstrittene Attraktion.