Anwalt: Brandgefahr in Neuselsbrunn nur vorgetäuscht

4.1.2019, 05:55 Uhr
Die Fassaden sind ab, die Hochhäuser stehen nackt da: Jetzt streiten sich die Juristen über die Baumaßnahme.

© Foto: Stefan Hippel Die Fassaden sind ab, die Hochhäuser stehen nackt da: Jetzt streiten sich die Juristen über die Baumaßnahme.

Drei Wochen lang hat die Kanzlei Bauakten und andere Unterlagen durchleuchtet. In Zusammenarbeit mit einem eigenen Brandschutz-Sachverständigen und einem Architekten, sagt Kratzer. Das Ergebnis: An den Hochhausfassaden habe "zu keinem Zeitpunkt akute Brandgefahr" bestanden. Die Hausverwaltung, die Vonovia Immobilien Treuhand, habe "die Eigentümer getäuscht" und nur so den Mehrheitsbeschluss am 29. Oktober erwirkt, die Fassadendämmung im Hauruck-Verfahren ohne weitere Prüfungen abzureißen.

Schadenersatzklage gegen Hausverwaltung

Gegen diesen Beschluss hat die Kanzlei bereits Anfechtungsklage beim Amtsgericht Nürnberg eingereicht. Eine Schadenersatzklage gegen die Hausverwaltung sei in Vorbereitung, so Kratzer – für den Fall, dass gütliche Gespräche im Januar mit der Kölner Anwaltskanzlei, die inzwischen die Hausverwaltung vertritt, zu keiner Einigung führen sollten.

"Wir wollen eine schnelle Lösung", sagt Kratzer, weil die meisten der betroffenen Eigentümer die anteiligen Kosten der Fassadenerneuerung nicht schultern könnten, die im Schnitt 50.000 Euro pro Wohnung ausmachen dürften. Aber auch, weil beim Abbruch der bisherigen Dämmung an den Außenwänden der fünf Hochhäuser teils so erhebliche Schäden verursacht wurden, dass nun Stahlarmierungen im Beton freiliegen und schon bald Rost ansetzen dürften.

Dämmung mit Flüssigbeton nur schwer entflammbar

Diese Schäden entstanden, so Kratzer, weil die Dämmung so fest mit dem Gebäude verbunden war, dass sie "mit Brachialgewalt" unter Einsatz von Presslufthämmern von der Außenwand gelöst werden mussten. Darin sieht der Anwalt einen von mehreren Belegen dafür, dass die angebliche Hinterlüftung der Dämmung, mit der die städtische Bauverwaltung die Gefahr im Verzug begründet hatte, überhaupt nicht existierte. Im Gegenteil: Das Dämmmaterial, mit Styropor ausgefüllte Heraklithplatten, sei beim Bau der fünf Hochhäuser in den 1960er Jahren nach dem Anbringen mit Flüssigbeton ausgegossen worden (Fachleute sprechen hier von einer "verlorenen Schalung"). Die gesamte Dämmung sei dadurch nur noch schwer entflammbar gewesen – und keineswegs brandgefährlich.


Hochhäuser hätten nicht abgerissen werden müssen.


Der Vonovia-Hausverwaltung wirft die Kanzlei Kratzer und Kollegen vor, ihre "Verwalterpflichten aufs Gröblichste verletzt" zu haben. Unter anderem sei das Unternehmen über Monate hinweg untätig geblieben, obwohl die städtische Bauverwaltung per Bescheid angeordnet hatte, bis zum 1. August das Dämmmaterial in einem Fachlabor prüfen zu lassen und zudem das Gutachten eines Brandschutz-Sachverständigen zur Frage der Brandgefahr vorzulegen. Das Gutachten liege bis heute nicht vor, so Rechtsanwalt Kratzer, es sei von der Hausverwaltung noch nicht einmal in Auftrag gegeben worden.

Anwohner in Neuselsbrunn haben an Weihnachten vor ihren Hochhäusern gegen die Sanierung durch die Verwalter demonstriert.

Anwohner in Neuselsbrunn haben an Weihnachten vor ihren Hochhäusern gegen die Sanierung durch die Verwalter demonstriert. © Stefan Hippel

In einer Besprechung am 11. Oktober habe die Stadt die Hausverwaltung aufgefordert, bis spätestens 19. Oktober das Konzept eines Prüfsachverständigen zur Gefahrenanalyse mit Kompensationsmaßnahmen vorzulegen. Auch diese Expertise habe die Vonovia "nicht beauftragt und auch nicht vorgelegt", argumentiert Klaus Kratzer.

In einer weiteren Besprechung am 19. Oktober wurde offenbar festgestellt, dass keine unmittelbare Brandgefahr existiert. Der Rechtsanwalt verweist auf das Protokoll dieser Besprechung, in dem festgestellt werde: "Es besteht keine erhebliche, unmittelbare Gefahr, die eine sofortige Räumung erforderlich macht."

Trotzdem habe die Hausverwaltung die betroffenen Miteigentümer in der Versammlung am 29. Oktober mit der Drohung unter Druck gesetzt, wenn sie dem Fassadenabriss nicht zustimmen sollten, werde die Stadt noch vor Weihnachten die Räumung der fünf Hochhäuser erzwingen, und die Bewohner kämen dann in Asylbewerber-Unterkünften unter.

Erste Klagen folgen im Februar

Aber auch der Stadt Nürnberg macht die Anwaltskanzlei gravierende Vorwürfe. Unter anderem hätte die Bauverwaltung die Vonovia viel mehr unter Druck setzen müssen, wenn sie von einer potenziellen Gefahrenlage ausging. Nachdem die Hausverwaltung das zum 1. August geforderte Gutachten nicht vorgelegt hatte, hätte die Stadt sofort mit einem Zwangsgeld reagieren müssen – und gegebenenfalls einen Monat später ein weiteres, deutlich höheres Zwangsgeld verhängen müssen, meint Kratzer. Beides sei "offensichtlich nicht erfolgt".


Trotz Feuergefahr: Hochhausbewohner können bleiben.


Überdies habe die Bauverwaltung ein vorläufiges Protokoll des Rosenheimer Prüfinstituts IFT – es ist auf die Beurteilung der Gebrauchstauglichkeit von Bauprodukten spezialisiert – vollkommen falsch interpretiert. Eine tragfähige Interpretation wäre nur in Zusammenhang mit dem zum 1. August geforderten Gutachten möglich gewesen, so Kratzer – das die Vonovia aber nicht vorgelegt habe. So kam es in der Besprechung am 19. Oktober zwischen Baureferat und Hausverwaltung zu der Einschätzung, dass ein Abriss der Fassadenverkleidung sofort erfolgen müsse.

Abriss wäre nicht zwingend gewesen

Allerdings, so Rechtsanwalt Kratzer, sei diese Feststellung lediglich im Gespräch erfolgt. Einen entsprechenden Bescheid habe die Bauordnungsbehörde nicht erlassen. Mit anderen Worten: Die Vonovia-Hausverwaltung war ohne Bescheid gar nicht dazu gezwungen, den Abriss unverzüglich einzuleiten.

Am 29. Januar steht eine weitere Eigentümerversammlung für die betroffenen Miteigentümer an. Klaus Kratzer sieht die Hausverwaltung "unter enormem Zugzwang", weil ihr für weitere Maßnahmen derzeit viel zu wenig Geld zur Verfügung steht. Der Anwalt erwartet deshalb, dass die Vonovia den Eigentümern damit drohen wird, die Verwaltung niederzulegen; er will die Eigentümer entsprechend vorbereiten.

Parallel dazu plant die Kanzlei im Januar Gespräche über ihre Schadenersatzforderung an die Vonovia. Dazu möchte Kratzer auch die Stadt ins Boot holen, die gegebenenfalls einen Teil des Schadens übernehmen soll. Falls die Gespräche scheitern, sei geplant, ab Februar die ersten Klagen einzureichen.

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