Ärger um fehlendes drittes Geschlecht: Ist die VAG nicht divers genug?

30.10.2020, 16:16 Uhr
Die Nürnberger U-Bahn wird Tag für Tag von Zehntausenden genutzt. 

© Michael Matejka Die Nürnberger U-Bahn wird Tag für Tag von Zehntausenden genutzt. 

Es war ein Urteil mit Tragweite, vor allem aber mit Signalwirkung. Vor knapp zwei Jahren hat der Gesetzgeber mit "divers" ein drittes Geschlecht in Deutschland eingeführt. Wer sich nicht als Mann oder Frau fühlt, der kann seitdem eine dritte Option im Geburtenregister wählen. Viele Unternehmen stellten ihre Kundenformulare und digitalen Systeme um - die Verkehrs-Aktiengesellschaft Nürnberg (VAG), die Busse, Trams und U-Bahnen in der Stadt betreibt, bislang nicht. Auf Anträgen oder Fahrausweisen kann man also weiterhin nur zwischen Mann und Frau wählen.


Drittes Geschlecht: Das ist der erste "diverse" Nürnberger


Für Tessa Ganserer ist das unverständlich. Die Landtagsabgeordnete der Grünen klopfte bereits im Februar 2019 bei der VAG an. Man arbeite daran, die Prozesse umzustellen "damit es zu keinerlei Diskrepanzen mehr kommt", hieß es damals. Passiert ist seitdem erschreckend wenig, sagt Ganserer. In einem offenen Brief schreibt die Politikerin: "Ich möchte meinen, dass fast zwei Jahre genug Zeit gewesen wären, die notwendigen Umstellungen in der EDV vorzunehmen."

"Wollen, dass unsere Menschenwürde gewahrt wird"

Luca Fabién Dotzler von den Grünen scheitert als "non-binäre Person", wie sie sich selbst nennt, regelmäßig an den Formularen. Auch bei der VAG. "Unsere Geduld ist zu Ende", sagt die Sprecherin des mittelfränkischen Arbeitskreises Queergrün in der Partei. "Wir wollen endlich, dass unsere Menschenwürde gewahrt und wir ernst genommen und nicht unsichtbar gemacht werden."

Die VAG als städtische Beteiligungsgesellschaft habe eine Vorbildfunktion, heißt es in dem offenen Brief. Es müsse möglich sein, Menschen mit dem Geschlechtereintrag "divers" einen Fahrausweis auszustellen. "Für einen diskriminierungsfreien Umgang reicht es bei Weitem nicht aus, bei den Stellenausschreibungen (m/w/d) zu schreiben."

VAG: Systeme müssen umgestellt werden

Eben jener Vorbildfunktion sei man sich bewusst, sagt die VAG. "Frau Tessa Ganserer und die Mitunterzeichner sprechen ein wichtiges gesellschaftliches Thema an, mit dem wir uns intern über die Stellenausschreibungen hinaus befassen", heißt es in einer Stellungnahme, die unserer Redaktion vorliegt. In den vergangenen Jahren sei viel passiert - und der Prozess ist noch lange nicht zu Ende.


Unternehmen in der Region führen "drittes Geschlecht" ein


"Eine ganze Reihe von Vorlagen haben wir bereits geschlechtsneutral formuliert", heißt es von der VAG. "Unser Ziel ist es, dass wir auch unseren Verkauf gendergerecht gestalten." Doch die Neuprogrammierung der Systeme sei aufwendiger als gedacht. Vieles müsse mit dem übergeordneten Verkehrsverbund VGN abgestimmt werden, Tests brauchen ihre Zeit - doch der Wille ist da, betont das Unternehmen. Bei VAG_Rad, dem Leihangebot der Verkehrsbetriebe, habe man die Geschlechterneutralität etwa von Beginn an umgesetzt. "Geplant ist, eine weitgehend gendergerechte Gestaltung des Verkaufs 2021 zu realisieren."

Verkehrsbetriebe können genderneutrales eTicket ausstellen

Den Vorwurf der Diskriminierung jedenfalls weist die VAG entschieden zurück. "Wir können Menschen, die sich als divers oder nicht-binär einordnen, zwar noch nicht optimal erfassen und anschreiben", so das Unternehmen. Aber: Dort, wo es Probleme gibt, reagiere man sofort. Elektronische Tickets werden etwa so ausgestellt, dass dort nur Vor- und Nachname vermerkt sind - nicht aber das Geschlecht. "So erhält Luca Fabièn Dotzler ein neutrales eTicket von uns, ohne den Hinweis Mann oder Frau." Auch bei Tessa Ganserer, der Landtagsabgeordneten, die den offenen Brief initiiert hatte, habe man sich "schnell entschieden, ihr ein neues eTicket auszustellen".

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