Ärger um Impfreihenfolge: Wie eine Software die Priorität einstuft

1.4.2021, 10:09 Uhr
Vor dem Impfzentrum in der Messe stehen ältere und jüngere, kranke und gesunde Menschen in der Warteschlange. Der Algorithmus eines Computerprogramms hat entschieden, wer "dran" ist und einen Impftermin bekommt.

© Michael Matejka, NNZ Vor dem Impfzentrum in der Messe stehen ältere und jüngere, kranke und gesunde Menschen in der Warteschlange. Der Algorithmus eines Computerprogramms hat entschieden, wer "dran" ist und einen Impftermin bekommt.

Nürnberg werde in der nächsten Woche fast 15.000 Impfdosen bekommen - das sind rund doppelt so viele wie in dieser laufenden Woche. Womöglich ist das ein Vorbote des sogenannten Impf-Turbos, den das Gesundheitsministerium in Berlin für April versprochen hat. Doch unterdessen häufen sich die Klagen jener Menschen, die sich vom Impfzentrum "vergessen" fühlen. Christine Schüßler weiß, was man in diesen Fällen tun könnte.

Die Impfreihenfolge erscheint rätselhaft. Da gibt es den 70-Jährigen, der noch keinen Termin ausmachen konnte und da ist die 20-Jährige, die bereits geimpft ist. Wie ist so etwas möglich?

Christine Schüßler: Wir verwenden im Impfzentrum die bayernweite neue Software, die ständig angepasst wird. Daher macht es auf jeden Fall Sinn, nochmal reinzuschauen, wenn man schon länger nichts mehr gehört hat. Es gab beispielsweise manche Veränderungen in der Priorisierung, etwa beim Personal, das in den Grundschulen arbeitet oder in den Kindertagesstätten. Die waren vorher in der Prioritätsstufe drei, jetzt sind sie in der Stufe zwei. Dann gibt es ein paar Krankheiten, die neu ergänzt wurden.

Ich hatte den Fall einer Bekannten, die 65 ist und Lehrerin. Sie schilderte, dass die 30-jährige Kollegin schon geimpft wurde und sie hat noch nicht einmal ein Impfangebot bekommen. Wir haben dann ihren Account überprüft und festgestellt, dass sie ihren Beruf zwar noch einmal neu angegeben hatte, aber das hatte nicht funktioniert und sie war noch in Prio drei. Dann hat sie noch einmal alles gemacht und war danach in Prio zwei, wie es sich gehört im Fall der Grundschullehrerinnen und Erzieherinnen. Wir sind vom Softwarehersteller darauf hingewiesen worden, dass es vorkommt, dass das System nicht gleich alle Veränderungen im eigenen Impf-Profil übernimmt und man die Prozedur des „Häkchensetzens“ nochmal wiederholen sollte. In manchen Fällen ist es besser, das eigene Profil zu löschen und sich nochmals neu zu registrieren.

Stimmt es, dass die Stadt die Impfreihenfolge selbst bestimmen kann?

Schüßler: Nein, da sind wir an die Impfschutzverordnung des Bundes gebunden. Diese wird im Bayerischen Impfportal umgesetzt, wir legen selber keine Impfreihenfolge fest. Es ist so: Wenn man sich einträgt, ist das Hauptmerkmal das Alter. In der ersten Priorität haben wir die Menschen über 80. In der nächsten Priorität sind die Menschen zwischen 70 und 80, in der dritten die zwischen 60 und 70. Wenn man ein entsprechendes Alter hat, also zum Beispiel 81, dann ist man in der ersten Priorität – und da ist es egal, ob man auch noch Asthma hat oder Diabetes. Man befindet sich schon in der Prio eins und kann nicht höher kommen.


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Ist man aber, sagen wir mal, 65, wäre man rein dem Alter nach in der Prio drei. Wenn man aber noch angibt, dass man an Krebs erkrankt ist, dann interessiert die Software das Alter nicht. Dann ist der Krebs entscheidend. Das System vergibt in diesem Fall der kranken Person ein fiktives Alter zwischen 70 und 79 und stuft sie in der Prio zwei ein.

Aber wie kommt es dann zu Einzelfällen, in denen etwa ein schwer kranker Mensch ungeimpft ist, eine gesunde Person dagegen schon?

Schüßler: Das ist dadurch erklärt, dass die Angaben sich nicht unbedingt summieren. Eine 70-jährige Krebskranke, die auch noch Herzinsuffizienz hat, muss von der Software nicht unbedingt ganz oben priorisiert werden. Es ist nicht so, dass diejenigen, die die meisten Indikationen haben, automatisch die höchste Priorität erhalten. Wir haben das bereits mehrmals an das Bayerische Gesundheitsministerium weitergegeben, weil wir manche uns vorgetragene Fälle selber als ungerecht empfinden. Die Antwort: „Der exakte Algorithmus kann aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden“. Unsere Einflussmöglichkeiten sind also sehr begrenzt.

Was passiert im Impfzentrum, wenn das Vakzin eintrifft?

Schüßler: Wir erfahren zirka eine Woche vorher, wie viele Impfdosen eintreffen und können diese dann auf das Impfzentrum und die mobilen Teams verteilen. Dann können Termine freigegeben werden.


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Als fiktives Beispiel nehmen wir mal an, dass das Impfzentrum in den nächsten drei Tagen tausend Termine vergeben kann. Das wird in die Software eingegeben und diese Information lassen wir nun 3000 Personen zukommen. Dann erhalten 2700 diese Info per Mail und App: Sie können jetzt Ihre Termine zur Corona-Impfung vereinbaren, melden Sie sich bei Ihrem Account an. Im Account meldet das System: Wir könnten Ihnen diesen Termin anbieten, zum Beispiel Donnerstag 10 Uhr. Wenn mir der gefällt, buche ich den Termin und bekomme die Bestätigung, dass ich ihn habe, sowie den Hinweis auf den Impfort, den zweiten Termin und den Impfstoff. Sagt einem der Termin nicht zu, kann man sich durchklicken, bis man zu einem Vorschlag kommt, der besser passt.

Was ist mit den Menschen, die sich telefonisch registriert haben?

Schüßler: Die sind genauso in der Software drin wie die, die sich online angemeldet haben. Um das obige Szenario abzuschließen: Wir haben also 2700 online informiert und noch 300 Termine, die telefonisch vergeben werden. Diese Hotline hat genauso eine Priorisierungsliste. Nehmen wir mal an, die höchste Priorität hat die Frau Meier, weil sie 79 ist und in der Prio zwei. Dann rufen die Mitarbeiter der Hotline als erstes die Frau Meier an. Wenn die nicht erreichbar ist, dann gehen sie zum nächsten Namen auf der Liste, das ist dann vielleicht der Herr Müller. Der ist vielleicht erst 50, hat aber Krebs und daher zufällig 79 als Alter zugelost bekommen. So telefonieren wir der Reihe nach durch.

Bei welcher Priorität impft Nürnberg inzwischen?

Schüßler: Im Prinzip bei der Prio zwei. Wir haben noch ein paar Menschen in der Prio eins, also von den 80-Jährigen. Bei dieser Altersgruppe haben wir oft gehört, dass gesagt wurde: Ich will lieber zusammen mit meiner Frau geimpft werden. Meistens ist die Frau etwas jünger in diesem Alter, zum Beispiel erst 78. Und dann muss man warten, bis die Frau einen Termin bekommt, erst dann kann sich der Ältere dazu buchen. Aber natürlich kann es auch sein, dass die Hotline einzelne über 80-Jährige noch nicht telefonisch erreicht hat. Falls dies der Fall sein sollte, kann man auch selbst noch einmal bei der im Brief angegebenen Telefonnummer anrufen. Den Brief haben alle über 80-Jährigen erhalten.

Hat man Nachteile, wenn man sich telefonisch registriert hat?

Schüßler: Im Grundsatz nicht. Aber die Menschen, die sich online registriert haben, werden alle zur selben Zeit informiert. Die Menschen, die sich telefonisch registriert haben, müssen alle angerufen werden. Hat man dann den Anrufbeantworter an, wird der Mitarbeiter des Servicetelefons den nächsten auf der Liste anrufen. Man bleibt zwar oben auf der Liste. Aber es kann sein, dass eine Person sechs Mal angerufen werden muss, bis man sie endlich erreicht. Es ist ungleich aufwendiger, jemandem telefonisch einen Termin zu geben. Wenn man einen Verwandten oder Bekannten hat, der einen im Internet registrieren kann und informiert, wenn ein Termin zu buchen ist, dann würde ich das absolut empfehlen!

Das schleppende Tempo beim Impfen zermürbt die Menschen.

Schüßler: Die Regierung von Mittelfranken hat uns die Menge der Impfdosen für nächste Woche mitgeteilt, wahrscheinlich erhalten wir in Nürnberg fast 15.000 Dosen. In dieser Woche haben wir aber nur etwa halb so viel bekommen. Es liegt nicht allein an der Software, oder dass wir nicht wollen. Oder dass wir nicht können. Aber wenn wir nur 7000 Dosen erhalten – einen Teil davon brauchen wir für die zweite Impfung –, kann nur ein bestimmter Anteil für Erstimpfungen gegeben werden. Wir impfen alles, was wir da haben. Wir schmeißen nichts weg. Aber wenn wir nichts haben, können wir auch nichts verimpfen.

Christine Schüssler leitet die Koordinierungsstelle der Impfzentren in Nürnberg.

Christine Schüssler leitet die Koordinierungsstelle der Impfzentren in Nürnberg. © Michael Matejka, NNZ

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