Auf Kreuzfahrt durch den Irrsinn

25.7.2012, 00:00 Uhr
Auf Kreuzfahrt  durch den Irrsinn

© Roland Fengler

Leinen los! Der ganz normale Wahnsinn übernimmt das Ruder! Mit vollen Segeln in die Sandbank! Das Narrenschiff fährt gen Narragonien und Schlaraffia, und mit ihm alle Dummheit dieser Welt, obwohl kein Schiff groß genug ist, die Massen der Tölpel zu fassen; lebte sein Kapitän und Navigator Sebastian Brant (1458–1521) heute, die größte Flotte wäre ihm zu gering.

„Das Narrenschiff“ ist eine Moralpredigt in 112 Kapiteln. Jeder Beruf und Stand vom Bettler bis zum Edelmann wird der Narrheit bezichtigt und bekommt sein Fett weg. Dabei zitiert Brant abschreckende Beispiele aus der Bibel wie aus den antiken Klassikern, und verweist auf das göttliche Strafgericht.

Als „Das Narrenschiff“ 1494 in Basel vom Stapel lief, war sein Siegeszug ungeheuer: Binnen weniger Jahre erlebte es unzählige Neuauflagen, Raubdrucke, Erweiterungen und Zusätze von fremder Hand, eine Übersetzung ins Latein, damit auch die Humanisten was zu lachen hatten, sowie Übersetzungen ins Englische, Französische, Holländische, die wiederum Nachahmer auf den Plan riefen. Sebastian Brant war der meistgelesene Autor seiner Zeit; der Straßburger Prediger Geiler von Kaysersberg legte das Narrenschiff Kapitel für Kapitel aus; dankbar nahm die bildende Kunst sich seiner an, ein frühes Echo findet sich bereits bei Hieronymus Bosch.

Ein solcher Erfolg mag überraschen, denn niemand lässt sich sagen, dass er ein Trottel sei. Aber dann gibt es Verse wie diese:

O Narr, bedenk zu aller Frist,
Dass du ein Mensch und sterblich bist
Und nichts als Lehm, Asch, Erd und Mist.
Denn unter aller Kreatur,
Die hat Vernunft in der Natur,
Bist die geringste du, ein Schaum,
Ein Hefensack und Bastard kaum!

Das sind für den Menschen des späten Mittelalters vertraute Töne. Angesichts der Allgegenwart des Todes und seiner Offensichtlichkeit in Gestalt von Krieg, Hungersnot, Kindersterblichkeit und öffentlichen Hinrichtungen boten sich dem Menschen zwei Wege an: hemmungslose Verdrängung oder stetes Eingedenksein bis hin zur „Ars moriendi“, die Kunst, sich geistig auf den Tod vorzubereiten. Letztere Disziplin war den Weisen vorbehalten, erstere dem gemeinen Pöbel, und damit den Narren.

Wer ist für Sebastian Brant ein Narr? Nicht der Hofnarr, der ungestraft seinem König unangenehme Wahrheiten ins Gesicht schleudert, sondern der geistig und seelisch verschrobene Mensch, triebgesteuert und unreflektiert.

Brant zerrt nun das widersinnige Handeln aus der sicheren Narrennische und verortet es in allen Ständen und Berufen, findet auch und gerade bei den Gelehrten Narren zuhauf und konstatiert eine gewisse Narrheit auch bei sich selbst. Was wiederum für die innere Glaubwürdigkeit seiner Jeremiaden spricht.

Und das Schiff? Das Vehikel lässt sich zweifach auslegen: einmal individuell, als Sinnbild der menschlichen Lebensreise. Die Seele des Menschen reist in seinem Körper als Schiff auf dem Strom der Zeit durch die Welt; sie gerät – wie Odysseus, den Brant herbeibemüht – in Anfechtungen, Fährnisse und sirenische Verlockungen, stets sind Leib und Seele durch eigene Dummheit vom Kentern bedroht; am Ende steht das Einlaufen in den himmlischen Hafen – oder in den Strudel der Hölle.

Ein anderes Sinnbild ist das Schiff als Symbol der Gemeinschaft schlechthin, das sein Vehikel – sei es ein Kloster, eine Stadt oder gar ein Reich - per Aufgabenteilung durch Stürme und Flauten steuert. Doch wenn die Narren den Ton angeben, ist der Schiffbruch programmiert:

Wir suchen in tiefem Schlamm das Glück,
Drum wird uns Strandung bald zuteil,
Es bricht uns Mastbaum, Segel, Seil;
Wir können nicht im Meere schwimmen,
Die Wellen sind schlecht zu erklimmen,
Wenn einer wähnt, er sitze hoch,
So stoßen sie ihn zu Boden doch.

Der Straßburger Sebastian Brant, Humanist und Doktor beider Rechte, empfand seine Zeit als eine Zeit des Chaos, als Epoche der geistigen und seelischen Verwirrung. Alte Gewissheiten gerieten ins Wanken. Neue Entdeckungen veränderten die topographischen und geistigen Weltkarten und warfen bislang gültige Erkenntnisse über den Haufen. Statt zu neuen Horizonten aufzubrechen, klammerte sich Brant am Überlieferten und Bewährten fest. Sogar den Buchdruck, dem Brant doch seinen größten Erfolg verdankt, bezichtigte der Autor der Verbreitung unnützer Bücher und verwirrender Schriften. Hinzu kam die Angst vor dem allgemeinen Ende: die Pest ging wieder um, die Syphilis tauchte auf. Missgeburten bei Mensch und Tier deuteten auf den Weltuntergang hin, den man aufs Jahr 1500 prognostizierte.

Ist das „Narrenschiff“ eine konservative Streitschrift? Ja, denn Brant lehnt Forscherdrang und deren Wurzel, die Neugier, rigoros ab und empfiehlt Seefahrern und Entdeckern, lieber zu Hause zu bleiben. Andererseits bewahrt das Narrenschiff eine gewisse Offenheit und Vieldeutigkeit. So beriefen sich in der Reformation Protestanten wie Katholiken auf Brant, wenn sie sich gegenseitig der Narrheit bezichtigten.

Mit zum Erfolg des Narrenschiffs trugen seine 116 illustrierenden Holzschnitte bei. Vier Reißer waren in Basel beschäftigt, darunter der junge Wandersgesell Albrecht Dürer, auf dessen Konto etwa zwei Drittel der Holzschnitte gehen.

Ist die Lektüre des Narrenschiffs heute überholt? Wenn man sieht, wie Konzerne, Banken und Staatshaushalte gegen die Wand krachen, wie Lebensmittel mit Konservierungsstoffen vollgepumpt werden und trotzdem auf dem Müll landen, wie jahrzehntelang Kernkraftwerke ans Netz gingen, ohne dass das Problem der Entsorgung radioaktiven Mülls bis heute gelöst ist, und wie im Namen der Effizienz die Lebensqualität auf der Strecke bleibt, dann kann man nur noch mit Sebastian Brant die Narrenkappe hissen. Schließen wir mit einem saftigen Vers:

Schon steh ich an der Grube dicht,
Im Arsch das Schindermesser sticht,
Doch meine Narrheit lass ich nicht!

 

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