Ausländerfeindliche Stimmungen unter Russlanddeutschen?

26.1.2016, 06:00 Uhr
250 Russlanddeutsche haben am Nürnberger Hauptmarkt wegen einer angeblichen Vergewaltigung in Berlin demonstriert.

© Michael Matejka 250 Russlanddeutsche haben am Nürnberger Hauptmarkt wegen einer angeblichen Vergewaltigung in Berlin demonstriert.

Die NN-Lokalredaktion hat mit der evangelischen Seelsorgerin, Slawistin und Historikerin Sabine Arnold (54) gesprochen.

Der soziale Frieden scheint brüchig zu sein. Hat sie das überrascht?

Arnold: Ich bin zwar geschockt, aber ich weiß auch, dass 20 Prozent der Russlanddeutschen bei uns nicht wirklich angekommen sind. 80 Prozent sind bestens integriert, mit Beruf, Haus, Auto, sie sind oft hochqualifiziert. Eine Minderheit hat den Anschluss leider verpasst. Bei ihr fallen dann solche von dem Berliner Pegida-Ableger weiterverbreiteten Gerüchte auf fruchtbaren Boden.

Was genau wurde hier versäumt?

Arnold: Wir haben es versäumt, die Menschen der großen Einwanderungswelle aus den GUS-Staaten Anfang der 1990er Jahre beruflich zu integrieren, ihnen ausreichende politische Bildung mitzugeben, sie für unsere Demokratie zu gewinnen. Man dachte, das sind doch Deutsche, und hat dabei vergessen, dass sie mit ganz anderen politischen und kulturellen Prägungen zu uns kamen. Ihre Vorfahren haben über 200 Jahre in Russland und in der Sowjetunion gelebt. Es gab keine Aufklärung, der Sowjetstaat war totalitär, die Menschen mussten sich in dieses System einfügen.

Ausländerfeindliche Stimmungen unter Russlanddeutschen?

© Foto: Fengler

Hat sich auf dem Hauptmarkt wirklich nur eine Minderheit artikuliert?

Arnold: In Nürnberg gibt es knapp 40.000 Menschen, die Russisch sprechen. Bei der Demonstration am Sonntag war also nicht einmal ein Prozent dieser Menschen versammelt. Das muss man wissen, um die Sache im ersten Schrecken nicht überzubewerten.

Angetrieben wurde der Protest durch das Gerücht, eine 13-jährige Russlanddeutsche sei von Flüchtlingen vergewaltigt worden. Verbreitet hat es das russische Staatsfernsehen. Was sagen Sie dazu?

Arnold: Es ist längst gängige Praxis im russischen Fernsehen, Bilder aus dem Zusammenhang zu reißen. Schon im Ukraine-Krieg hat man diese Erfahrung gemacht. Im aktuellen Fall hat ein blutjunger russischer Korrespondent Fremdmaterial zusammengebastelt. Warum er das tut? Da kann ich nur spekulieren. Aber es bleibt immer etwas hängen, sagt ein Sprichwort. Eine sehr gefährliche Sache.

Sind russische Sender vor Ort so wichtig für die Aussiedler?

Arnold: Für diejenigen, die einen sozialen Abstieg hinter sich haben, leider ja. Wir merken das, wenn sie uns erzählen, wie wunderbar Putin zu Hause aufgeräumt hat. Solche einfachen Lösungen begeistern Menschen, die nie gelernt haben, politisch zu reflektieren und auf die Demokratie zu vertrauen. Deshalb sagen sie, die deutsche Polizei müsse endlich aufräumen, sonst würden sie das selbst übernehmen. Und sie haben diffuse Ängste vor allem, was ihnen fremd ist. Teile sind wohl auf dem Weg in die Radikalisierung.

Kann es sein, dass sich viele in Konkurrenz zu den Asylbewerbern sehen?

Arnold: Einfach ausgedrückt: Wer selbst am untersten Rand der Gesellschaft steht wie die erwähnten 20 Prozent der Russlanddeutschen, wer nur schlecht bezahlte Jobs bekommt, der fürchtet schnell, dass ihm die Flüchtlinge das bisschen Wurst auf seinem Brot auch noch wegnehmen.

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