Bevölkerungszuwachs in Nürnberg: Grün muss weichen

30.1.2021, 06:00 Uhr
Bevölkerungszuwachs in Nürnberg: Grün muss weichen

© Foto: Eduard Weigert

"Noch nie hat eine Generation so viel Landschaft verbraucht, so viele Bäume gefällt, Natur bereinigt, begradigt, planiert und zugeschüttet." Mit dieser dramatischen Diagnose von Dieter Wieland (Bayerischer Rundfunk) beginnt das Amt für Stadtforschung und Statistik seinen zweiteiligen Bericht zur Flächennutzung in Nürnberg. Sie stammt aus dem Jahr 1983, einer Zeit, als "kommunale Krisenbewältigungsstrategien" oft zur "maßlosen Erweiterung der Wohn- und Gewerbeflächen" führten, wie die Stadtforscher in ihrer Analyse schreiben.

Dies sei zwar von Politik, Wissenschaft und Medien vielfältig thematisiert worden, "an der weiteren Überbauung der Landschaft hat sich bis heute wenig geändert". Der Flächenverbrauch zur Schaffung von Wohnraum und zur Ansiedlung von Gewerbe sei weiter vorangeschritten, der Freistaat Bayern habe es bisher nicht geschafft, die Überbauung der Landesfläche einzudämmen. Der Bericht betont allerdings auch, auf Nürnberg bezogen, dass es eine "Herkulesaufgabe" sei, "eine wachsende Bevölkerung und Verdichtung (. . .) in Einklang mit den wachsenden Ansprüchen nach kurzen Wegen, Naherholung und einem verbesserten Stadtklima zu bringen".

Zudem stellt er Nürnberg (und auch Fürth) das Zeugnis aus, zuletzt sehr sparsam mit der verbleibenden Freiraumfläche gewesen zu sein. Demnach ist die Freiraumfläche in Nürnberg um 7,2 Quadratmeter pro Einwohner zurückgegangen (auf 137 Quadratmeter), im Durchschnitt der 23 kreisfreien Städte in Bayern liegt der Wert in diesem überregionalen Vergleich, der sich auf die Jahre 2014 bis 2018 bezieht, bei 28 Quadratmetern Rückgang.

Ansbach ist bei den Städten mit einem Verlust von 95 Quadratmetern Spitzenreiter, noch sparsamer als Nürnberg und Fürth (minus 16,6) ist München (minus 3,8). In den ländlichen Regionen ist der Freiraumverlust in der Regel deutlich größer als in den Städten, so führt der Landkreis Kelheim die Liste der 96 bayerischen Landkreise und Städte mit einem Minus von 413 Quadratmetern an. In Oberfranken dagegen nahm die Freiraumfläche pro Kopf zum Teil sogar zu.

Die Datengrundlage für diese Tabellen liefert das Bayerische Landesamt für Statistik, das in seiner Definition für Freiraumflächen Parks oder Kleingartenanlagen nicht berücksichtigt – diese werden als sogenannte Siedlungsfreifläche vielmehr unter die Siedlungs- und Verkehrsflächen subsumiert. Freiraumflächen sind dagegen Wälder, Äcker und Gewässer.

Dicht bebaute Südstadt

Das mag dem intuitiven Verständnis von "Freiraum" widersprechen – allerdings könnten Parks oder Friedhöfe auch nicht die biologischen Funktionen von naturnäheren Freiraumflächen erfüllen, argumentieren die Statistiker.

Nach dem überregionalen Vergleich im ersten Teil wendet sich das Statistikamt im just erschienenen zweiten Teil seines Flächennutzungsberichts konkret der Situation in Nürnberg zu. Demnach liegt der Anteil an Verkehrs- und Siedlungsflächen bei 61,6 Prozent, für Vegetations- und Wasserflächen bleiben 38,4 Prozent. Im Zeitraum zwischen 2014 und 2019 sind die Vegetationsflächen um 39 Hektar zurückgegangen, die Siedlungs- und Verkehrsflächen um 41 Hektar angewachsen.


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Blickt man auf die statistischen Bezirke der Stadt, so sind vor allem die Südstadtviertel Glockenhof, Galgenhof und Hummelstein mit 100 Prozent Siedlungs- und Verkehrsflächen dicht bebaut, 50 Prozent der Bezirke haben einen Anteil von über 89 Prozent Siedlungs- und Verkehrsflächen. Am anderen Ende der Tabelle stehen Brunn (13,8 Prozent), Neunhof (20,2) und Krottenbach/Mühlhof (22,4).

Zudem diagnostiziert das Amt "eine hohe Dynamik bei den Flächennutzungen". Demnach waren zwischen 2014 und 2019 neben Wald- und Landwirtschaftsflächen auch die für Industrie und Gewerbe genutzten Areale stark rückläufig (minus 104 Hektar). Dagegen legten Wohnbauflächen (plus 22) sowie Handels- und Dienstleistungsflächen (plus 61) ebenso zu wie Straßen- (plus 18) und Schiffsverkehr (plus 57). Rückläufig sind Freizeit- und Erholungsflächen (minus 18 Hektar). Das mag nachdenklich stimmen – denn auch wenn Grünanlagen nach offizieller Lesart nicht zu Freiraumflächen zählen, kann "in hoch verdichteten Räumen jeder noch so kleine Park eine willkommene Abwechslung" bieten, wie die Statistiker schreiben. Andererseits sehen die Berichterstatter in der Dynamik der Flächennutzung auch "ein Indiz für ein relativ gut funktionierendes Flächenrecycling".

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