Chefarzt der Klinik Hallerwiese plädiert für früheres Lockdown-Ende

2.2.2021, 06:00 Uhr
In der Klinik Hallerwiese kamen im Jahr 2020 fast 3500 Kinder zur Welt. Obwohl gerade im Kreißsaal auf engstem Raum zusammengearbeitet wird, ist Corona bei der Geburtshilfe laut Chefarzt Franz Kainer nur ein Randthema.

© Christine Blei Photography In der Klinik Hallerwiese kamen im Jahr 2020 fast 3500 Kinder zur Welt. Obwohl gerade im Kreißsaal auf engstem Raum zusammengearbeitet wird, ist Corona bei der Geburtshilfe laut Chefarzt Franz Kainer nur ein Randthema.

Herr Kainer: Wie riskant ist es, in Zeiten von Corona eine Geburtsklinik zu besuchen?

Franz Kainer: Insgesamt ist die Geburtshilfe natürlich extrem gefährdet für Ansteckungen. Wir haben jeden Tag zehn Frauen und ungefähr zehn Männer, die von draußen reinkommen. Das ist ein extrem hoher Wechsel. Wir haben im vergangenen Jahr wahrscheinlich über 30.000 Personen durch zwei Stockwerke durchgeschleust. Da denkt man doch mit Blick auf Corona: Das ist alles viel zu gefährlich.

Wie viele Menschen haben sich denn in der Klinik infiziert?

Kainer: Unter diesen über 30.000 Personen war genau eine Schwangere, die sich in der Klinik die Infektion geholt hat. Zum Vergleich: In Altenheimen mit vielleicht 50 Personen, die keine Möglichkeit zu einem Kontakt nach außen haben, stecken sich manchmal ein Drittel bis 50 Prozent an. Wenn es aber in einer Klinik möglich ist, mit über 30.000 Personen nur eine Infektion zu haben, dann müsste es unter guten Voraussetzungen relativ problemlos möglich sein, zügig wichtige Bereiche wie Theater, Restaurants und Schulen wieder aufzumachen.


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Hatten Sie damit gerechnet, dass Ihre Klinik so glimpflich davonkommt?

Kainer: Es hat uns selbst überrascht, wir waren sehr besorgt angesichts der Vielzahl an Patienten. Mit einem guten Hygienekonzept kann man die Infektionszahlen aber offensichtlich in den Griff kriegen. Das ist eine extrem positive Nachricht. Insofern ist die Geburtshilfe vielleicht ein guter Hinweis, dass man mit durchdachten Konzepten ganz gut durch die Krise kommen könnte - und nicht nur einen Lockdown beschließt und wenn der nicht hilft, dann den nächsten.

Professor Franz Kainer ist Chefarzt der Hauptabteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin an der Klinik Hallerwiese.

Professor Franz Kainer ist Chefarzt der Hauptabteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin an der Klinik Hallerwiese. © Christine Blei/Diakoneo

Sie plädieren also für ein Ende des Lockdowns?

Kainer: Ich vergleiche das immer mit der Situation während einer Geburt. Wenn es mit einer Weheninfusion nicht so klappt, hilft es nichts, die Infusion hochzudrehen, weil dann zusätzliche Probleme entstehen. Vielleicht kann sich die Politik daher überlegen, in welchen Bereichen man mit guten Konzepten doch wieder etwas früher aufmachen kann. Denn die psychische Belastung ist in der Zwischenzeit zum Greifen. Wenn das so weiterläuft, ist das kaum noch auszuhalten.

"Corona ist nicht das Hauptproblem"

Was macht die Arbeit in der Klinik gerade besonders schwierig?

Franz Kainer: Die Hauptprobleme entstehen nicht durch das Virus selbst. Infektionen sind bei uns glücklicherweise nicht das Thema. Es sind die Kollateralschäden, die durch diese Lockdown-Geschichte und durch die Angst und Panik, die die Leute haben, im Mittelpunkt stehen. Das war im März und April genauso.

Was bedeutet das für den Klinikbetrieb?

Kainer: Wir beschäftigen uns hauptsächlich mit den Sorgen und psychischen Belastungen der Frauen, aber auch der Männer. Diese Begleitschäden, vor allem psychische Traumata, die da entstehen, sind ein ganz großes Problem. Eher am Rande geht es um die Geburt selbst.


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Wie stark werden die Männer in Mitleidenschaft gezogen? Dürfen werdende Väter bei der Geburt dabei sein und wie sehen die Besuchsregelungen danach aus?

Kainer: Mit den Männern ist es ein richtiges Problem geworden. Vor 30 Jahren wäre das kein Thema gewesen, da waren sie sowieso nicht mit dabei. Inzwischen ist das die absolute Ausnahme. Es ist wichtig, dass der Mann dabei ist. Er gehört zur Geburt dazu wie die Frau. Deshalb ist es in den allermeisten Geburtskliniken auch so, dass die Männer bei der Geburt dabei sind. Regelungen während des Wochenbetts und Besuchszeiten sind dagegen von Klinik zu Klinik verschieden. Jede muss für sich sehen, wie stark das Infektionsgeschehen gerade ist.

Wie sieht es in der Klinik Hallerwiese konkret aus?

Kainer: Männer, die in einem Familienzimmer stationär mit aufgenommen werden, sind bei der Geburt dabei und so lange mit im Zimmer, bis die Frau entlassen wird. Wenn der Mann nicht stationär bleibt, ist er natürlich trotzdem bei der Geburt dabei, sobald die Frau regelmäßige Geburtswehen hat, und bleibt nach der Geburt im Kreißsaal beim Kind. Er kann dann am nächsten Tag zu Besuch kommen und auch wieder zur Entlassung.

Kann also garantiert werden, dass der Mann bei der Geburt dabei sein darf?

Kainer: Diese Regelung kann in zwei Wochen schon wieder anders sein. Es wird aber nicht so sein, dass sie noch schärfer gestellt wird. Es ist eher mit Erleichterungen zu rechnen.

Der Säuglings- und Kindernahrungshersteller Milupa veröffentlicht jedes Jahr eine Geburtenliste. Im Jahr 2020 ist die Klinik Hallerwiese auf Rang acht gelandet, mit einem Zuwachs um fast sechs Prozent auf knapp 3500 Geburten. Können Sie diese Zahlen überhaupt noch problemlos bewältigen?

Kainer: Richtigerweise muss man sagen, dass die Klinik Hallerwiese an fünfter Stelle ist - und das Klinikum Nürnberg nicht an 17., sondern an 14. Stelle. Da wird ein bisschen geschwindelt, weil ein paar Geburtskliniken zwei bis drei Häuser zusammennehmen. Wir haben das schon besprochen mit denen, die die Liste erstellen, dass sie mit diesem Unsinn vielleicht wieder aufhören.

Welche Erkenntnisse liefen die Statistiken dennoch?

Kainer: Die Geburtenliste gibt es seit mindestens 25 Jahren. Durch sie erhält man einen sehr guten Überblick, wie viele Geburtshäuser es gibt und wie groß sie sind. Das Interessante sind gar nicht die, die in der Liste oben, sondern weiter unten stehen. Daher bringt es nichts, diese Häuser zusammenzulegen. Man will ja wissen, wie viele Geburten es pro Haus sind. Aktuell haben wir eine Geburtszahl, mit der wir gut zurechtkommen, auch wenn man sich immer mehr Personal wünscht - gerade in Corona-Zeiten mit deutlich mehr Gesprächsbedarf.

Kind bleibt bei der Mutter

Was passiert, wenn eine Schwangere mit Covid-19 infiziert ist?

Kainer: Wir haben eine gute Routine entwickelt. Wenn eine Mutter positiv getestet ist, wird die Geburt im sogenannten Covid-Kreißsaal stattfinden. Eine sehr gute Nachricht ist, dass die Infektion für die Mutter-Kind-Beziehung überhaupt keine Rolle spielt. Wenn die Mutter positiv ist, geben wir ein paar Hygiene-Maßnahmen und Empfehlungen mit, aber das Kind bleibt bei der Mutter - auch weil der Kontakt von Mutter und Kind so entscheidend ist. Der Mann kann dann allerdings nicht mit zur Geburt dazukommen.


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Sind Neugeborene automatisch infiziert, wenn ihre Mutter positiv ist?

Kainer: Es gibt vereinzelte Berichte, aber das Risiko ist sehr gering. Die Deutsche Gesellschaft für Perinatale Medizin hat glücklicherweise schon seit März versucht, alle Schwangerschaften zu erheben. In der Zwischenzeit haben wir etwa 1100 Schwangere, die während der Schwangerschaft positiv geworden sind. Wir haben also nicht nur Zahlen aus der Literatur, sondern aus Deutschland, und können sehen, wie groß das Risiko wirklich ist. Man sieht ganz klar: Es gibt logischerweise auch schwere Verläufe, aber für die Kinder sind sie kein Problem.

Normalerweise finden Infoabende vor Ort statt. Wie können sich werdende Eltern zurzeit einen Eindruck von der Klinik Hallerwiese verschaffen?

Kainer: Wir machen seit November alle zwei Wochen einen Online-Infoabend, der sehr gut angenommen wird. Da wählen sich immer bis zu 100 Schwangere und ihre Männer ein, so dass manchmal bis zu 200 Leute teilnehmen. Die würden bei uns gar nicht in den Hörsaal passen.


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Wie läuft so ein digitaler Infoabend ab?

Kainer: Wir erzählen erst eine halbe Stunde, wie es bei uns in der Klinik aussieht, und zeigen Bilder. Eine Hebamme ist dabei, die man direkt fragen kann. Wenn sich 80 Frauen eingeloggt haben, bekommt man in der Regel 50 bis 70 Fragen. Viele trauen sich offenbar eher Fragen zu stellen, wenn sie zu Hause vor dem Bildschirm sitzen. Wir wollen den Online-Infoabend auf jeden Fall beibehalten, auch wenn es wieder Präsenzveranstaltungen gibt, die ebenfalls extrem wichtig sind. Wir sind sehr froh, dass die Online-Infoabende von den Schwangeren so gut angenommen werden.

Werdenden Müttern die Angst nehmen

Haben viele Schwangere Angst, in einer Klinik ihr Kind zur Welt zu bringen?

Kainer: Corona ist das Hauptthema bei der Geburtsvorstellung, keine Frage. Da können wir die Frauen aber meistens gut beruhigen. Denn eigentlich ist Corona nur ein Randthema, das vielleicht zwei Prozent der Risikofälle betrifft. Es gibt so viele andere Probleme bei der Geburtshilfe. Wir dachten, dass viele Frauen unmittelbar nach der Geburt nach Hause gehen. Das ist bei den Mehrgebärenden auch so. Sie gehen schnell nach Hause. Das hat ein bisschen zugenommen. Wenn eine Frau ihr erstes Kind bekommt, ist das absolut nicht der Fall. Manchmal hat so eine komische Virusgeschichte aber auch Vorteile.

Wie sehen die aus?

Kainer: Auf unserer Wochenstation ist es plötzlich viel ruhiger geworden, weil es keine zusätzlichen Besuche mehr gibt. Das Stillen klappt viel besser. Die Frauen haben viel besseren Kontakt von Anfang an mit ihrem Kind. Auf der Wochenstation ist es ein sehr entspanntes Arbeiten geworden. Wenn die Pandemie vorbei ist, werden wir die Besuchsregeln in der Geburtshilfe sicher ein bisschen Wöchnerinnenfreundlicher gestalten, als das in der Vergangenheit der Fall war.

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