Coming-out: Zwischen Sorge und Erleichterung

7.9.2019, 08:00 Uhr
Coming-out: Zwischen Sorge und Erleichterung

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Wenn die Eltern den Verdacht haben, das pubertierende Kind könnte homosexuell sein - wie sollten sie reagieren?

Susanne Türk: Es hängt davon, wie in der Pubertät die Beziehung zwischen den Eltern und dem Kind ist. Wenn das Kind ganz reserviert ist und den Weg alleine gehen will, dann würde ich abwarten. Eltern sollten aber signalisieren, dass sie queere Lebensformen okay finden. Queer steht für Menschen, die schwul, lesbisch, bi-, pansexuell oder transgender sind.

Man kann etwa einfach mal im Gespräch einfließen lassen, dass ein Kollege einen Partner hat und diesen zur Grillparty mitgebracht hat. So kann man eine Basis der Normalität schaffen, ohne das Thema selbst anzusprechen.

Was empfehlen Sie, wenn die Beziehung zum Kind enger ist?

Türk: Grenzt sich das Kind nicht so stark ab, dann sollte man das schon ansprechen. Mein Sohn ist pansexuell – er trifft also keine Vorauswahl nach Geschlecht oder Geschlechtsidentität. Ich habe ihn vor einigen Jahren direkt angesprochen: Du hast dich doch in diesen Mann verliebt. Das war eine Erleichterung für ihn, da ging ein Tor auf – und es war okay.

Wie können Eltern denn das Coming-out erleichtern?

Türk: Man sollte positiv reagieren, auch wenn man im ersten Moment vielleicht überrascht ist und nicht damit gerechnet hat. Diese Überraschung kann man auch ruhig zeigen. Aber diese eigenen Ängste oder Sorgen sollte man ein Stück weit vom Kind abgrenzen. Als Erwachsener sollte man auf jeden Fall positiv auf das Kind reagieren.

Mitunter ist man ja als Mutter oder Vater etwas überfordert. Was raten Sie hier?

Coming-out: Zwischen Sorge und Erleichterung

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Türk: Ich fände es schwierig, hier Ablehnung zu zeigen. Ängste, Sorgen oder Nöte – das sollte man beim Partner oder anderen Erwachsenen abladen. Allerdings kann man dem Kind schon sagen: Du, ich muss über dieses Thema nachdenken, gib mir ein bisschen Zeit. Das finde ich völlig legitim.

Sie beraten bei Fliederlich Eltern. Welche Sorgen haben diese bei einem Outing der Tochter, des Sohns?

Türk: Ich erlebe bei den Anfragen, dass das Thema Aids nicht mehr so da ist. Die Ängste sind dagegen oft: Wie reagieren die Großeltern, die Nachbarn? Also, was sagen die anderen? Manchmal ploppt dieser Gedanke auf: Ich habe vielleicht mal keine Enkelkinder!

Und wie sollten Eltern reagieren, wenn das Umfeld sich kritisch zeigt?

Türk: Man sollte die Haltung haben: Mein Kind ist mein Kind – und es ist völlig egal, wen es liebt! Wenn man diese Grundeinstellung hat, dann wird vieles einfacher. Wird das eigene Kind mit Ablehnung konfrontiert, dann ist man gut beraten, sich genau dann hinter das Kind zu stellen.

Worauf sollten Eltern noch achten?

Türk: Das Kind bestimmt das Tempo. Vielleicht will es sich anfangs noch nicht bei den Verwandten outen. Das ist völlig in Ordnung! Übrigens haben wir bei Fliederlich auch eine Jugendinitiative, die sich jeden Dienstag trifft. Das ist eine riesige, bunt gemischte Gruppe. Und die Jugendlichen haben hier das Gefühl: Ich bin nicht alleine! Das ist ein guter Ort, nicht nur während der Phase des Outings.

Glauben Sie, dass es queere Menschen heute noch schwer haben?

Türk: Das ist eine gute Frage! Ich habe den Eindruck: In der jungen Generation ist es recht entspannt geworden. Es gibt allerdings auch eine andere Entwicklung: Alles, was anders ist als der Durchschnitt, wird irgendwie kritischer beäugt. Wir waren vor zwei Jahren in Sachsen – und ich habe meinen Sohn gebeten, die Nähe zu seinem Freund nicht so sehr zu zeigen. In diesem Moment habe ich mir gedacht: Warum mache ich das jetzt? Es war nur so ein Gefühl. Und solange man dieses Gefühl noch hat, ist das Thema in der Gesellschaft noch nicht durch.

Der Verein Fliederlich informiert unter www.fliederlich.de zum Thema. Für Eltern gibt es ein Beratungstelefon unter 01 51/14 28 24 26. Mütter und Väter von Kindern, die schwul, lesbisch, bi oder transgender sind, treffen sich zudem einmal im Monat zum Stammtisch.

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