Corona-Koller: Frauennotruf befürchtet Zunahme häuslicher Gewalt

6.5.2020, 06:00 Uhr
Corona-Koller: Frauennotruf befürchtet Zunahme häuslicher Gewalt

© Foto: Maurizio Gambarini/dpa

NZ: Frau Böhm, warum befürchten Sie, dass es vermehrt zu Gewalt in Beziehungen kommen wird?

Sabine Böhm: Es gibt keine Fluchtmöglichkeiten, weder für das Opfer noch für den Täter. Für die meisten Frauen ist es überlebenswichtig, dass sie bei der Arbeit eine Auszeit nehmen können. Die fällt jetzt bei vielen weg. Einige Frauen haben auch nur von der Arbeit aus die Chance, mit uns Kontakt aufzunehmen, weil sie zu Hause keinen eigenen Laptop haben und nicht in Ruhe telefonieren können.

NZ: Welche Auswirkungen hat die angespannte Situation auf die Täter?

Böhm: Es ist typisch für gewalttätige Männer, dass sie alles, was in ihrem Leben schiefläuft, auf ihre Partnerin schieben. "Du bist schuld, dass ich nicht rausgehen kann", "Du bist schuld, dass die Kinder so schreien, weil du sie nicht im Griff hast". Dann suchen sie sich einen Anlass, um ihre Wut an ihr auszulassen. Meist geht mit der Gewalt auch die Kontrolle der Frau einher: Der Täter bestimmt, ob und mit wem sie sich treffen darf. Jetzt hat er als Argument auch noch den Staat auf seiner Seite: "Du darfst nicht rausgehen, das ist verboten!"

NZ: Wie reagiert das Opfer darauf, wenn es keine Möglichkeit hat zu fliehen?

Böhm: Viele Frauen verfallen in eine Art Starre, ein Notprogramm um zu überleben, und lassen einfach alles mit sich geschehen. Das kostet allerdings enorm viel emotionale Kraft. Die Ohnmacht, der Kontrollverlust, die fehlenden Fluchtmöglichkeiten – das ist eine klassische Trauma-Situation und wird bei einer Menge Frauen tiefe Narben hinterlassen. Es gibt verschiedene schädliche Strategien, um damit fertig zu werden: Alkohol, Medikamente, Selbstverletzung – und das wird sicher in dieser Zeit verstärkt genutzt.

NZ: Das heißt, diese Frauen suchen sich jetzt erst mal keine Hilfe bei Ihnen, weil sie dafür weder Raum noch Ressourcen haben?

Böhm: Diese Frauen werden sich vermutlich erst nach der Corona-Krise melden. Einige werden auch erst im Nachhinein überhaupt verstehen, was ihnen da eigentlich passiert ist und dass sie Hilfe brauchen. Nach der Erfahrung des totalen Kontrollverlusts müssen sie sich die Kontrolle erst wieder zurückerobern. Dabei können wir ihnen helfen.


Corona-Krise: Möglicher Anstieg der häuslichen Gewalt


NZ: Können Sie den Ansturm dann überhaupt bewältigen?

Böhm: Jede Frau hat ihr eigenes Tempo, deshalb wird hoffentlich nicht alles geballt auf einmal kommen, sondern so verteilt, dass wir allen helfen können. Wir haben aber jetzt schon deutlich mehr Anfragen, und zwar von Frauen, bei denen gewohnte Hilfsstrukturen wegbrechen – Tagescafé, Therapie oder regelmäßige persönliche Beratung bei uns.

NZ: Wie können Sie denn aktuell weiterhelfen?

Böhm: Wir können zwar derzeit keine persönliche Beratung anbieten, aber wir sind telefonisch und durch unser datensicheres Online-Portal zu erreichen. Um ihnen ein gewisse Struktur zu bieten, reden wir mit manchen Frauen alle zwei Tage. Andere schreiben gern in Ruhe auf, was sie beschäftigt, und nutzen die Online-Beratung. Gerade Frauen, die durch Gewalterfahrungen psychische Probleme haben, brauchen jetzt besonders viel Unterstützung.

NZ: Viele Menschen haben bei solchen Themen den Impuls zu fragen: Warum trennen sich Frauen nicht einfach von ihren gewalttätigen Partnern?

Böhm: Es beginnt ja nie mit körperlicher Gewalt. Es fängt ganz harmlos an, mit kleinen Bemerkungen und Beleidigungen. Nach und nach höhlt der Täter das Selbstwertgefühl des Opfers systematisch aus. Diese Männer haben ein feines Gespür dafür, wo die Frau ihren Schwachpunkt hat. Ist es ihr besonders wichtig eine gute Mutter zu sein, gibt er ihr das Gefühl, dass sie die schlechteste Mutter der Welt ist.

Corona-Koller: Frauennotruf befürchtet Zunahme häuslicher Gewalt

© Foto: W. Heilig-Achneck

Wenn es dann irgendwann zur ersten Ohrfeige kommt, ist der Schock meist gar nicht so groß, weil sich die Frau bereits an die psychische Gewalt gewöhnt hat – und oft sogar denkt, sie habe es nicht anders verdient. Frauen übernehmen meist die Verantwortung für die Qualität ihrer Beziehungen. Das wird gesellschaftlich auch erwartet. Also denkt sie: "Wenn ich nur besser wäre, dann würde er sich nicht so verhalten."

Die Frauenberatung ist telefonisch unter 09 11/28 44 00 und über kontakt@frauenberatung-nuernberg.de erreichbar. Auch Männer können in Beziehungen Opfer von Gewalt werden. Für sie gibt es ebenfalls Anlaufstellen in Nürnberg: Die Männerberatung beim Traumahilfezentrum Nürnberg unter 09 11/99 00 90 11 oder juergen.mahler@thzn.org und die Beratungsstelle für gewaltbetroffene Männer bei der ISKA. Ansprechpartner ist Philipp Schmuck, erreichbar unter schmuck@iska-nuernberg.de.

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