Corona-Krise: Nürnberger Klinikum mobilisiert alle Kräfte

19.3.2020, 16:44 Uhr
Corona-Krise: Nürnberger Klinikum mobilisiert alle Kräfte

© Foto: Günter Distler

Sie studieren im dritten Jahr Medizin an der Paracelsus-Universität des Klinikums Nürnberg. Doch in der Corona-Krise ruht auch ihr Uni-Betrieb. Seit Dienstag sind Eduardo und Christoph Türsteher. Im weißen Kittel und mit Mundschutz bewachen sie den Haupteingang im Nordklinikum und fordern zur Händedesinfektion auf. Wer an ihnen vorbei will, muss nachweisen, dass er einen Termin hat. "Ich bin stationär da", sagt eine alte Dame mit Krücken. Sie darf durch.

"Das wird ein Marathon"

Das gab’s noch nie im Klinikum: Besuchsverbote und Einlasskontrollen. Sie zählen zu den sichtbaren Schritten, die die meisten Krankenhäuser jetzt in der Corona-Pandemie unternehmen, um Mitarbeiter und Patienten zu schützen. In wenigen Tagen wird jeder, der noch zum Besuch berechtigt ist, an den Standorten Süd und Nord sogar zuerst ein Zelt passieren müssen. Darin wird er befragt, weitergeleitet – oder bei Verdacht auf eine Covid-19-Erkrankung direkt in Isolierbereiche geschickt. Für leicht Erkrankte oder Corona-Tests auf Verdacht sind diese Zelte keinesfalls gedacht – diese Gruppe muss sich an den ärztlichen Bereitschaftsdienst (Telefon: 116 117) oder Hausärzte wenden.


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"Das wird kein Sprint, das wird
ein Marathonlauf", sagte gestern Klinikums-Vorstandschef Prof. Achim Jockwig in einer Pressekonferenz zu den Maßnahmen, mit denen Nürnbergs Maximalversorger dem erwarteten Anstieg von schweren Corona-Fällen begegnet. "Wir gehen stark in Vorleistung", betonte er. Er vertraue darauf, dass die Krankenhäuser ihre vermutlich drastischen Erlösausfälle ausgeglichen bekämen. Panik sei unnötig. "Wir haben einen guten Vorlauf im Vergleich zu den Verhältnissen in Italien."

Corona-Krise: Nürnberger Klinikum mobilisiert alle Kräfte

© Foto: Günter Distler

Rund 100 freiwillig mithelfende Paracelsus-Studenten sind nicht die Einzigen in der Klinikums-Familie, die ungewohnte Aufgaben übernehmen. Der Krisenstab, der täglich konferiert, hat eine Umschichtungs-Offensive gestartet, berichtete Personalvorstand Peter Schuh. Demnach erhalten Pflegekräfte, die früher intensivmedizinisch arbeiteten, jetzt Auffrischungskurse. Chirurgische Intensivpflege- und Anästhesie-Mitarbeiter sowie medizinische Fachangestellte, die durch die Absage nicht dringlicher Operationen frei werden, sollen einspringen. Internistische und chirurgische Stationen werden für Corona-Fälle umgerüstet, Reinigungspersonal wird nachgeschult.

"Die Solidarität ist sehr gut"

Man frage auch ehemalige Mitarbeiter, Studierende und Rettungsassistenten an, sagte Schuh. Personal in Teilzeit werde gebeten aufzustocken. "Die Solidarität und die Stimmung sind sehr gut." Die Regierung von Mittelfranken gestattet seit gestern, das Arbeitszeitgesetz auszusetzen und so Schichten zu verlängern. Und das alles, damit die Intensivstationen viele schwere Verläufe von Covid-19 auf einmal betreuen könnten.


 


 

Gestern war das nur bei einem einzigen Patienten nötig. Vier weitere liegen auf Normalstationen. Das Klinikum Nürnberg verfügt über 60 allgemeine Intensivbetten im Norden und 80 im Süden. Diese Kapazität könnte das 2200-Betten-Haus nun schrittweise verdoppeln oder verdreifachen – vorausgesetzt, genügend Beatmungsgeräte werden nachgeliefert. "Im schlimmsten Szenario", sagt Vorstandschef Jockwig, "könnten wir auch 200 oder 300 Patienten beatmen." Niemand könne aber den Bedarf der kommenden Wochen abschätzen.

Bis gestern Nachmittag wurden in Nürnberg 53 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet. Mehr als 700 enge Kontaktpersonen hat das Gesundheitsamt identifiziert.

"Wir gehen davon aus, dass nicht mehr als zehn Prozent der Infizierten im Krankenhaus behandelt werden müssen", sagte Prof. Joachim Ficker, Chefarzt der Pneumologie am Klinikum. Ein Alarmzeichen sei Luftnot gegen Ende der ersten Erkrankungswoche. "Spätestens dann sollte man zum Hausarzt", so Ficker. Die gefürchtete Komplikation der Lungenentzündung – oft begleitet von Herz-Kreislauf-Problemen – lasse sich nach einem Stufenplan behandeln "wie jede andere Virus-Pneumonie". Ein Hoffnungsschimmer: Das Klinikum habe für kritische Patienten den Zugriff auf ein experimentelles Medikament erhalten. Das antivirale Mittel Remdesivir, ursprünglich entwickelt für die Behandlung von Ebola, ist noch nicht zugelassen.

Gelockerte Abschirmung

Auch unter Mitarbeitern des Klinikums kam es bereits zu ungeschütztem Kontakt mit Corona-Infizierten. Damit sie nicht wegen Quarantäne ausfallen, erlaubt das Gesundheitsamt ihnen die Weiterarbeit innerhalb bestimmter Regeln, erläutert Prof. Jörg Steinmann, Chefarzt des Instituts für Klinikhygiene. Sie müssen ein Gesundheitstagebuch führen, Fieber messen und dürfen Patienten nur in Schutzkleidung begegnen.

Anders als befürchtet, sei es in der Belegschaft bisher zu keinem Kinderbetreuungsnotstand durch die Schul- und Kitaschließungen gekommen, berichtet Peter Schuh. Die Notbetreuung in den hauseigenen Kitas und für jüngere Schüler werde kaum in Anspruch genommen. Engpässe könnten aber auf Dauer freilich entstehen. "Wir können lange durchhalten. Aber nicht unbegrenzt."

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