Corona: So hilft die Wissenschaft dem Gesundheitsamt

9.3.2021, 06:00 Uhr
Corona: So hilft die Wissenschaft dem Gesundheitsamt

© Foto: Roland Fengler

Ein anderes baut die Sitze ein. Ein drittes montiert die Räder. Roland Zimmermann hat dieses Prinzip auf das Nürnberger Gesundheitsamt übertragen. "Jeder muss nur einen kleinen Arbeitsschritt können, so geht es insgesamt schneller."

Zimmermann ist eigentlich Professor für Wirtschaftsinformatik und Statistik an der Technischen Hochschule Nürnberg. Doch seit einem Jahr ist er offiziell an die Stadt "ausgeliehen", um den Mitarbeitern beim Nachverfolgen der Corona-Kontakte zu helfen.

Corona: So hilft die Wissenschaft dem Gesundheitsamt

© Foto: Lucas Brisco/TH Nürnberg

Seine Frau ist Bereichsleiterin im Gesundheitsamt. Als die Pandemie in Deutschland loslegte, haben sie zu Hause oft gemeinsam überlegt, wie sich das Ganze wohl besser in den Griff bekommen ließe. "Am Anfang hat das Amt für die Kontaktnachverfolgung Excel-Tabellen von der Regierung bekommen", erinnert sich Zimmermann. "Ich dachte mir, das muss auch anders gehen, und wollte helfen." Schließlich ist er Profi, wenn es um das Verwalten, Digitalisieren und Automatisieren von Daten geht. "Es wusste ja keiner, welche Ausmaße das annimmt."

Quarantäne anordnen, Kontaktpersonen ermitteln

Knapp 24.000 Corona-Fälle gab es bereits in Nürnberg. 200 bis 300 kommen in Hoch-Zeiten jeden Tag neu dazu. Das Gesundheitsamt muss sie erfassen, Quarantäne anordnen und kontrollieren, Kontaktpersonen ermitteln und informieren. 400 Leute arbeiten daran, nicht alle in Vollzeit, aber ein großer Teil. "Letzten Februar war das quasi noch ein Start-up und jetzt entspricht es einem mittelgroßen Unternehmen." Zimmermann hilft, es zu organisieren. "Da ist mein Logistik-Blick von außen ganz gut."

Zusammen mit seinem Team hat er gleich zu Beginn ein eigenes IT-System für die Stadt aufgebaut, um das Infektionsgeschehen abbilden zu können. "Trotzdem sind wir irgendwann nicht mehr hinterhergekommen." Immer mehr Ansteckungen, immer wieder neue Informationen und Vorgaben, immer mehr Mitarbeiter, die eingelernt werden mussten, haben die Lage komplizierter gemacht. "Der Druck hat sich überden Sommer nach und nach aufgebaut", erzählt Zimmermann.

Also überlegt sich der Professor wieder etwas Neues und lässt sich wieder von der Industrie inspirieren. "Wir haben eine Art Produktionsstraße entwickelt – für Informationen statt Autos." Vorher hat jeder Mitarbeiter eine Person von ihrem positiven Testergebnis bis zum Ende der Quarantäne betreut. Jetzt ist jedes Team für einen einzelnen Arbeitsschritt zuständig. "Das ist vielleicht etwas eintöniger als zuvor, aber viel schneller", sagt Zimmermann. "Jeder Tag, den eine infizierte Person nicht mehr unter Menschen geht, lohnt sich richtig."

In den Monaten November und Dezember hat es bis zu vier Tage gedauert, bis sie eine Kontaktperson informieren konnten. Seit Januar schaffen sie das innerhalb eines Tages. "Klar, manchmal ist auch jetzt noch ein Zahlendreher in der Telefonnummer oder die Adresse falsch, dann dauert es länger, aber das ist die Ausnahme."

"Man muss den Zahlen das Sprechen beibringen"

Zimmermann hat in der Software-Branche gearbeitet, für Automobilkonzerne, Logistikunternehmen und Technologieberatungsfirmen, bevor er vor vier Jahren Professor geworden ist. "Man muss den Zahlen das Sprechen beibringen", sagt er. "Nur dann können sie mir sagen, was gut läuft und was man noch besser machen kann."

Etwa 20 bis 25 Prozent der positiv-getesteten Personen in Nürnberg geben ihre Daten – Name, Anschrift, Kontakte – inzwischen selbstständig in ein Online-Formular ein, so dass das System sie automatisch erfassen und weiterverarbeiten kann. "Das ist ein erster Ansatz", sagt Zimmermann.

"Wir haben es immerhin geschafft, auch bei einem Inzidenzwert von über 150 die Menge noch beherrschbar zu machen." Aber was, wenn die Zahlen weiter steigen? "Wenn wir eines in dieser Pandemie gelernt haben, dann, dass wir immer wieder überrascht werden."

Für alle die gleiche Software

Der nächste Schritt muss deshalb sein, dass bundesweit alle Gesundheitsämter mit der einheitlichen Software "Sormas" arbeiten. Nur dann ist auch ein Datenaustausch möglich und eine Verfolgung der Kontakte über Stadt- und Landkreisgrenzen hinweg. "Das hätten wir besser schon letzten Sommer durchgezogen, als weniger los war", meint Zimmermann.

Zwar haben in Bayern nach und nach alle Gesundheitsämter das Programm installiert, aber im laufenden Betrieb umzustellen, ist für viele unmöglich. "Das ist auf jeden Fall eine gute Lösung und wir versuchen, ,Sormas‘ jetzt Stück für Stück in unsere Prozesse einzubauen", sagt der Experte. "Aber ein Stolpern können wir uns aktuell nicht leisten – sonst steigen die Fallzahlen wieder an."

In einer Online-Konferenz hat sich Roland Zimmermann kürzlich mit 200 Gesundheitsämtern in ganz Deutschland ausgetauscht, um auch von den Erfahrungen der anderen zu lernen.

In Nürnberg hoffen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die nächste Verschnaufpause, auf einen Rasthof für ihr Auto. "Vor einem Jahr sind wir noch im Nebel gefahren", sagt Zimmermann. "Dann haben wir Nebelscheinwerfer eingebaut und bald scheint hoffentlich wieder die Sonne."

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