Corona-Tests bei Kindern: "Im Herbst wird es die Hölle"

1.7.2020, 19:07 Uhr
Corona-Tests bei Kindern:

Mal ganz kurz den Mund auf, schon ist es geschehen. Emil hat die Prozedur überstanden. Ein Abstrich aus dem Rachen und in ein paar Tagen liegt das Ergebnis theoretisch vor – Corona ja oder nein? Doch heute war es im wahrsten Sinne des Wortes nur ein Test, ob Emils Kinderarzt – wie der Freistaat es allen Bürgern seit Mittwoch versprochen hat – einen Abstrich machen würde, selbst wenn der Patient keine Symptome von Covid-19 zeigt.

Wolfgang Landendörfer, Obmann der mittelfränkischen Kinder- und Jugendärzte, redet nicht lange herum, zieht schnell seine Schutzkleidung an, packt ein steril verpacktes Wattebäuschen aus und führt es in den Mund des Achtjährigen, lächelnd für das Pressefoto.

"Das wird berufstätige Eltern in den Wahnsinn treiben"

"Momentan schaffe ich solche Tests noch neben meiner eigentlichen Aufgabe als Kinderarzt", sagt er. Aber wenn erst der Herbst kommt, dann wird ihm – wie vielen anderen Medizinern in Bayern – bange. "Die Realität wird sein, dass zur Erkältungszeit jedes Kind, das auch nur ein Mal hustet, von der Kita oder Schule nach Hause geschickt wird. Das wird berufstätige Eltern in den Wahnsinn treiben", meint der Arzt. Und ihn und sein Team auch, zumindest an den Rande dessen.


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Schließlich sei nicht jede triefende Nase ein Hinweis auf die ernste Erkrankung. Oft ganz im Gegenteil: "Normale Infektionen gehören in der Kindheit dazu, um die Immunabwehr aufzubauen", betont der Arzt.

Doch schon jetzt sieht sich der 61-Jährige in seiner Vorstellung bald reihenweise Corona-Tests machen, Atteste für Schüler ausfüllen, Wiederaufnahme-Papiere für Kita–Kinder formulieren, besorgte Eltern beraten. Denn dass seit gestern jeder Bürger Bayerns einen Corona-Test machen darf, der sowieso nur "kurz als Momentaufnahme Sicherheit bietet", wird ihn schwer beschäftigen.

Zu seinen rund 170 kleinen Patienten, die er und seine zwei Kolleginnen im Winter täglich behandeln, werden dann noch etwa 60 Testfälle hinzukommen. "Meine größte Sorge dabei ist, dass wir uns mit Banalitäten beschäftigen, statt genug Zeit für die wirklich kranken Kinder zu haben, die wir zwangsläufig aus dem Radar verlieren." Für ein Kind mit Blinddarmentzündung beispielsweise, das daran sterben könnte, bliebe am Ende vielleicht nicht mehr genug Augenmerk übrig. Es könnte übersehen werden, warnt Landendörfer.

Wenn er sich in diesen Tagen etwas wünschen könnte als Vorstandsmitglied der bayerischen Kinder- und Jugendärzte – was wäre es wohl? "Die Politik muss umdenken, so kann es im Oktober nicht weitergehen", sagt er ernst. Für Erwachsene und Senioren sei der Test sicherlich "superwichtig". Bei Kindern würde er sich eher einen kostenlosen Schnelltest für Influenza- oder RS-Viren wünschen, um damit ad hoc Corona auszuschließen.

"Wir brauchen schon jetzt mehr Sensibilität und Augenmaß", fordert auch Dr. Hans-Erich Singer vom Landesvorstand der bayerischen Hausärzte. "Wenn sich jemand auch nur räuspert, müssen wir ihn nicht gleich mit Blaulicht einweisen", formuliert er zugespitzt. Gegen die freiwilligen Tests hat er im Grunde gar nichts, "über die Sinnhaftigkeit streiten sich sicherlich die Kollegen". "Je mehr wir testen, desto mehr erfahren wir über das Virus", lautet hingegen sein Standpunkt.

"Das treibt mich in den Wahnsinn"

Was den Arzt aus Mitteleschenbach allerdings viel mehr ärgert, sind die politischen Schnellschüsse aus München und die fehlende Absprache mit der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns. "Wir, ob Ärzte oder Gesundheitsämter, kommen gar nicht mehr hinterher. Eine Ausnahmeverfügung jagt die andere", stöhnt er.

"Da steht am 1. Juli bei mir bereits der Patient auf der Matte und will einen Corona-Test, während ich mich noch durch 18 Seiten Anordnungen lese, die einen Tag alt sind. Die Bürokratie wurde bei uns abgeladen", kritisiert der 61-Jährige.


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Ein Allgemeinarzt aus Nürnberg, der nicht genannt sein will, geht in seiner Kritik noch weiter: "Ich fürchte die Hypochonder am meisten, die jeden Tag einen neuen Abstrich wollen", sagt er. "Und im Herbst wird es die Hölle. Ich werde nur noch Atteste ausstellen, weil Lehrer Schüler mit Schnupfen nach Hause schicken und die Eltern nicht mehr arbeiten können", prophezeit der 51-Jährige.

"Das macht mich bereits wahnsinnig." Statt Corona-Tests als Beruhigungspille fürs Volk wäre sein größter Wunsch: "Dass die Politik die Corona-Angst wieder etwas runterregelt."

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