Coronakrise bringt die Polizei ins Überstunden-Dilemma

29.5.2020, 05:55 Uhr
Coronakrise bringt die Polizei ins Überstunden-Dilemma

© Günter Distler

Sie stehen mit Einsatzfahrzeugen in Parks, fahren in Grünanlagen und in Stadtvierteln Streife. Wochenlang haben Polizistinnen und Polizisten geprüft, ob am Ende nicht doch heimlich Grillpartys in Gärten stattfinden oder Wirte hinter verschlossenen Türen illegal Gäste bedienen. Seit 18. Mai dürfen Gastronomen wieder Biergärten öffnen, seit 25. Mai auch wieder den Gasträume innen. Die Polizei ist in den vergangenen Wochen im öffentlichen Raum präsenter den je gewesen, um Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz zu ahnden.

Der Berg an Überstunden bei der bayerischen Polizei war aber schon zum Stichtag am 30. November 2019 wiederholt auf einem sehr hohem Niveau: Mehr als 2,3 Millionen Überstunden haben sich bei den Beschäftigten angehäuft. Das geht aus einer schriftlichen Anfrage von Markus Rinderspacher (SPD) hervor, dem Vizepräsidenten des bayerischen Landtags.

An zweiter Stelle

Das Polizeipräsidium Mittelfranken liegt mit 296.994 Überstunden im Vergleich zu den elf weiteren Verbänden im Freistaat an zweiter Stelle. Alleine das Präsidium München hat noch mehr: 545.116.


+++ Bußgelder: Zehntausende Verstöße gegen Corona-Regeln +++


Das Präsidium Mittelfranken hat mit zwölf Prozent im Vergleich auch den zweithöchsten Zuwachs an Überstunden. Nur das Präsidium Schwaben Nord liegt mit einer Steigerung von 16 Prozent noch höher.

Die Gründe für den Zuwachs der letzten Jahre: Großeinsätze wie beim G7-Gipfel auf Schloss Elmau in Oberbayern (2015), der G20-Gipfel in Hamburg (2017), die Bewältigung der Vielzahl an Flüchtlingen, Abschiebungen, Kontrollaktionen in Asylbewerberunterkünften, Betreuung von (Sport-) Veranstaltungen in Verbindung mit der abstrakten Gefahr eines Terroranschlags. Nach Gewerkschaftsangaben gibt es sogar einzelne Beamte, die mehrere Hundert Überstunden vor sich her schieben.

Wenig zeitintensive Einsätze

Wächst der Stundenberg also nun noch höher an als vor der Corona-Krise? Nach Angaben des bayerischen Innenministeriums liegen noch keine aktuelle Zahlen vor. Doch gibt es erste Hinweise seitens der beiden Polizeigewerkschaften DPolG und GdP.

Anders als vielleicht zunächst erwartet, steigt die Zahl der Überstunden derzeit nicht exorbitant in die Höhe. Es ist eher so, dass sich in manchen Dienststellen der Polizei jetzt besser welche abbauen lassen. Denn so zeitintensive Einsätze wie bei Demonstrationen, Sportveranstaltungen (Fußballbundesliga) oder andere öffentliche Veranstaltungen haben wochenlang gar nicht stattgefunden.

Weniger Unfälle, weniger Schlägereien

Aber auch die Zahlen bei Ladendiebstählen, Körperverletzungen nach nächtlichen Schlägereien und Wohnungseinbrüchen sind deutlich nach unten gerutscht. Bei der Kriminalpolizei aber, die intern auch "die Stundenkönigin" genannt wird, tun sich trotz Corona kaum Lücken auf, die es ermöglichen, Überstunden abzubauen. Denn die Ermittlungsarbeit kann hier nicht von anderen übernommen werden. Anders im ständigen Schichtbetrieb. "Da, wo es möglich ist, werden Überstunden abgebaut", sagt der GdP-Landesvorsitzende Peter Schall. Sowohl das Unterstützungskommando (USK), Einsatzzüge der Präsidien und die Bereitschaftspolizei sind in die Corona-Kontrollen mit eingebunden – die Beschäftigten in den Inspektionen können durch die zusätzlichen Kräfte Stunden abbauen.

"Bei der Autobahnpolizei-Inspektion in Ingolstadt zum Beispiel fielen vor Corona täglich 20 Verkehrsunfälle an. Nach der vorgegebenen Ausgangsbeschränkung sind es pro Tag ein bis zwei Unfälle gewesen", erzählt Schall.

Abbau ist möglich

Tatsächlich sind Verkehrsunfälle im März nach den ersten Auswertungen der Verkehrsunfallstatistik um rund 40 Prozent gegenüber März 2019 zurückgegangen, heißt es aus dem Innenministerium. Während die bayerische Polizei im März 2019 täglich im Schnitt rund 81 Verkehrsunfälle auf den Autobahnen im Freistaat aufnahm, lag die Zahl im März 2020 bei rund 49. Und der Überstundenabbau? "Sofern es der Dienstbetrieb zulässt, können selbstverständlich Überstunden abgebaut werden", erklärt Ministeriumssprecher Michael Siefener.

Doch aus Sicherheitskreisen ist zu hören, dass das Innenministerium eine ganz andere Gangart vorgibt: Demnach sei die Corona-Krise eine gesellschaftliche Herausforderung, bei der Polizeibeamte nicht einfach Überstunden abfeiern könnten. Das vertrage sich nicht mit dem Anspruch, bei der bayerischen Polizei mehr Stellen zu schaffen.

Von 2017 bis 2023 beabsichtigt die Regierung 3500 neue Stellen bei der Polizei zu schaffen. Ein Insider: "Wir haben immer geklagt, dass wir zu wenig Personal haben. Jetzt heißt es, Präsenz und Konsequenz bei der Feststellung von Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz zu zeigen."

5 Kommentare