Schon 1000 Jahre alt

Darum gibt es in Nürnbergs ältestem Stadtteil so viele Fürth-Fans

Timo Schickler

Lokalredaktion Nürnberg

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29.6.2022, 09:59 Uhr
Früher war hier vor allem an Samstagen schon um 6 Uhr richtig viel los. Heute haben viele Traditionsgeschäfte in der Großgründlacher Hauptstraße aufgehört.

© Stefan Hippel, NNZ Früher war hier vor allem an Samstagen schon um 6 Uhr richtig viel los. Heute haben viele Traditionsgeschäfte in der Großgründlacher Hauptstraße aufgehört.

Das Herz schlägt nur noch langsam. Anders als vor ein paar Jahren, als die Großgründlacher Hauptstraße an den meisten Tagen schon vor 7 Uhr früh pulsiert hat. Die wenigen Parkplätze unter den Linden waren damals schnell belegt, auf den teils schmalen Wegen gingen die Dorfbewohner zu Metzger oder Bäcker. Oder zum Friseur, der um 6 Uhr die ersten Kunden begrüßte.

Zwei Institutionen in Nürnberg: Friseur Norbert Krehan und sein langjähriger Mitarbeiter Herrmann.

Zwei Institutionen in Nürnberg: Friseur Norbert Krehan und sein langjähriger Mitarbeiter Herrmann. © Stefan Hippel, NNZ

Heute steht Herrmann frühestens eine Stunde später vor dem Salon Krehan. Und blickt schon monatelang auf ein Schaufenster mit geschlossenen Jalousien gegenüber. Hier hat die Bäckerei Gräf im Herbst ihre Tür für immer geschlossen. Wieder ein Traditionsgeschäft weniger. Herrmann aber hält die Fahne weiter hoch. Oder eher die Schere. Seit über zwanzig Jahren gehört die Figur aus Gips zum Team von Norbert Krehan. „Er zeigt an, dass ich im Laden bin“, erklärt der 56-Jährige.

Das ist Krehan noch immer häufig, seine Kunden sind ihm treu. Auch wenn die Geschäfte in seiner Nachbarschaft aussterben. „Das schmerzt“, sagt der 56-Jährige mit Blick auf die malerische Allee, die von der Kirche St. Laurentius hinunter bis zur Brücke über die Gründlach führt. Für Norbert Krehan ist das mehr als ein Arbeitsplatz, „das ist mein Zuhause“.

Traditionsbetriebe sterben aus

Krehan ist Gründlacher, „nicht Nürnberger“. Dabei gehörte das Dorf am Rand des Knoblauchlands schon zur Stadt, als Krehan vor 49 Jahren hierherzog. Ein Jahr nach der Eingemeindung. Für viele im Ort bedeutet das eine große Veränderung. Zum Beispiel für die 25 Beschäftigten in der Gemeinde, die sich zum Abschied noch einmal für ein Gruppenfoto vor dem Rathaus aufstellten. Das Bild ist heute im Heimatmuseum im Wächterhaus zu sehen.

Oder für die Metzgerei Böhm, die am anderen Ende der Hauptstraße schon seit 1868 Fleisch und Wurst verkaufte. Doch das Schlachten im eigenen Betrieb verbot die Stadt schon kurze Zeit, nachdem Gründlach ein Teil von Nürnberg wurde. Ein erster großer Einschnitt für den Betrieb, den es heute nicht mehr gibt. „Dabei hat es hier zeitweise drei Metzger gegeben“, erinnert sich Norbert Krehan. „Und jeder hat sein Geschäft gemacht.“

Jörg Feldner und seine Alpakas sind eine der neuen Attraktionen in Reutles, das zusammen mit Großgründlach und Kleingründlach eine Einheit bildet.

Jörg Feldner und seine Alpakas sind eine der neuen Attraktionen in Reutles, das zusammen mit Großgründlach und Kleingründlach eine Einheit bildet. © Stefan Hippel, NNZ

Dass die Traditionsbetriebe wegbrechen, will Norbert Krehan aber nicht der Eingemeindung in die Schuhe schieben. Wenngleich die Stadt ihren Teil zur „Amerikanisierung“ beigetragen hat. „Aber es haben ja alle nach den Supermärkten geschrien“, sagt er.

Heute fahren die Leute ins benachbarte Boxdorf, wo sich an der B4 Supermarkt, Drogerie, Bäckerei und Apotheke aneinanderreihen. „Viele wollen einmal einkaufen und nicht hin- und herfahren.“ Einen kleineren Betrieb im Kern des Dorfs zu erhalten, sei da schwierig. Und wohl nur möglich, wenn man, wie Krehan und seine Nachbarn, das Geschäft im eigenen Haus hat.

Alpakas statt Milchkühe

Wie früher die Eltern von Jörg Feldner. Sie haben auf ihrem Hof in der Reutleser Straße Mastbullen und Milchkühe gehalten. Außerdem haben sie Tabak angebaut, wie so viele Bauern in Gründlach. „Früher hat es hier zwanzig Landwirte gegeben“, sagt Feldner, während er auf einer Holzbank vor seinem Haus sitzt. Dann fängt er an aufzuzählen, wer noch übrig ist. Er kommt nicht mal auf eine Handvoll. „Und die sind zum Teil über 80 Jahre alt.“

Längst ist viel Acker Wohnraum gewichen, inzwischen auch die ersten Höfe und alten Gebäude. Nur wenige Meter vom Feldnerhof entfernt hat der Immobilienentwickler Schultheiß gebaut, hier sind 19 Eigentumswohnungen entstanden. Parkplatzproblematik inklusive. Das sei aber nicht die Schuld derer, die im Nürnberger Norden neu sind, findet Feldner. „Sondern die, die eine Tiefgarage mit je einem Stellplatz genehmigen – obwohl da manche sogar vier Autos haben“, sagt der 39-Jährige.

"Nun doch ein Stadtteil"

„Gründlach ist halt doch ein Stadtteil geworden“, sagt er. Mit dem Dorf von früher, in dem er noch die Milch beim Nachbarhof geholt hat, habe das nicht mehr viel gemein. Auf dem Anwesen werde inzwischen auch gebaut.

Jörg Feldner und seine Frau Janina haben sich angepasst. Beide haben Jobs fernab der Landwirtschaft und betreiben den Hof auf ihre eigene Weise weiter: mit Alpakas und Lamas statt Kühen und Bullen. Seit 2019 gehen die Feldners mit Nero, Sandro, Sydney und den anderen Tieren wandern. Mit dabei sind Familien, Kollegen, die hier ihren Team-Tag verbringen, oder Junggesellinnen-Abschiede. An manchen Tagen haben sie sechs Termine. Sogar Yoga mit Alpakas hat das Paar schon angeboten.

Auf zur Wanderung: Zuerst geht es für die Alpakas aber in ein anderes Gehege.

Auf zur Wanderung: Zuerst geht es für die Alpakas aber in ein anderes Gehege. © Stefan Hippel, NNZ

Mit der Behinderten-Werkstatt aus dem Nachbarort und mit einer Förderschule haben sie feste Partnerschaften. „Die Klassen teilen wir in Gruppen, während die einen spazieren sind, gehen die anderen auf den Acker.“ Feldner fasziniert es immer, wenn ein Kind auf seinem Hof zum ersten Mal in der Erde wühlt oder ein Huhn streichelt. „Das kennen Stadtkinder nicht.“

Er selbst sei ein Dorfkind. „Wenn mich jemand fragt, bin ich aber schon Nürnberger. Gut, zuerst bin ich Reutleser, dann Gründlacher.“

Seine Kinder aber sind Stadtkinder, trotz des Lebens am Hof. „Heute bist du einfach viel näher am Zentrum dran.“ Als er jung gewesen ist, sei gerade mal ein Bus durch Gründlach gefahren. „Und zwar nach Fürth.“ Das ist nicht überraschend, hat doch Großgründlach, zusammen mit Reutles und später auch Kleingründlach, vor der Eingemeindung über 100 Jahre lang zum Landkreis Fürth gehört.

Bloß kein Nürnberg-Kennzeichen

Fußballerisch ist das Dorf deshalb gespalten, viele halten es lieber mit der Spielvereinigung, Feldners Großvater zum Beispiel. „Ich hatte einen Nachbarn, der hat sein altes Auto nur so lange auf Trab gehalten, damit er das Fürther Kennzeichen nicht wechseln musste“, sagt Norbert Krehan. Viele im Ort waren damals aber auch für eine Eingemeindung nach Erlangen, „weil wir ohnehin zum Dekanat dort gehören“. Von den älteren Dorfbewohnern in seinem Friseurstuhl hört der 56-Jährige oft, wieso ein Verbleib im Landkreis Fürth besser gewesen wäre.

„Zumindest müsste es aber ja Nürnberg bei Gründlach heißen“, findet der Friseur mit den kurzen grauen Haaren und grinst wie ein freches Kind. „Schließlich sind wir älter als Nürnberg.“ Immerhin feiert der Ort heuer sein 1000-jähriges Bestehen. Und zeigt, was das Dorf leisten kann. „Alle Vereine halten zusammen, jeder bringt sich ein.“ Krehan macht beim Bürgerverein und bei der Freiwilligen Feuerwehr mit. Und bei 4G, dem „Gründlacher Gourmet Grill Glubb“.

Legendär: Norbert Krehan in seiner "Cocoloco-Bar".

Legendär: Norbert Krehan in seiner "Cocoloco-Bar". © Stefan Hippel, NNZ

Auch Jörg Feldner packt mit an. Doch irgendwann werde es für die Vereine schwierig, „weil es halt doch überall dieselben Gesichter sind, die sich engagieren – und irgendwann haben auch die keinen Bock mehr“. Auf Unterstützung der „neuen“ Gründlacher setzen er und Krehan nicht. „Viele suchen hier nur ein Haus am Stadtrand mit ein bisschen Grün vor der Tür“, sagt der Friseur.

Feiern in der "Cocoloco-Bar"

Trotzdem finden einige von ihnen den Weg in seinen Salon. Dank Google. „Oder weil sich rumspricht, dass es bei mir ab 16 Uhr auch mal ein Seidla zum Haarschnitt gibt“, sagt Krehan und verschwindet in seinem Heizungsraum. Daran grenzt die „Cocoloco-Bar“, in der an einem hölzernen Tresen schon viele Biere und Whisky getrunken wurden. An der Wand hängt eine Karte von Schottland, Krehans liebstes Reiseziel. Nur an einem Ort ist er lieber: „Nach jedem Urlaub freue ich mich, wenn ich von weitem den Großgründlacher Kirchturm sehe. Dann bin ich daheim.“