Das ist der schlauste Tiergartenbewohner Nürnbergs

23.9.2020, 07:13 Uhr
Das ist der schlauste Tiergartenbewohner Nürnbergs

© Michael Matejka

Bei der Frage nach dem schlauesten Tiergarten-Bewohner würden die meisten wohl auf die Menschenaffen tippen. Nicht so Tiergarten-Direktor Dag Encke, er favorisiert den Tannenhäher: "Mit seinem Erinnerungsvermögen schlägt er jedes andere Tier aus dem Rennen." Der Rabenvogel habe diese Fähigkeit extrem stark entwickelt und zeige autistische Züge.

Der Vogel mit dem schwarz-braunen, weiß getüpfelten Gefieder legt im Sommer und Herbst Tausende Nahrungsdepots für den Winter an. Mit seinem meißelförmigen Schnabel hackt er Löcher in den Boden und befüllt sie mit Zirbeln und Haselnüssen. Anschließend deckt er die Vorratskammer mit dem Durchmesser eines Tischtennisballs wieder zu.

Erinnerung sogar im Tiefschnee

Die unvergleichliche Gedächtnisleistung ist, dass er über 80 Prozent seiner Verstecke sogar durch eine dicke Schneedecke wiederfindet. Wie er das macht, ist bis heute noch nicht bekannt. "Der Tannenhäher ist wenig erforscht, mir ist nur eine einzige Doktorarbeit bekannt", berichtet Encke.

Der Zoologe ist von den Rabenvögeln generell sehr beeindruckt: Sie lassen sich beim Anlegen eines Depots nicht zuschauen. Wenn jemand in ihrer Nähe steht, täuschen sie vor, sie würden an einer bestimmten Stelle Nüsse verstecken. Doch die Minigrube bleibt leer. Tatsächlich legen die gewitzten Vögel ihre Hasel- und Zirbelnüsse erst ab, wenn sie sich absolut unbeobachtet fühlen.


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Im Tiergarten sind die beiden Tannenhäher in der Voliere mit Bartgeier, Alpenkrähe und Steinhühnern untergebracht. Die Nachzucht ist schwierig. Die Tannenhäher haben im Gegensatz zu Krähen ein äußerst begrenztes Sozialleben. Während letztere untereinander Freundschaften knüpfen und regelrechte Clans bilden, genügt den Tannenhähern mit dem lateinischen Namen nucifraga (Nussbrecher) die Zweisamkeit.

Der Name "Tannenhäher" ist etwas irreführend, zumindest was die Ernährung angeht: Denn die Singvögel fressen im Winter hauptsächlich Samen von Zirbelkiefern. Allenfalls als Nistplatz dienen Tannen gelegentlich, meist bauen sich die intelligenten Vögel ihre Nester in Zirbeln und Kiefern.

Das menschliche Gehirn besteht aus 100 Milliarden Neuronen, manche Wissenschaftler schätzen die Zahl auf bis zu einer Billion. Mit dem Höchstleistungsorgan bewegt sich Homo sapiens durch den Alltag.

Dass man auch mit gerade mal 300 Nervenzellen zurecht kommt, beweist der Fadenwurm. Er hat die einfachste Struktur unter den Lebewesen. Die Veterinäre des Tiergartens finden Nematoden im Kot von Wisenten, Antilopen, Pferden, Geparden . . . die Liste der Wirte ist lang, in denen sich die Parasiten einquartieren.

"Fadenwürmer sind wirklich spannend, sie erreichen mit so wenig Zellen eine maximale Leistung", meint zumindest Zoologe Encke", sie passen sich immer wieder an ihre Wirte an." Das sichert den Parasiten trotz simpelster "Bauweise" das Überleben. In Sibirien sollen sogar 42 000 Jahre alte Nematoden aus dem Permafrostboden erfolgreich wiederbelebt worden sein.

Bei Landwirten gefürchtet

Derzeit sind über 20.000 Arten von Nematoden bekannt. Meist mikroskopisch klein, doch es gibt auch Riesen: Der "Placentonema gigantissima" mit bis zu 8,50 Metern Länge und einem Durchmesser von 2,5 Zentimetern lebt im Pottwal.

Ihre Anpassungsfähigkeit schützt die farblosen Würmer übrigens nicht nur gegen Trockenheit, Hitze oder extreme Kälte. Die Parasiten widerstehen auch den Verdauungssäften ihrer Wirte. Wissenschaftler sind einig, dass Nematoden sich an fast jeden terrestrischen oder aquatischen Lebensraum anpassen können.

Natürlich will niemand die Schmarotzer trotz ihrer beeindruckenden Fähigkeiten im eigenen Körper haben. Im Tiergarten untersuchen die Veterinäre regelmäßig Kotproben von Huftieren und Raubkatzen. Über rohes Fleisch nehmen Tiere die Wurmeier ebenso auf wie über verunreinigte Pflanzen.

Die Schädlinge sind in der Landwirtschaft und im Gemüseanbau gefürchtet, weil sie den Stoffwechsel von Pflanzen durch ihr Eindringen in Wurzelsysteme stark beeinträchtigen können. Gegen die einfach konstruierten Nematoden geht die Landwirtschaft mit komplizierten Strategien vor: chemische Gifte, Bodendesinfektion mit Heißdampf oder auch biologische Bekämpfung wie das Pflanzen von Ölrettich oder Senf.

Das alles drängt die Parasiten zurück, aber es verhindert nicht ihr weltweites Überleben. Beeindruckend sind Zeugnisse aus der Kreidezeit vor zig Millionen Jahren: Im Bernstein aus dem Libanon sind die ältesten Fadenwürmer-Fossilien zu erkennen.

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