Das Jugendamt sucht händeringend nach Pflegefamilien

17.6.2020, 05:53 Uhr
Das Jugendamt sucht händeringend nach Pflegefamilien

Nina weiß noch genau, wie es war, als sie ihre Schwester Nele bekam. "Ich habe mich sofort in sie verliebt", sagt die Neunjährige und zeigt stolz ein Handyfoto von jenem Tag vor rund einem Jahr. Ein schlafender Säugling in einer Wiege ist darauf zu sehen, davor steht die größere Schwester und schaut staunend den Winzling an. "Sie war so niedlich", sagt Nina. "Ich habe sofort gewusst, dass sie zu uns gehört."

Ein Satz, der nicht ganz selbstverständlich ist. Denn Nele kam Knall auf Fall in ihre neue Familie hinein, es gab keine Wochen der Vorfreude und kein banges Warten auf die Geburt, sondern nur einen Anruf vom Jugendamt. "Das Telefon klingelte um 13 Uhr mittags und vier Stunden später war sie da", sagt Julia T. (Namen der betroffenen Familien geändert), die ebenso wie ihre leibliche Tochter diesen besonderen Tag noch genau im Gedächtnis hat. Mit ihrem Mann Alexander hatte sich die heute 50-Jährige lange ein zweites Kind gewünscht, auch Nina sprach immer wieder davon, wie gern sie ein Geschwisterchen hätte. Doch der ersehnte Nachwuchs wollte nicht kommen. "Und irgendwann", sagt Julia T., "haben wir über ein Pflegekind nachgedacht".

Lange Warteliste

Aktuell sucht das Jugendamt wieder händeringend nach Familien, die Kindern wie Nele eine Chance geben. Die Corona-Krise hat die Vermittlung in den vergangenen Monaten erheblich erschwert. Infoabende fielen ins Wasser, Hausbesuche bei potentiellen Anwärtern waren erschwert. Deshalb stehen derzeit auf der Warteliste der Fachstelle Vollzeitpflege 21 Kinder, die ein neues Zuhause brauchen. Kinder, deren Eltern sich nicht kümmern können oder wollen und die in der Kindernotwohnung oder bei einer Bereitschaftspflegestelle darauf warten, dass sie irgendwo ankommen können.

Weil sich nach den wochenlangen Ausgangsbeschränkungen die Probleme in manchen Familien zugespitzt haben, rechnen Christine Hofmann und ihre Kollegin Susanne Schneider von der Fachstelle damit, dass der Bedarf an Pflegeeltern weiter steigen wird.


Jugendamt muss immer häufiger Kinder aus Familien holen


Um neue Interessenten zu gewinnen, arbeitet das Jugendamt seit einem Jahr mit dem Modell "Pflege plus". Dabei werden die Kinder direkt nach der Inobhutnahme an die Pflegeeltern vermittelt, ohne "Zwischenstation" bei einer Bereitschaftspflege oder in einer Notwohnung. Kleinen Kindern erspart das mehrfache Wechsel, im Gegenzug bekommen die Pflegefamilien mehr Unterstützung in Form von finanziellen Hilfen und intensiver persönlicher Beratung – so wie bei Familie T.

Für Julia T. war der Kontakt mit der Fachstelle der Beginn einer Reise, sie sei Stück für Stück durch diesen Prozess begleitet worden. "Von da an ist man nicht mehr allein." Schulungen, ausführliche Gespräche mit den Mitarbeiterinnen und mit anderen Pflegefamilien standen auf dem Programm. Bei all dem sei es stets darum gegangen, herauszufinden, welches Kind denn in ihre Familie passen würde, sagt T., die diese sorgfältige Suche auch für wichtig hält. "Sie ist die Grundlage für eine gelingende Beziehung."

Dass diese Beziehung gelingt, steht auch für das Jugendamt an erster Stelle, schließlich haben die Kinder, die die Behörde in Obhut nimmt, meistens zuvor schon einiges durchgemacht. Durch die intensive Vorbereitung klappt der Wechsel jedoch in der Regel gut, im vergangenen Jahr wurden rund 60 Pflegekinder vermittelt, elf davon im Rahmen von "Pflege plus". In allen Fällen ist jedoch zunächst nicht sicher, ob die Kinder auf Dauer bleiben können.

"Das wäre einfach schrecklich"

Julia T. macht sich nur wenig Gedanken darum. "Ich habe deswegen noch keine einzige unruhige Nacht verbracht." Sie gehe davon aus, dass Nele bleiben könne. Ihrem Mann fällt es schon schwerer, mit dieser Unsicherheit zu leben. "Die Angst im Hinterkopf ist immer da." Auch Nina mag sich gar nicht vorstellen, dass sie ihre Schwester wieder hergeben müsste. "Das wäre einfach schrecklich."

Den Kontakt zu Neles leiblichen Eltern zu halten, ist für die T.s dagegen kein Problem, im Gegenteil. Sie finden es wichtig, dass ihre Pflegetochter auch ihre Herkunftsfamilie kennt. Derzeit finden die Treffen in der Regel alle zwei Wochen statt, sollte Nele auf Dauer bleiben, wird es monatliche Verabredungen geben.

Silvia Z. wäre sogar froh, wenn sie es ähnlich halten könnte, auch, um den rechtlichen Status klären zu können. "Doch die Eltern sind leider abgetaucht." Die 41-Jährige hat zwei Kinder bei sich aufgenommen, beide leiden unter den Folgen des Drogenkonsums der leiblichen Eltern. Mit ihrem Sohn habe sie am Tag nach dessen Geburt den Drogenentzug im Krankenhaus durchgestanden, sagt Z.. "Er hat gezittert und geschrien." Unglaublich wütend sei sie damals gewesen, "darüber, was dieser Säugling durchmachen muss". Um den Kindern besser helfen zu können, wurde Z. sogar zur Expertin in Sachen Therapie der Folgeschäden.

"Für mich ist das halb Berufung, halb Beruf", sagt die Nürnbergerin über ihre Aufgabe als Pflegemutter. Zwei leibliche Kinder hat sie mit ihrem Mann schon groß gezogen, nach deren Auszug sei es zu Hause so ruhig geworden, da habe sie nach einer neuen Herausforderung gesucht. "Auch diese Kinder haben das Recht auf eine normale Familie."

Am 25. Juni und am 16. Juli sind Info-Abende für interessierte Pflegeeltern geplant. Nähere Infos und Anmeldung bei der Fachstelle Vollzeitpflege, Tel (09 11) 231 41 00, Mail: pflege-adoption@stadt.nuernberg.de

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